Ruinen

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Es war immer wieder ernüchternd, wie sehr Menschen dazu neigten, kultivierte Bauten ihrer Vorfahren verfallen zu lassen. So wie das Gutshaus des kleinen, eher abgelegenen, wenig belebten und absolut geruchsunfreundlichen Dorfes, in das ihn Lauras Spur gebracht hatte.

"Sie war hier", sagte er in das Mikophon seines Smartphones. "Ich rieche sie noch, das kannst du mir der Ausnahme halber Glauben." Er ging auf dem einsturzgefährdeten Korridor auf und ab. Von der Decke tropfte hin und wieder Kondenswasser.

"Nein, sie war nicht alleine. Ich kann noch einen zweiten Geruch wahrnehmen, weiß der Teufel von wem. Hier kann jeder auf kurz oder lang gehaust haben."

Seine Schuhe produzierten trotz der harten Sohle kaum Geräusche. Eine Diele knarzte.
"Natürlich habe ich bereits jedes Zimmer durchsucht. Ich erledige meine Aufgaben bevor ich dich kontaktiere."

Er wendete auf dem Flur, ging noch einmal zurück in das Zimmer mit dem schäbigen Bett, hob die Matratze an und durchwühlte einen Stapel alter Zeitungen und Lesehefte, die von der Feuchtigkeit bereits zu einer einheitlichen Masse verschmolzen waren.

"Sie müssen von hier aus irgendwo hin gelangt sein, also finde gefälligst heraus welcher Bus, welcher Zug und welches Schiff von wo aus gefahren ist. Bleiben die Treffer aus suchst du auch nach Flügen, wobei es zweifelhaft ist, dass sie sich solche leisten konnte."

Er rümpfte die Nase, hielt sich den Handrücken vor und verließ fluchtartig den Raum.

"Ich weiß sehr wohl mit wem ich spreche, Marin! Offenbar hast jedoch du keine Ahnung in welcher Situation ich mich befinde."

Er ging schnellen Schrittes die Treppe herab und zur Hintertür des Gutshauses heraus. Leider grenzte hier direkt eine Schweinemast an. Möglicherweise sollte er das Gebäude sowie umliegende Ländereien kaufen und restaurieren lassen. Aber das konnte warten.

"Nein, sie ist definitiv nicht mehr hier. Also streng deine Mitarbeiter an! Solange Sarah und Felicitas unauffindbar bleiben steht die Suche nach Laura an erster Stelle!"

Damit legte von Krolock auf und fuhr sich durch die schwarzgrauen Haare. Ein lauer Nachtwind trug den Gestank der Mast zu ihm herüber und scheuchte ihn zur Front des Hauses.

Von dort aus eröffnete sich die freie Sicht auf einen vollständig verwilderten Park der eine unsymmetrische, überwucherte Wiese einrahmte. Zwischen den hinteren Bäumen und Büschen sickerte der Geruch von Jauche heran. Der verlassene Dorftümpel, den man nicht einmal mehr als Teich und den darin befindlichen Erdhügel nicht mehr als Insel bezeichnen konnte.

Nein, dieses verrottete Stück Erde würde er nicht kaufen. Dafür lohnte der Aufwand nicht.
Gerade wollte er kehrt machen und zu seiner schwarzen Limousine zurückkehren, als er ein ohrenbetäubendes Gekläffe vernahm. Direkt am anderen Ende der Leine eines weißen Schoßhundes befand sich dessen Besitzerin, die erst sichtlich genervt vom Benehmen ihres Haustieres war, dann aber keinerlei Blick mehr dafür aufbringen konnte.

Ihre Augen weiteten sich, als sie ihn sah, verengten sich zu Schlitzen um genauer hingucken zu können und wurden wieder weit.

Er harrte stoisch der Dinge, die ihn überrollen mochten. Vielleicht war ja die eine oder andere nützliche Information dabei.

"Sie sind doch...!", holperte die junge Passantin sogleich los, kam näher gestürmt und musste ihren Hund nach sich ziehen, nachdem jener kein Interesse an der Bekanntschaft mit einem Vampir hegte. "Graf von Krolock? Der aus dem Musical?"

Angesprochener deutete ein begrüßendes Nicken an. "Nicht unbedingt 'der', der Rest ist korrekt."

Sie wurde knallrot im Gesicht. "Oh Gott, dass es Sie wirklich gibt!"

Mit Mühe verkniff er sich das Heben einer Augenbraue. "Leib- und wahrhaftig. Ich habe jedoch nicht viel Zeit aufgrund eines dringlichen Anliegens: Kennen Sie eine Frau Laura Graf?"

Die Passantin war gänzlich außer Häuschen. "Ja!" Sie versuchte ihren halb knurrenden, halb windelnden Mischling zu sich zu zerren, was ihr nicht gerade gut gelang. "Ja, die hat bis vor kurzem noch hier in der Baracke gewohnt."

Von Krolock hob eine Augenbraue. "Seit wann?"

"Pffff... Kann ich gar nicht so genau sagen."

"Bis wann?"

"Gestern sind sie abgereist. Also quasi vorgestern mitten in der Nacht."

"Sie? Waren es mehrere?"

"Ja klar." Der Hund gab auf und setzte sich für geschlagene zwei Sekunden neben sein Frauchen, ehe er wieder aufstand und Richtung Heimat zog. "Laura und Thai. Das war ihre Psychologin. Die hat für alles bezahlt. Da sag noch einer Psychologie sei eine brotlose Kunst!"

Der Graf trat näher an die Passantin heran, legte seinen Blick fesselnd in ihren. "Wo sind sie hin?"

Die Frau überlegte. "Ähm... Nach Rumänien. Sie wollten endlich alles klären, hatten wohl ziemlich Ärger. Aber nicht mit der Mafia, oder? Die können wir im Dorf echt nicht gebrauchen."

Er schüttelte den Kopf. "Nein, um die Mafia geht es nicht."

Dann vertiefte er den Blickkontakt, die Pupillen der Frau weiteten sich. Es war einfach, in ihr Bewusstsein einzudringen. Mit einigen einfachen Kniffen hatte er ihre Erinnerung an diese Nacht verwischt und mit einem sorglosen Spaziergang ersetzt. Noch ehe sie ganz aus ihrer Trance erwachen konnte, hatte er sich in den Wagen gesetzt und war losgefahren.

Sein Weg führte ihn Richtung Autobahn.
Eine Hand am Steuer zog er das Smartphone aus der Tasche, wählte Marins Nummer und wartete die Freizeichentöne ab. Der Zweite klang noch nicht einmal an, als eine bekannte Stimme den Anruf entgegennahm.

"Ich weiß wo die beiden hin sind. Thai, ihre Therapeutin war bei ihr. Sie sind in meinem alten Anwesen."

Damit legte er auf, warf das Handy auf den Beifahrersitz und trat kräftig auf die Pedale.

Gegenwart ist FluchWo Geschichten leben. Entdecke jetzt