Wenn sie gekonnt hätte, hätte sie sich am Donnerstagnachmittag bestimmt das Herz herausgeschnitten, so wild und unangenehm hämmerte es gegen ihre Brust. Sie stand seit einer knappen Stunde vor dem Kleiderschrank und wusste nicht, was sie zu ihrem Date anziehen sollte. Gestern hatten sie und Drew einander wieder im Bistro getroffen, aber es hatte geregnet, also waren sie nicht auf dem Campus herumspaziert, sondern hatten den letzten freien Platz im Café ergattert, direkt neben dem Fenster. Es war schön warm gewesen, das Licht gedimmt und die dicken Tropfen waren direkt neben ihnen gegen die Scheibe geklatscht.
Drew hatte wieder ihren Kaffee bezahlt und ihre Hände hatten sich beim Verlassen des Bistros gestreift, aber sie hatte sich nicht getraut, danach zu greifen. Heute hatte sie im Café gewartet und gewartet und gewartet, aber er war nicht aufgetaucht. Sie hatte auch mehrmals ihr Handy gecheckt, aber er hatte nicht geschrieben und sie hatte nicht aufdringlich sein und nachfragen wollen.
Erst, als sie im Bus auf dem Weg nach Hause gesessen hatte, war eine Nachricht eingetrudelt, in der er sie gefragt hatte, ob sie heute Abend Lust auf Kino hatte, ohne seinen Verbleib in der Mittagspause zu erklären. Aber sie hatte in der Sekunde, in der sie seine Nachricht geöffnet hatte, eine Aufregung in ihrem Magen verspürt, die so groß war, dass sie alles andere verdrängt hatte. Auch die Tatsache, dass Izzy heute wieder nicht in der Schule gewesen war. Gestern hatte sie ihre kleine Schwester mitschleifen können, aber heute hatte sie Bauchschmerzen wegen ihrer Periode vorgeschoben. Das hatte sie ihr zwar nicht abgekauft, aber sie hatte keine Lust gehabt, Izzy die Decke wegzuziehen, sie am Fuß aus dem Bett zu zerren, ihren Tritten und Schlägen auszuweichen und ihr Geschrei zu erdulden, weil sie partout nicht in die Schule gehen wollte.
Sie konnte Izzy nicht zwingen. Zu gar nichts.
„Schwarze Unterwäsche geht immer", meinte Izzy. Sie hatte zur Abwechslung mal einen guten Tag, vielleicht eben deshalb, weil sie sich am Morgen halb verreckend gestellt hatte und zu Hause geblieben war. Izzy lungerte mit einer Chipstüte auf dem Bett ihrer großen Schwester herum.
„Soweit war ich auch schon", entgegnete sie genervt. Von ihrem Taschengeld hatte sie sich einmal zwei hübsche Unterwäsche-Sets gekauft (einmal in kühlem Blutrot und in schlichtem schwarz), extra für die besonderen Anlässe und sie hegte und pflegte sie, wusch sie nur mit der Hand, hatte immer Säckchen mit frischem Lavendel auf ihnen liegen, damit keine Motten an ihnen knabbern würden und trug sie nur zu ganz besonderen Gelegenheiten, weil sie Angst hatte, sie könnten ausgetragen oder kaputt werden und sie kein Geld hatte, neue zu kaufen.
Ein Mädchen brauchte einfach Unterwäsche, in der es sich sexy fühlte -als sei es tatsächlich etwas Wert- und sie hielt an allem fest, das bei anderen Leuten den Anschein erweckte, dass sie wohlhabend und gepflegt war und keine einzige Sorge in ihrem Leben hatte. Sie wollte nicht als das kleine Problemkind mit der psychisch labilen Mutter sein, sie wollte das Mädchen sein, dem Frauen böse Blicke zuwarfen, wenn es den Raum betrat, weil sich alle Jungs zu ihr umdrehten. Vielleicht war es dumm, zu denken, dass schwarze oder rote Spitzenunterwäsche dafür sorgen würde (schließlich würde die niemand außer ihr und dem Jungen, für den sie sich auszog, sehen), aber es genügte ihr, zu wissen, dass sie sie trug. Es gab ihr ein Gefühl der Selbstsicherheit, das ein Lippenstift um drei Dollar nie geschafft hätte.
Geschminkt hatte sie sich bereits. Ihre Narbe war makellos abgedeckt, die Lidstriche sahen nach drei Versuchen endlich symmetrisch und messerscharf aus und nachdem sie sich eine halbe Stunde einen Eiswürfel an den Pickel auf ihrem Kinn gedrückt hatte, war er ein wenig abgeschwollen und leichter zu überschminken gewesen.
„Was zählt, ist die Unterwäsche. Der Rest ist doch ohnehin unwichtig", bemerkte Izzy. Das Knistern der Chipspackung machte sie irgendwie wütend, weshalb ihre Schwester vermutlich extra oft hineingriff. Heute Nacht würde sie auf Chipskrümel schlafen.
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The Edge of Life
Teen Fiction„Wir sind alle nur traurige Menschen mit glücklichen Gesichtern." Die Geschichte vier junger Menschen.