Kapitel 1

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Ich legte den Kopf in den Nacken und schob mir die Sonnenbrille in die Haare. Wow! Das Gebäude, das vor mir aufragte, sah echt beeindruckend aus. Wolkenkratzer waren in dieser Stadt nicht selten, doch dieser hier überragte die benachbarten Häuser ein gutes Stück und in seiner Glasfront spiegelte sich der strahlend blaue Himmel, der nur von ein paar Wölkchen geschmückt war, perfekt. Welstone Industries stand in großen Buchstaben über dem Eingang. Hier arbeitete meine beste Freundin also...

Ich zückte mein Handy und tippte ihre Nummer an, die natürlich unter meinen Favoriten abgespeichert war. „Hallo?", ertönte ihre Stimme, nachdem es kurz geklingelt hatte. „Hi Tori!" Mit einem kurzen Blick auf die Uhrzeit stellte ich fest, dass ich bereits zehn Minuten zu spät war. Das war eigentlich nicht meine Art, doch Tori würde es nicht stören. „Ich stehe vor dem Gebäude. Soll ich hier warten oder bist du in der Lobby?" Es dauerte ein bisschen, bis sie antwortete.

„Du Mary, ich hab total die Zeit vergessen. Ich bin noch nicht ganz fertig. Komm einfach hoch, dann kann ich dir gleich mein Büro zeigen. Oberster Stock. Ich sage der Frau am Empfang, dass du kommst." Wie ich es mir dachte, meine Verspätung störte nicht. Ein Grinsen stahl sich auf meine Lippen. „Klar, bis gleich!" Ich war echt gespannt, ob ihr Büro wirklich so cool war, wie sie immer behauptete. Auch, ob sie wirklich im obersten Stock arbeitete, würde ich erst glauben, wenn ich es mit eigenen Augen gesehen hatte. Nicht, dass ich ihr unterstellen würde, sie würde lügen, aber... Erneut legte ich den Kopf in den Nacken. ...das war wirklich total weit oben.

Ich betrat das Gebäude durch die großen Schwingtüren und sah mich interessiert um. Durch meinen Job als Innenarchitektin konnte ich einfach nicht anders, als die Einrichtung zu inspizieren. Der moderne, schlichte Stil, in dem alles gehalten war, wurde aufgelockert durch ein paar schöne Stuck-Elemente und einige große, palmenähnliche Zimmerpflanzen. Sehr stilvoll. Direkt vor mir befand sich der Empfangstresen und an den Seiten gab es Warte-Lounges. Kleine Sitzgruppen waren symmetrisch angeordnet und... Reiß dich zusammen, Mary! Tori wartet oben auf dich. Ich schüttelte meinen scannenden Blick ab und suchte stattdessen nach den Fahrstühlen. Ich würde keine 40/50 Stockwerke Treppen laufen, so viel stand fest. Die goldenen Fahrstuhltüren waren an der Wand gegenüber und ich beschleunigte meine Schritte wieder, jetzt wo ich ein Ziel hatte und nicht mehr umherblickte.

Ein leises Pling ertönte und die Türen des Fahrstuhls öffneten sich. Ich ließ noch einmal meinen Blick durch die Eingangshalle schweifen und wollte mich gerade in Bewegung setzten, um die Kabine zu betreten, als plötzlich jemand daraus hervorgeschossen kam. Da hat es wohl jemand eilig. Da ich mit meiner Aufmerksamkeit nicht ganz bei der Sache war, konnte ich nicht schnell genug zur Seite gehen. Der Typ lief genau in mich rein. Ich stolperte nach hinten und meine Handtasche rutschte mir von der Schulter. Natürlich muss mal wieder mir so was passieren... Schnell bückte ich mich und begann meine Sachen aufzusammeln, die über den dunklen Marmorboden rollten. Anstatt einfach weiter zu rennen, wie ich es von irgendeinem Anzugfutzi erwartet hätte, der in seiner Eile Frauen umrennt, ging der Typ ebenfalls in die Hocke und begann mir zu helfen. Schnell griff ich nach der kleinen Dose mit den Tampons und meinem Lippenstift.

Als nichts mehr am Boden lag, blickte ich erstmals zu dem Fremden auf und erstarrte. Heilige Scheiße sah der gut aus! Der junge Mann lächelte entschuldigend und hielt mir mein Schlüsselbund und meinen Kugelschreiber hin. Ich blinzelte einmal und griff dann schnell nach meinen Sachen, wobei sich unsere Finger streiften. Oh Gott, das war ja wie im Film. Schnell rappelte ich mich auf und murmelte ein leises „Danke". Hitze stieg mir in die Wangen. Hatte ich ihn zu lange angestarrt? „Das war das Mindeste. Tut mir leid, dass ich Sie umgerannt habe!" Er lächelte schief und ich hatte das Gefühl, dass meine Beine mich nicht mehr lange tragen würden. Wie konnte ein Kerl so gut aussehen? Seine Gesichtszüge waren markant, er trug einen ordentlichen Drei-Tage-Bart und seine grau-blauen Augen bildeten einen starken Kontrast zu den dunkelbraunen, vollen Haaren.

Ich schluckte und lächelte vorsichtig. „Schon okay." „Sie sollten mich nicht so leicht davonkommen lassen. Ich finde, ich schulde ihnen einen Kaffee." Ich würde nichts lieber machen, als mit diesem heißen Kerl einen Kaffee trinken zu gehen und alles über ihn zu erfahren, daher schollt ich mich innerlich für die Worte, die meinen Mund verließen. „Ich bin jetzt mit einer Freundin verabredet. Machen Sie sich keine Gedanken!" Meine Güte Mary, so eine Chance kannst du dir doch nicht entgehen lassen! Er legte den Kopf schief. „Ich würde das wirklich gerne wieder gut machen. Wie wäre es mit morgen?" ‚Sag ja!', befahl mir meine innere Stimme und ich gab nach. „Na schön, zu einem freien Kaffee sage ich nicht nein." Schnell zog ich eine Visitenkarte aus meiner Hosentasche, bevor ich es mir anders überlegen konnte, und reichte sie ihm. „Rufen Sie mich an!" Sein Lächeln wurde breiter und er nahm die Karte entgegen, wobei er erneut meine Hand berührte. „Das werde ich! Es hat mich gefreut, Sie kennenzulernen." Ich ließ meine Hand etwas zu lange an der Karte, da es sich seltsam gut anfühlte, ihn zu berühren. Sobald ich das realisierte, zog ich sie schnell weg und nickte. „Dann bis Morgen!" Er nickte ebenfalls und drehte sich dann um.

Ich sah ihm kurz nach, dann drückte ich erneut den Knopf für den Fahrstuhl.

Sobald ich in der Kabine stand und die Türen sich hinter mir geschlossen haben, atmete ich erleichtert auf. Die Begegnung mit dem Kerl hatte mich irgendwie unter Strom gesetzt. Erst langsam realisierte ich, was gerade passiert war. Ich hatte ein Date! Mit einem wildfremden Mann! Oh Gott, oh Gott... Seltsamerweise erfüllte mich diese Tatsache überhaupt nicht mit Angst. Ich freute mich darauf, ihn kennenzulernen.

Die Türen gingen im obersten Stockwerk auf und ich rannte aufgeregt los, ohne zu wissen wo mein Ziel war. Die Empfangsdame rief mir noch zu, welche Tür die richtige war. Ups. Ich musste Tori einfach unbedingt erzählen, was gerade passiert war.

Eine halbe Stunde später saßen wir an einem kleinen Tisch in der Ecke von unserem Lieblings-Mexikaner und aßen Enchiladas. „Ich weiß nichts über diesen Mann, nicht mal wie er verdammt noch mal heißt und trotzdem freue ich mich auf morgen. Was ist falsch mit mir? Er könnte ein Psychopath sein oder ein Serienmörder." Ich schüttelte den Kopf und trank einen Schluck Cola. „Ich glaube kaum, dass bei uns in der Firma Psychopathen und Serienmörder arbeiten", erwiderte Tori zuversichtlich. „Ich freue mich für dich! Es ist Zeit, dass du wieder auf den Markt kommst, Babe. Das mit Kyle hat dich schon viel zu lange runtergezogen. Nicht, dass du nicht trauern darfst, aber es ist schön, dass du das endlich hinter dir hast." „Oh Gott, an Kyle hab ich noch gar nicht gedacht", stellte ich überrascht fest. Sie grinste. „Das ist doch ein gutes Zeichen!" Ich nickte und schickte Kyle ganz schnell wieder aus meinen Gedanken. Ich wollte mir das jetzt nicht vermiesen.

Bei dem Versuch, an etwas anderes zu denken, fiel mir plötzlich wieder etwas wichtiges ein. „Wie war eigentlich das Cocktail trinken mit deinem Boss?", fragte ich meine beste Freundin. „Der nette Boss und nicht der Arsch natürlich." Tori verzog den Mund und legte ihre Gabel ab. Dann begann sie zu erzählen.


(Anm.: An dieser Stelle überschneidet sich die Geschichte mit dem ersten Band über Tori. Wer wissen will, worum es geht, kann gerne mal dort vorbeischauen!)

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