Als sie Clayton kennengelernt hatte, war sie erst vierzehn gewesen.
Sie hatte sich so leer gefühlt, als würde sie jemanden vermissen, ohne zu wissen, wen. Sie war an einem Punkt angelangt, an dem sie nicht mehr gewusst hatte, was sie mit sich anfangen sollte. Mit sich und ihrer Schwester und besonders mit Mom. Izzy, die schon mit elf Jahren jeden Abend das Haus verlassen hatte und mit verrauchten Klamotten und oft auch Alkoholfahne zurückgekommen war.
Und Mom. Mom, die zu der Zeit ihren Job als Tellerwäscherin in einem Restaurant verloren hatte, weil sie es in ihrer Manie lustig gefunden hatte, alle Teller und Gläser in der Küche auf den Boden zu werfen und dann auf den Tischen der Gäste zu tanzen und These Boots Are Made for Walking gebrüllt hatte, nachdem einer ihrer losen Beziehungen wieder in die Brüche gegangen war und sie ihre Medikamente verweigert hatte. Sie war nach Hause gekommen und hatte die Mädchen geschnappt, war mit ihnen ins Auto gestiegen und an den See gefahren.
Sie war bereits alt genug gewesen, um zu wissen, dass das Verhalten ihrer Mom einer unberechenbaren Krankheit zuzuschreiben gewesen war. Also hatte es ihr Angst gemacht, als ihre Mom im seichten Wasser getanzt und geschrien und gelacht hatte. Sie und Izzy hatten auf einer Decke gesessen mit ihren Mützen und ihren Schals und ihren dicken Winterjacken. Es war Anfang Februar gewesen.
Irgendwann war ihre Mom wieder gekommen, hatte sich völlig durchnässt und blass und mit blauen Lippen zu den Mädchen gebeugt und Izzy hatte sich näher an ihre große Schwester gedrückt, aber Mom hatte sie gepackt und gelacht und ihr gesagt, dass es wunderbar war, etwas Verrücktes zu tun, und dass sie ins Wasser kommen sollte, weil die Kälte sie lebendiger machte.
Es war zwar nur Wasser gewesen, aber Izzy hatte so sehr geschrien, dass sie sich noch genau an den Klang erinnern konnte, an die Tränen, an die Angst in den Augen ihrer Schwester, an ihre eigene Angst, weil ein Teil von ihr geglaubt hatte, dass Mom Izzy gleich ertränken würde.
Das hatte Mom nicht getan, sie hatte Izzy lediglich samt ihrer Kleidung ins eiskalte Wasser geworfen und war dann noch eine Stunde mit den beiden am See geblieben. Es hatte zu schneien begonnen und Izzy hatte Rotz und Wasser geheult, obwohl sie ihrer kleinen Schwester schon die triefende Jacke und den Pullover ausgezogen und ihr ihre Jacke gegeben hatte. Sie hatte selbst gefroren, aber sie hatte solche Angst gehabt, dass ihre Schwester krank werden würde, dass sie kaum gemerkt hatte, wie kalt ihr selbst gewesen war. Sie hatte Izzy auch ihren Schal und ihre Mütze übergestreift, ihr angeordnet, dass sie ins Auto auf die Rückbank steigen und sich Schuhe und Hose ausziehen und sich in die Decke, die im Kofferraum gelegen hatte, einwickeln sollte.
Izzy war trotz ihrer Bemühungen krank geworden und nach diesem Ausbruch von Euphorie ihrer Mom, hatte sie gewusst, was als nächstes passieren würde. Auf jedes Hoch folgte ein Tief. Es war unausweichlich.
Und sie hatte Recht behalten.
Zwei Wochen lang hatte ihre Mom sich nicht mehr blicken lassen. Mom war erst nur in ihrem Zimmer gewesen, ohne sich zu bewegen und hatte eine Weinflasche nach der anderen geleert.
Sie hatte sich angewöhnt, von übrigem Geld Bettunterlagen zu kaufen, denn es passierte oft, dass ihre Mutter in den depressiven, betrunkenen Phasen ins Bett machte, ohne es zu bemerken und sich einen Dreck darum scherte; nicht einmal duschen ging oder die Laken wechselte. Darum hatte sie sich kümmern müssen.
Sie hatte den scharfen, beißenden Geruch noch immer in der Nase, wenn sie an diese Zeit zurückdachte.
Und dann war ihre Mom plötzlich verschwunden. Sie hatte schon geglaubt, sie hätte sich irgendwo von den Dächern gestürzt oder wäre so tief in den See gewatet, dass sie ertrunken war. Das Geld war ihr ausgegangen und sie hatte jeden Cent zusammengekratzt, um für sich und Izzy etwas zu Essen zu kaufen. Sie hatte ihre kleine Schwester weiterhin in die Schule gebracht und dafür gesorgt, dass sie ihre Hausaufgaben erledigte.
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The Edge of Life
Novela Juvenil„Wir sind alle nur traurige Menschen mit glücklichen Gesichtern." Die Geschichte vier junger Menschen.