Blut ist für einen Vampir existenziell. Blut ist Leben. Kein Leben ohne Blut. Stattdessen langsame, qualvolle Vertrocknung mit manchen Schäden, die irreparabel blieben, wie die halbverwesten Gesichter der Friedhofsvampire. Solche Verstümmelungen konnten durch keinen Aderlass beglichen werden, so freiwillig er auch sein mochte.
Glücklicherweise hatte Breda Alois von Krolock keine dergleichen davon getragen. Vielleicht war er nahe daran gewesen, seine aristokratischen Züge einzubüßen. Wahrscheinlich hatte van Helsing eben dies auch provozieren wollen. Doch war es nicht die erste Durststrecke gewesen, die er hatte erleben müssen. Es war noch nicht einmal die längste, auch wenn er zuvor nur mäßig und unregelmäßig Nahrung zu sich genommen hatte, was seinen zeitweise miserablen Zustand erklären mochte.
Dafür war der Genuss jetzt um so größer. Er sah in die Augen des Mannes, der sein Urteil kannte. Man musste ihm zugute halten, dass er weder jammerte noch bettelte. Er wusste, sein Leben war verwirkt. Und doch schrie Angst aus seinem Blick, lodernd und flackernd, glasig. Angst vor dem Tod. Dabei war der Tod so süß.
"Dir gehört der erste Biss, mein Freund", raunte Marin ihm von der Seite entgegen, ein Lächeln auf den dünnen Lippen.
Er lächelte schief, nahm noch einen Moment länger das Entsetzen im Antlitz des Chauffeurs auf. "Ich habe Sie gewarnt", flüsterte er ihm entgegen, das Gesicht unweit von seinem. "Sagen Sie niemals nie."
Mit diesen Worten entblößte er seine Eckzähne in einem diabolischen Lächeln. Der Chauffeur brachte ein entsetztes Wimmern hervor. Mit herrischer Geste griff er in seinen Nacken und bog den schreckensbleichen Schädel zurück. Knackend riss die Haut, wo seine Zähne sich in die Kehle bohrten. Warm sprudelte es in seinen Mund, süß und metallisch. Gierig schluckte er, den Schrei seines Opfers mit einer Hand erstickend, die Zähne tiefer in den Hals senkend, je mehr es sich wehrte. Für den Verrat. Für die unkompfortable Situation. Für van Helsing.
Die Kraft des Chauffeurs ließ nach. Schlaff lehnte er an der Wand, als Breda seinen Biss löste. Rot quoll es aus den Einstichen. Mit der Zunge fuhr er sich über die Lippen, vergeudete keinen Tropfen. "Fürchten Sie die Nacht?", raunte er.
Der Mann wankte, hob den kraftlos zur Seite geneigten Kopf geringfügig an. "Ja", krächzte er. Breda trat einen Schritt zurück. Seinen Platz nahm Marin ein, sich bedächtig über die Hände streichend. Der Chauffeur sah glasig auf. "Was habt Ihr vor?" Seine Stimme war nicht mehr als ein Flüstern.
Breda lächelte im Gegensatz zu der wie üblich versteinerten Miene Marins. "Ein kleiner Tribut für die Reihe an Unannehmlichkeiten, die Sie uns beschert haben", erklärte er. Des Fahrers Blick zuckte panisch zum Franzosen.
Marin streckte eine Hand aus und strich mit dürren, sehnigen Fingern über das Rinnsal von Blut, ehe er die Finger zu seinem Mund führte und seelenruhig den Duft einsog. "Eine Verschwendung", hauchte er. Dann sah er dem Mann tief in die Augen. "Wünschen Sie sich ein zweites Leben? Ein Leben in Nacht und Dunkelheit. Ein ewiges Leben?"
Die Augen des Chauffeurs wurden trüb. "Ja", presste er zwischen blauen Lippen hervor. Er versuchte sich von der Wand ab zu drücken und einen Schritt auf Marin zu zu machen. Letzterer fing ihn im gescheiterten Versuch auf. Keine Sekunde später verstärkte sich der Geruch nach Blut, als erneut Zähne an der Kehle des Mannes rissen.
Zuckend hing er dort in den Armen seines Freundes. Die Augen weit aufgerissen. Entsetzen und Furcht in ihnen. Und eine Art Enttäuschung. Ein Gedanke brandete durch die frische Nachtluft.
Warum?
Er wischte sich mit dem Handrücken über den Mund. Der Verband streifte seinen Mundwinkel, die Stelle verbergend, in die er vor einigen Tagen selbst seine Zähne vergraben hatte. Es ist nur eine Rechnung, die ich begleiche. Nichts persönliches", ließ er seine Stimme durch die Gedanken des Mannes hallen.
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Gegenwart ist Fluch
FanfictionDie Zeit ist ein Paradoxon. So vergehen für den einen über 200 Jahre, in denen er dem einzigen Opfer hinterherjagt, das ihm entkommen konnte, während für andere Personen nur wenige Wochen vergingen. Für Laura hätte gerne mehr Zeit vergehen können, b...