15. Nur eine Entscheidung

1.7K 62 2
                                    

»Mr. Shelby, das Telefon. Ihr Bruder«, hörte Tommy die zögerliche und dennoch aufgeregte Stimme einer seiner Haushälterinnen. Es war früh am Morgen, beinahe noch in der Nacht und alleine die Tatsache, dass er eben geschlafen hatte, sagte ihm, dass Alice in seinem Arm liegen musste. Anders hätte er niemals Schlaf gefunden.

Trainiert wie er war, hatte Thomas allerdings gerade eben die Augen aufgeschlagen und schon war er bei vollem Bewusstsein. Sofort saß er aufrecht und nur einen Augenblick später war er auf den Beinen.
»Der Apparat im Arbeitszimmer«, ließ sie ihn hektisch wissen. »Ich wollte eigentlich nur putzen, aber es hat nicht aufgehört zu —«
Mehr konnte Tommy gar nicht mehr hören, da stürmte er bereits die Treppe nach oben.
Er hatte die Nacht in Alice' Gästezimmer verbracht. Natürlich würde er es dort nicht mitbekommen, sollte ihn jemand erreichen wollen. Wie unaufmerksam von ihm.

Auf dem schweren Tisch im Arbeitszimmer lag der offene Hörer. Überstürzt riss Tommy ihn an sich und ließ sich schwer atmend auf seinem Sessel nieder.
Zu solchen Uhrzeiten kamen keine guten Nachrichten.

»Ja?«, meldete er sich ungeduldig am Hörer. Schon am schweren Atmen am anderen Ende der Leitung konnte Tommy erkennen, dass es sein älterer Bruder sein musste. »Arthur, sprich. Was ist los?«

Er sollte gestern Abend in Camden Town bei Alfie Solomon gewesen sein

Hoppla! Dieses Bild entspricht nicht unseren inhaltlichen Richtlinien. Um mit dem Veröffentlichen fortfahren zu können, entferne es bitte oder lade ein anderes Bild hoch.

Er sollte gestern Abend in Camden Town bei Alfie Solomon gewesen sein. Dass das nichts Gutes verheißen mochte, war Tommy bewusst.

»Du hattest recht, Tom«, hörte er endlich Arthurs Stimme. Er klang angestrengt, als müsse er gerade heftige Schmerzen ertragen. »Die Juden haben die Seiten gewechselt. Es war eine Falle«, überbrachte er die bitteren Neuigkeiten.

Schnaubend schloss Tommy die Augen und führte seine Hand an die Schläfe. Sofort dröhnte ihm wieder der Schädel.
»Wo bist du, Arthur?«

»Im Büro. John hat mir die Kugeln entfernt, aber —«
Arthurs Stimme war zittrig. Tommy wusste, wie labil sein älterer Bruder durch den Krieg ohnehin geworden war. Er schwankte zwischen emotionalen Gefühlsausbrüchen und grenzenlosen Wutausbrüchen. Gerade schien Ersteres der Fall zu sein. »Billy war bei mir, Tommy. Billy Kitchen. Er hat mir so oft gesagt, dass er ein mieses Gefühl bei der Sache hat.« Auch ohne dass Arthur es aussprach, wusste Thomas, was passiert war. »Und während ich noch abgewunken habe, haben sie ihn schon abgeknallt«, bestätigte Arthur seine Vermutungen.

Wieder schloss Tommy  die Augen und atmete schwer aus. Billy war ein guter Freund gewesen. Er hatte ihm nicht nur in Frankreich zur Seite gestanden, sondern war auch stets ein treues Mitglied der Peaky Blinders gewesen.

Unmittelbar kam Tommy der Gedanke, dass er an Billys Stelle gewesen wäre, hätte er gestern nicht spontan Alice als Priorität gewählt. Diese Kugeln wären für ihn bestimmt gewesen, hätte Alice ihn nicht davor bewahrt — und zum ersten Mal seit Langem sehnte er sich nicht danach, Billys Platz einnehmen zu können. Er verfluchte seine Feinde und wünschte sich, seinen Freund niemals in diese Situation gebracht zu haben, doch gleichzeitig war Thomas froh, diesem Hinterhalt entkommen zu sein. Zum ersten Mal hatte er wieder etwas, das sein Interesse und genug Freude in ihm weckte, um an seinem Leben festzuhalten.

Schutt und Asche || Peaky BlindersWo Geschichten leben. Entdecke jetzt