Kapitel 20

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𐤟Julia𐤟

Lenni beendet seine Erzählung und ich bin ihm unendlich dankbar, dass er das mit mir geteilt hat. Ich hole tief Lust und muss gegen die Tränen ankämpfen. Meine Arme strecke ich nach Lenni  aus und er folgt meiner Einladung und legt seine Arme ebenfalls um mich. Meine Finger krallen sich in den weichen Stoff seiner Jacke und mit seiner Hand streicht er behutsam über meinen Rücken. Ich weiß nicht, wer wen von uns hält. Ich halte Lenni, weil ich weiß, wie schwer es für ihn war, mir diese Geschichte anzuvertrauen. Ich umklammere ihn mit meinen Armen und Händen, damit er weiß, dass ich seine Trauer ebenso spüre und er hält mich. Er hält mich und schenkt mir so den Mut und das Vertrauen in mich, dass mein sehnlichster Wunsch, nach einem eigenen Kind irgendwann in Erfüllung gehen wird.
Langsam löse ich mich wieder aus der Umarmung und schaue Lenni an. "Das Rauschen der Wellen hatte trotzdem etwas beruhigendes für dich oder?" Meine Gedanken gehen an den Tag zurück, an dem er mir das erste Mal davon erzählt hat, dass man sich an der Gera einbilden kann es wäre die Nordsee. Lenni nickt "Es tat mir immer gut, zu denken, dass dieses Geräusch das letzte war, was mein Bruder gehört hat. Das ist eine Erinnerung, die irgendwie sehr lebendig wirkt." "Wie hieß dein Bruder?" frage ich etwas ängstlich davor, dass die Frage womöglich unsensibel scheint. "Jakob" antwortet er mir und ganz plötzlich habe ich das Gefühl, das alles, was mir Lenni eben erzählt hat, nochmal zu hören. Das was Jakob, Lenni und seine Eltern erlebt haben ist in keinster Weise vergleichbar mit etwas, was ich bisher erlebt habe. Ich habe wichtige Menschen aus meinem Leben verloren, aber nicht für immer. Ich lag im künstlichen Koma. Auch das alles war schlimm, aber ich wurde nie in solch einer furchtbaren Art mit dem Tod konfrontiert. Voller Trauer schauen Lenni und ich uns an. Eine Träne rollt langsam über seine Wange. Ich lege meine Hand dorthin und wischen sie vorsichtig weg. "Das, was du erzählst hast, das klang danach, dass du der beste, tollste und großartigsten Bruder der Welt warst. Auch wenn es keine Ewigkeit war, dann war doch einer der letzten Momente, die Jakob erlebt hat, der in den du mit ihm am Strand sahst und eine Sandburg gebaut hast." Dankbar lächelt Lenni mich an. "Du bist einfach der Wahnsinn. Wieso bist es gerade du, die ich hier in Erfurt als erstes kennengelernt habe?" auf Lennis Gesicht  schleicht sich wieder ein Lächeln. Ich muss schmunzeln und zucke mit den Schultern. "Keine Ahnung." unsere Augen treffen sich, ich beiße mir auf die Unterlippe und will gerade wieder wegschauen, da legt Lenni seine Hand an mein Kinn. "Du darfst mich anschauen Julia." Ich nicke, wie recht er doch hat. Es kann mir dabei nichts passieren. Und auch wenn ich mich auf ihn einlassen kann mir nichts passieren. Es sei denn ich verliere ihn am Ende doch wieder, aber daran bin ich bereits gewöhnt. 𐤟Julia𐤟
Meine Gefühle fahren Achterbahn, als mich Lenni in diesem Moment anguckt. Ich möchte ihm mit meiner Hand durch sein dichtes Haar fahren, seine Hand an meiner spüren und ihn nie wieder loslassen. "Wollen wir wieder rein gehen?" unterbricht er den Augenblick. Er will gerade ausstehen, da halte ich ihn zurück und schüttel den Kopf. Ich will nicht wieder zurück ins Klinikum. Ich möchte für einen Moment glauben ich könnte alles haben und alles schaffen. Mein Herz pocht mir bis zum Hals, als ich mich schließlich zu Lenni vorbeuge und meine Lippen behutsam auf seine lege. Erstaunt hält er inne, erwidert dann aber meinen Kuss. Unsere Lippen bewegen sich im Gleichtakt aufeinander. Und endlich gebe ich mich dem Drang danach hin, seine Haare an meinen Händen zu spüren.
Mit einer Handbewegung zieht er mich näher an sich. Der anfangs noch so schüchterne Kuss wird mit der Zeit intensiver. Irgendwann löse ich mich atemlos von ihm. Unweigerlich muss ich Lächeln. "Wie haben wir das nur so lange ausgehalten?" fragt Lenni und zieht mich wieder an sich, um mir einen erneuten Kuss zu geben.

And the chaos within me found balance Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt