Ruhe bewahren

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Lügen haben kurze Beine. Die Wahrheit ist immer das Beste. Ehrlichkeit währt am längsten.

Wenn ich ehrlich bin, war ich noch nie im Büro des Rektors. Außer, an dem Tag meiner Einschreibung hier und das spricht dann auch wieder für sich. Sobald klar wurde, dass wir nicht im Unterricht sind, hatten wir auch schon einer dieser netten Scheine. Eine Verwarnung, die von unserem Rektor persönlich unterschrieben werden soll. Im Normalfall, würde ich bereits schwitzen und bangen, aber jetzt gerade, nichts dergleichen. Ich bin weder besonders nervös, noch eingeschüchtert oder irgendwie anders beunruhigt. Das einzige, was mich zum Lächeln bringt ist einfach Grant. Unsere verschränkten Hände, die Tatsache, dass er es endlich gesagt hat und dass er hier bei mir sitzt. Auf zwei Wartestühlen vor dem Büro des Rektors. Eigentlich müsste ich Panikerfüllt auf die Toiletten flüchten.

"Ich hoffe, wir werden uns nicht Wiedersehen." Der böse Blick ist wohl eher an Grant gerichtet, als an mich, denn der verlässt einfach ohne weiteres das Büro wieder. "Auf Wiedersehen.", lächle ich hingegen noch und tapse dann Grant hinterher. Oh Gott, meine Verabschiedung war kein bisschen besser. "Was machen wir jetzt?" "In den Unterricht gehen?", frage ich zögerlich, weil es sich nach der falschen Antwort anhört. Sagt mir zumindest sein Blick, denn Grant bleibt nur belustigt mitten im Gang stehen. "Einfach süß.", grinsend macht er einen Schritt auf mich zu, nur um mich im nächsten Moment an der Taille an sich zu ziehen und mich zu küssen. Doch ich kann meinen Mund natürlich nicht halten. Ich bin ein Schaf. "Darf ich dich daran erinnern, weshalb wir in dieser Situation sind?", flüstere ich und bekomme gleich wieder Panik, weil wir immer noch hier stehen und ganz offensichtlich nicht am Unterricht teilnehmen. Das ist schlimm. Meine Eltern werden es erfahren, ich werde nie wieder einen Fuß vor die Tür setzen dürfen und Grant nie wieder sehen. Oh Heiliger Kuhmist, wo bleibt meine Ruhe, Coolness oder Selbstsicherheit? So betrachtet, bin ich viel zu uncool für Grant -halt stop! Ruhe bewahren und nicht direkt vor ihm einen Anfall voll Unsicherheit haben. "Ach komm, ein englischer Muffin, bringt dich schon nicht ins Gefängnis, Alex."

Nennt es peinlich, aber ich habe meinen Kopf so tief in der Speisekarte vergraben, dass ich nichtmal mehr lesen kann, was es überhaupt gibt. Die Tatsache ist auch einfach, dass ich die Speisekarte von Hank's bereits auswendig kann. Grant hat mich zu Hank's geschleppt, zum frühstücken, während ich jetzt eigentlich in Geo sitzen müsste. Mein Herz hält sowas nicht aus. Manchmal taucht vielleicht ein Funken von Selbstbewusstsein auf, aber die meisten Tage sind eher wie diese hier. "Was tust du da?", fragt Grant leicht lachend, als er die Karte vor mir herunter hält. Natürlich muss er denken, seine Freundin hätte einen an der Klatsche. "Nichts. Weißt du schon, was du nimmst?", lächle ich verunsichert und fahre mir dabei durch die Haare, die Speisekarte habe ich mittlerweile zur Seite gelegt. Ich will ihn ja nicht ganz vergraulen. "Eigentlich nicht.." Damit wirft er wieder einen Blick auf die Übersicht, wobei auf seiner Stirn ein paar kleine Falten erscheinen. Während ich mir Gedanken mache, wie unglaublich gut mein Freund aussieht, fällt mir aus einem Augenwinkel eher etwas beunruhigenderes auf. "Oh Shit.", platzt es mir heraus und sofort sinke ich so tief wie nur möglich in meinen Stuhl ein. "Was?", fragt Grant misstrauisch. "Mein Dad ist hier.", flüstere ich, um nicht noch mehr Aufsehen zu erregen.

Keine Sekunde später bin ich auch schon aufgesprungen und dabei, Grant hinter mir her auf, die Toiletten zu ziehen. Unglücklicherweise ist die erste ganz offensichtlich die für Männer und dafür glücklicherweise leer. Kichernd lehnt sich Grant an die Tür, während ich noch dabei bin panikerfüllt zu überlegen, was wir jetzt tuen sollen. "Alex, beruhig dich, er wird uns hier sicherlich nicht suchen. Dein Vater denkt, du bist in der Schule." "Ja ganz genau! Und ich bin hier, er wird mich umbringen..", verzweifelt lehne ich meinen Kopf an die Wand. Ich bin sowas von Geschichte. "Ach komm schon, das ist jetzt wirklich kein Weltuntergang und irgendwie ist es auch ganz spannend." Das kann schlecht sein Ernst sein. Doch im nächsten Moment versucht auch schon jemand die Tür zu öffnen, aufgebracht rette ich mich in eine der Kabinen. Grant muss sich natürlich noch zu mir quetschen. Wären wir in einem Comic, könnte man jetzt meine Zähne klappern hören. "Alex.", flüstert Grant kaum hörbar, während er einen Finger unter mein Kinn schiebt und es anhebt. Zögerlich lasse ich meinen Blick zu ihm hinauf wandern, um festzustellen, dass er einfach nur grinsend seinen Kopf schüttelt. In einer anderen Situation, würde er mich wahrscheinlich auslachen. Er kommt näher -falls das auf dem einen Quadratmeter überhaupt möglich ist- und drückt mich mit seinem Körpergewicht leicht an die Kabinenwand, senkt seine Lippen an meinen Hals. Mein Atem wird noch schwerer, während jeder seiner einzelnen Küsse einen Schauder über meinen Körper fahren lassen. Oh Gott, was macht er nur? Langsam fahren seine Lippen über meinen Hals, arbeiten sich wieder zu meinem Mund vor, bis sie schließlich darauf liegen. Drei Sekunden brauche ich um meine Überraschung zu überwinden, ich Schlinge meine Arme also um seinen Hals, glücklich, den Kuss zu erwidern. Ein langer, berauschender Kuss, der mir den Atem verschlägt. Irgendwann bricht er den Kuss ab und sieht mir in die Augen. Seine eigenen Wirken in dem Licht dunkler und seine Lippen einwenig geschwollen. Oh, gottverdammter.. "Grant!", rufe ich flüsternd über die Tatsache, dass wir uns auf einem öffentlichen Männerklo von Hank's befinden, während ich mir eigentlich Sorgen machen müsste, dass mein Dad da irgendwo draußen sitzt.
Kurzentschlossen schnappe ich mir seine Hand und mit Gewissheit alleine zu sein ziehe ich ihn wieder aus der Kabine heraus. "Was denn?", grinst er breit und beugt sich zu mir herunter, um mir noch einen Kuss auf die Lippen zu hauchen. "Perversling.", nuschele ich nur beim gehen. Ein unglaublich albernder Versuch folgt, ohne bemerkt zu werden von den Toilette zu flüchten, jedoch bemerke ich viel schneller als mir lieb ist, dass es gar nicht nötig gewesen wäre. Mein Dad ist sowieso viel zu beschäftigt, mit seiner Begleitung.

She's bittersweetWo Geschichten leben. Entdecke jetzt