Kapitel 6

472 24 2
                                    

Nervös stand ich vorm Spiegel und begutachtete mein Werk. Das Kleid war wirklich eine ausgezeichnete Idee von Tori. Es hatte keine typischen Träger, sondern ging mir bis zum Hals und war wie ein Bikini-Oberteil im Nacken zusammengebunden. Somit zeigte es nichts von meinem Dekolleté, war aber dafür im Rücken relativ weit ausgeschnitten. Es ging mir bis kurz oberhalb der Knie und war relativ körperbetont, aber nicht komplett enganliegend. Der schwarze Stoff war hochwertig, aber schlicht. Ich fühlte mich schön, doch auch etwas unbehaglich. Das letzte Mal, dass ich dieses Kleid getragen hatte, war auf einem Date mit Kyle. War es wirklich eine gute Idee, jetzt schon auf ein Date zu gehen? War es nicht komisch, das Kleid, das ich mir anlässlich des vierten Jahrestages mit meinem Ex gekauft hatte, für ein zweites Date mit einem fast Fremden anzuziehen?

Ich war kurz davor, einen Rückzieher zu machen, doch dann holte ich tief Luft und rief mir einige meiner Mantras zurück ins Gedächtnis. > Kyles Entscheidung, mich zu verlassen, hat nichts mit mir zu tun. Ich bin wundervoll, so wie ich bin. Ich kann mit meinem Leben tun und lassen, was ich will. Ich brauche keinen Mann an meiner Seite, aber wenn ich einen will, dann ist das auch vollkommen okay. <

Das Klingeln an der Tür riss mich aus meinen Gedanken und ließ mich zusammenzucken. Ohne weiter darüber nachzudenken, eilte ich zur Tür und öffnete sie schwungvoll. „Hi!" Aiden war pünktlich auf die Minute. Sein Anblick ließ mich innehalten und schlucken. Er trug einen schwarzen Anzug und ein ebenso schwarzes Hemd, was wirklich schick aussah, mich aber auch neugierig machte. Ich hätte ihn eher als jemanden eingeschätzt, der klassische weiße Hemden trug. Das Outfit könnte zwar düster wirken, doch sein Lächeln machte alles wett. „Hallo Mary, schön dich zu sehen!" Ich stoppte meinen Scan und lächelte ihn an. „Gleichfalls! Komm doch kurz rein, ich bin in einer Minute fertig." Normalerweise war ich ein eher pünktlicher Mensch, aber da ich nicht wusste, wo wir hingehen würden, hatte ich mit dem letzten Schliff meines Stylings warten wollen, bis ich ihn gesehen hatte.

Ich machte die Tür frei, sodass Aiden eintreten konnte und ging dann schnell ins Bad. Dort steckte ich mir die Haare hoch und trug etwas dunkleren Lippenstift auf. Ansonsten beließ ich alles beim Alten.

Zurück im Flur stand Aiden direkt neben der Tür und hatte sich keinen Zentimeter weiter in die Wohnung gewagt. Nicht mal die zwei Schritte zur Kommode, wo er ein paar Fotos hätte betrachten können, sehr anständig. Ich schlüpfte schnell in meine schwarzen High Heels, schnappte mir meine Tasche und dann war ich so weit.

„Tut mir leid, dass ich noch nicht fertig war. Jetzt können wir aber los!" „Kein Problem! Du siehst wunderschön aus." Ich wurde leicht rot und drehte mich schnell weg, um die Tür hinter uns abzuschließen, wobei ich ein leises „Danke" murmelte.

Wir gingen schweigend vors Haus, wo zum Glück keine Limousine mit Fahrer wartete, sondern nur ein zugegeben ziemlich teuer aussehender, aber schlichter Wagen. Aiden öffnete mir ganz galant die Beifahrertür und stieg danach auf der Fahrerseite ein.

„Sagst du mir jetzt, wo es hingeht?", fragte ich, während er den Wagen aus der Parklücke steuerte und sich in den Verkehr einfädelte. Er lachte nur und schüttelte den Kopf. „Da musst du dich noch ein paar Minuten gedulden." „Schade", erwiderte ich resigniert und wand mich stattdessen einem anderen Thema zu: Musik. „Darf ich?", fragte ich und deutete auf seine Anlage, die lediglich aus einem Display und einem einzigen Knopf bestand. „Ich sehe schon, du willst mir tief in die Seele schauen. Klar, mach ruhig an, was dir gefällt!" Er schaltete die Anlage selbst ein und öffnete ein Menü, das verschiedene Alben zeigte. Ich scrollte neugierig durch und entdeckte einiges, das mir auch gefiel. Letztendlich entschied ich mich für Fall Out Boy woraufhin Aiden sich grinsend zurücklehnte und „Interessant", murmelte. Ich schmunzelte und lehnte mich ebenfalls im Sitz zurück.

„Erzähl mir was über dich", meinte ich, nachdem wir einen Moment lang schweigend der Musik gelauscht hatten. „Das hatten wir doch schon mal", erwiderte er und lachte leise. „Du musst schon genauer werden." „Dann erzähl mir etwas über deine Familie! Hast du mehrere Geschwister?" „Nein Nathan ist mein einziger Bruder. Es waren immer nur Mom, Dad, er und ich." „Und wie ist euer Altersunterschied?" „Wir sind nur ein Jahr auseinander, deshalb verstehen wir uns auch so gut. Früher haben wir uns natürlich oft gekloppt, aber inzwischen sind wir aus dem Alter raus. Weitestgehend." Er zwinkerte und ich lachte auf. Zwar kannte ich Nathan nur von Toris Erzählungen, doch ich konnte es mir gut vorstellen, wie sich die Brüder noch manchmal aus Spaß kabbelten. „Wer von euch ist eigentlich der Ältere? Und wie alt seid ihr generell?" „Was schätzt du denn?", kam natürlich prompt seine Gegenfrage. „Oh nein, ich bin ganz schlecht in sowas!" „Tja", erwiderte er nur schmunzelnd. „Ach komm schon! Ich will dich nicht beleidigen, weil ich was ganz Falsches sage", versuchte ich es, doch er gab nicht nach. „Rate einfach! Ich werde dir schon nicht böse sein, versprochen." Stöhnend gab ich nach und nutzte die Chance, um ihn noch einmal ausgiebig zu betrachten.

Auch im Sitzen schlug sein Anzug keine unvorteilhaften Falten, sondern betonte nur seinen gut gebauten Körper und spannte sich vor allem um seine Arme. Seine Haare wirkten ganz natürlich, weder gestylt noch verwuschelt und sein markanter Kiefer war frisch rasiert.

„Ich denke auf jeden Fall, dass du alter bist als ich...", begann ich vorsichtig. „Das ist schon mal richtig", bestätigte er meine Vermutung. „Woher willst du das denn wissen?", fragte ich verwirrt. „Du weißt doch gar nicht, wie alt ich bin." „Ich kann ja mal raten! 25?" Jetzt war ich noch verblüffter und nickte. „Verdammt, du bist gut" Er lachte wieder leise auf. „Ich würde das Kompliment ja gerne annehmen, aber eigentlich weiß ich nur, dass Victoria so alt ist und hab vermutet, dass ihr gleich alt seid." Ach na dann... „Schummler!", meinte ich scherzhaft. „Okay, also du bist über 25... und auf jeden Fall unter 35! Wahrscheinlich maximal 30. Ich sage irgendwas zwischen 26 und 30." „Das ist auch richtig", gab er zu. „Na komm, das letzte bisschen kannst du mir doch verraten, oder?" Aiden schüttelte nur grinsend den Kopf. „Das war ja der einfache Part. Du musst schon eine genaue Zahl sagen!" „Du bist gemein!", sagte ich spielerisch schmollend.

Ich überlegte noch ein bisschen und entschied mich dann. „27?", fragte ich vorsichtig. Ich war mir nicht ganz sicher und sagte lieber etwas Jüngeres, als ihn zu alt zu schätzen. „Ganz knapp! Ich bin 28 und Nate 29", verriet er mir endlich. „Von allem was ich so gehört habe, wirkst du eher wie der ältere", meinte ich und schlug mir dann die Hand vor den Mund. „Ich meine... Ich kann das nicht sagen, ich kenne Nathan ja nicht, aber..." Aiden lachte und unterbrach mich. „Alles gut, Mary! Nate ist etwas impulsiver und ich bin eher ruhig und wirke daher manchmal reifer. Viele denken das im ersten Moment."

Wir fuhren noch ein paar Minuten weiter und unterhielten uns dabei, bis Aiden schließlich parkte und mich in ein Restaurant führte.

Es war ein ziemlich schicker, asiatischer Laden. Ich hatte asiatisch bis jetzt nur bestellt oder am Imbiss geholt, weshalb mich das Ambiente ziemlich beeindruckte. Aiden nannte einer Kellnerin in einem hübschen, traditionellen Gewand am Eingang seinen Namen und sie führte uns sofort an einen Tisch etwas weiter hinten, wo wir relativ ungestört waren.

Ganz Gentleman-like schob er mir den Stuhl zurecht und setzte sich dann mir gegenüber hin. „Ich hoffe du magst asiatisch", meinte er und lächelte etwas verlegen. Um ihn zu beruhigen, nickte ich schnell. „Bei mir kannst du eigentlich nichts falsch machen, außer Fleisch. Ich bin vegetarisch." Diesmal war ich etwas verlegen. Kyle hatte anfangs nicht so verständnisvoll darauf reagiert und ich wollte Menschen keine Schwierigkeiten mit meiner Ernährung machen, auch wenn ich natürlich überzeugt davon war, dass es die richtige Entscheidung war, kein Fleisch mehr zu essen. Zu meiner Überraschung war Aidens Reaktion jedoch überhaupt nicht negativ. „Das ist eine gute Einstellung", sagte er einfach und lächelte. „Ich esse selber nicht viel Fleisch." Erstaunt lächelte ich ihn an und widmete mich dann der Karte.

Love AffairsWo Geschichten leben. Entdecke jetzt