Sie konnte sich noch genau an das erste Mal erinnern, als sie dafür bezahlt worden war, mit einem Kerl zu schlafen.
Es war auf einer Party in einem recht verfallenen, umzäunten Fabrikgelände gewesen. Sie waren mit ihren Rucksäcken über die Drahtzäune geklettert, hatten in einer der großen Hallen den mitgebrachten Alkohol auf einem verstaubten Gerät, das vielleicht eine Trocknermaschine war, abgestellt und an den Wänden zu sprayen begonnen. Nach und nach waren mehr Leute dazugekommen, bis sie bis sie bestimmt fünfzig Köpfe gewesen waren. Jemand hatte sogar Soundboxen mitgenommen.
Gegen Mitternacht hatte sie mit Justin an der Wand gegenüber ihrer gesprayten Kunstwerke gesessen, sie betrachtet und Bier getrunken, obwohl Bier nie wirklich ihr Lieblingsgetränk gewesen war.
Sie war sich nicht ganz sicher, wie alt sie gewesen war. Vielleicht zwölf oder dreizehn. Justin hatte ihr immer gesagt, dass sie locker als achtzehn durchgehen könnte und vermutlich stimmte das sogar, denn fremde Leute behandelten sie nur selten wie ein Kind. Riley hatte gemeint, dass es an ihrem ernsten Gesicht und den großen Brüsten lag.
An diesem Abend hatte sie sich an Justins Schulter gelehnt, um ihr Bild -das ein weinendes Gesicht, das sowohl das eines Jungen als auch das eines Mädchens hätte sein können- aus einer anderen Perspektive zu betrachten, als ihr zwei lange, dünne Beine die Sicht versperrt hatten.
Ein schlaksiger Typ mit blonden Haaren, die er im Nacken zu einem Pferdeschwanz gebunden und bestimmt seit längerem nicht mehr gewaschen hatte, hatte auf sie herabgeblickt und sie gemustert, während er seinen Joint geraucht hatte.
Sie hatte sich näher an Justin gedrückt.
„Deine?", hatte er an Justin gerichtet gefragt.
„Vielleicht", hatte Justin erwidert. „Wieso?"
Der Typ hatte an dem Joint gezogen und den Rauch in ihre Richtung geblasen. „Wie viel kostet die Kleine?"
„Wie viel sie kostet?", hatte Justin ungläubig erwidert und sie war erleichtert gewesen, dass seine Reaktion so abweisen ausgefallen war. Auf manchen Suicide-Partys hatte sie schon auf Menschen getroffen, die für Geld mit anderen Menschen Sex gehabt hatten und sich deshalb das Leben nehmen wollten. Das hatte sie nie ganz verstanden. Sex war nichts Furchtbares und Geld war toll, warum hätte man sich deshalb umbringen wollen, anstatt es einfach weiter zu machen?
Sie hatte dabei außer Acht gelassen, dass diese Menschen vermutlich nicht nur mit gutaussehenden, witzigen Justin's Sex gehabt hatten, sondern vielleicht auch Mal mit dem einen oder anderen Danny.
In dem Moment, in dem der Pferdeschwanztyp sie so lüstern gemustert hatte, hatte sie ganz gut nachvollziehen können, warum manche Menschen deshalb eine Überdosis verpasst hatten.
„Komm schon, Alter, nenn mir einen Preis."
„Ich bin nicht dein Alter." Sie hatte sich verdrücken wollen, aber Justin hatte sie an der Hand festgehalten und den Typen nachdenklich gemustert. „Wie viel bietest du mir denn?"
„Spinnst du?", hatte sie gefragt, aber er hatte nicht reagiert.
Pferdeschwanz hatte in seinen Taschen gekramt und war dabei gewankt. Mühsam hatte er das Geld gezählt.
„Ich hab vierundzwanzig Mäuse."
„Hm. Dafür kannst du sie dreißig Minuten haben", hatte Justin gegrinst und sie hatte sich losgerissen, war aufgestanden und die zwei Vögel alleine gelassen. Justin hatte sie eingeholt.
„Was ist denn los?", hatte er ahnungslos gefragt.
„Was los ist? Ich will nicht mit irgendeinem Kerl für Geld schlafen. Hast du sie noch alle?"
DU LIEST GERADE
The Edge of Life
Teen Fiction„Wir sind alle nur traurige Menschen mit glücklichen Gesichtern." Die Geschichte vier junger Menschen.