Sie hatte geächzt und gestöhnt und gekeucht und geweint, als sie sich mit ihrem verstauchten Handgelenk wieder und wieder vom Boden hatte drücken müssen.
Er hatte wie ein Geier neben ihr gestanden, der nur darauf gewartet hatte, dass sie zusammen brach, um von ihr naschen zu können. Allein ihre Angst vor ihm hatte sie weiter machen lassen, aber bei der vierundzwanzigsten Liegestütze war sie mit dem Oberkörper kraftlos auf den Boden gesackt und hatte in dem ausgeschütteten Wasser und den Scherben des zerbrochenen Wasserglases gelegen. Die Feuchtigkeit hatte sich in den Stoff ihres T-Shirts gesogen. Ihr war schwindelig gewesen, ihre Arme hatten gezittert und waren fast gefühllos und ihr Handgelenk war fürchterlich rot und angeschwollen gewesen, genug zumindest, dass sie es in dem düsteren Licht der Küche hatte sehen können.
„Steh auf!", hatte der Mann geknurrt, aber sie hatte sich nicht bewegen können. Er hatte sie an den Haaren gepackt und auf die Knie gerissen. Penetranter Bier- und Schweißgestank waren ihr in die Nase gestiegen. Und sie hatte sein Haargel gerochen und ihr war plötzlich nur allzu deutlich bewusst geworden, dass sie keinen BH getragen hatte. Warum hätte sie das auch tun sollen? Sie hatte schon im Bett gelegen und hatte sich nur etwas zu trinken holen wollen.
Sie hatte keine Ahnung gehabt, was passiert wäre, wenn nicht im nächsten Augenblick Ryan den Mann von ihr weggerissen hätte. Sie war wieder auf den Boden gestürzt. Sie war auf ihr Handgelenk gefallen, Tränen waren ihr in die Augen geschossen und sie hatte das Gefühl gehabt, vor Schmerzen gleich ohnmächtig zu werden.
An die nächsten Sekunden erinnerte sie sich nur wie in einem Film, als sei sie nie wirklich dort gewesen (als hätte sie auf der anderen Seite des Raumes gestanden, vielleicht im Türrahmen, und hätte von dort aus zugesehen), und sie war sich auch nicht mehr sicher, was davon wirklich passiert war und was sich ihr Kopf über die Monate hinzugedichtet und verdreht hatte.
„Lass sie in Ruhe!", hatte Ryan aufgebracht gerufen und den Mann wie ein wildes Tier angefunkelt. Er hatte eine kurze Schlafhose und ein T-Shirt getragen, auf dem E.T. phone home gestanden hatte. Sie wusste noch, wie albern sie das am Vortag gefunden, als sie ihn nachts auf seinem Zimmer besucht hatte.
Der Mann hatte sich schnell wieder von dem Blitzangriff erholt, sich die Haare aus der Stirn gestrichen und sie hatte es bemerkenswert gefunden, dass Ryan sich auf diesen Koloss gestürzt hatte. Der Mann war größer als er und beängstigend durchtrainiert gewesen.
„Geht es dir gut?", hatte Ryan besorgt gefragt, aber sie hatte nicht geantwortet.
„Zurück auf dein Zimmer!", hatte der Mann Ryan angeknurrt und hatte wieder auf sie zugehen wollen, aber Ryan hatte sich ihm demonstrativ in den Weg gestellt.
„Ich pisse auf deine Befehle!"
Da hatte der Mann Ryan am Arm gepackt, ihn vielleicht auf sein Zimmer zurück zerren wollen, aber dazu war es gar nicht gekommen, denn Ryan hatte sich kraftvoll losreißen wollen, war in die Wasserpfütze und auf ein paar Scherben getreten und auf dem grünen Linoleumboden ausgerutscht.
Sie wusste nicht, ob der Mann Ryan in diesem Augenblick absichtlich losgelassen hatte.
Sie wusste auch nicht, ob sie tatsächlich hingesehen und miterlebt hatte, wie Ryan nach vorne gestürzt und sich den Kopf an der Ecke des Küchentisches aufgeschlagen hatte. Sie wusste nicht, ob diese Bilder echt waren, oder ob sie nur das viel zu laute, verstörende Geräusch seines aufbrechenden Schädels gehört und ihr Kopf sich den Rest dazugereimt hatte.
Zwei Gläser und eine Gabel und ein Messer hatten auf dem Tisch geklirrt, als sein Kopf dagegen gestoßen war.
An eine Sache erinnerte sie sich jedoch noch ganz genau. Und das war, wie Ryans Körper auf dem Boden aufgeschlagen war. Erst die rechte Schulter, dann der leblose Kopf, der hart aufgeprallt war und die Wunde bestimmt vergrößert hatte. Dann war sein Oberkörper frontal auf den Boden gekippt.
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The Edge of Life
Novela Juvenil„Wir sind alle nur traurige Menschen mit glücklichen Gesichtern." Die Geschichte vier junger Menschen.