The Tommo Way

Verlockung {6}

„Mensch G, du bist so eine doofdusselige Nichtskönnerin", brüllte Em, die hinter mir den Gang entlangrannte und schlitterte. Man hörte ganz deutlich, dass sie leicht in Atemnot war, ebenso wie ich. Ich ignorierte ihren Kommentar und hechtete um eine Ecke.

Dummerweise hatten wir draußen noch so lange miteinander geredet, dass wir das Klingeln überhört hatten, welches den Schülern verdeutlichte, dass der Unterricht begann. Unser Zuspätkommen war also nicht nur meine Schuld.

In der ersten Stunde hatten wir eine Doppelstunde Englisch bei einer Referendarin, im Raum...

„Scheiße", zischte ich und hielt abrupt an. Gehetzt wendete ich mich nach hinten. „Welcher Raum nochmal? Ich hab's schon wieder vergessen". Meine Freundin wirkte auch etwas planlos. Man sah Emma nur so an wie sie nachdachte, mit offenstehendem Mund und Augen die ein Nichts fokussierten. Mensch, mensch, mensch das dauerte doch alles zu lang. Kurzerhand schwang ich meine Tasche von meinem Rücken, zerrte die Schnallen auf und kramte nach meinem Stundenplan, der uns gestern allen ausgeteilt worden war. Leider riss das Papier dabei knapp bis zur Hälfte ein. Leise vor mich hinfluchend, suchte ich nach der Raumnummer indem ich mit meinem Zeigefinger das Gedruckte entlangfuhr. „159", laß ich nun schon zum zweiten oder dritten Mal heute ab. Na wenn das nicht ein supertoller Start ins neue Jahr war. Jippieyajei Schweinebacke!

„Nun komm schon", spornte mich Emma an und trippelte nervös hin und her. Eilig schulterte ich meine Tasche und wir legten die letzten Meter bis zum Klassenzimmer zurück.

Diese anherrschende Stille war gruselig. Da hatte man sofort das Gefühl, das hier ein Ort der totalen Langeweile und sinnlosem Auswendiglernen von Hefteinträgen war. Unsere Schritte hallten in den weiten Gängen wieder und ich wagte es kaum, laut zu atmen. „Willkommen, Sitzplatz in der ersten Reihe", nuschelte ich verbittert und klopfte dreimal an die Tür. Jetzt mussten wir uns auf so ungefähr 26 Augenpaare einstellen die uns alle beurteilend angaffen würden. Da konnte man uns auch gleich an den Pranger stellen. Emma drückte die Klinke, da ich mal wieder stumpfsinnigen Überlegungen nachhing und so war ich gezwungen mich dem Englischkurs zu stellen.

Eine junge Frau mit dunklen Haaren saß mit ihrem halbem Gesäß auf dem Lehrerpult und blickte uns mahnend entgegen, sowie die ganze Schülerschaft, die ich auszublenden versuchte. Ich heftete meinen Blick ganz und gar an die Frau in den H&M Klamotten. Ok, die Möglichkeit dass sie eine der lässigen Lehrersorte war, war damit abgehakt. Und ihre Augenbrauen waren so gezupft, dass sie einfach einen Dauertodesblick drauf hatte.

„Entschuldigen Sie vielmals", leierte Emma runter und schenkte der Referendarin ein umwerfendes Lächeln. Zu meinem Glück war Emma immer beliebt bei Lehrern, schließlich war sie schlau, arbeitete gut mit und so weiter und so fort. Da würde unsere Englischlehrerin sicher auch mir diese Sache nicht in Zukunft noch anhängen. 

„Wieso seit ihr zu spät", konterte sie, ohne eine jegliche Reaktion auf Em's Worte zu zeigen. Ich fühlte mich mehr als unbehaglich, denn wir standen immernoch wie bestellt und nicht abgeholt vor der ganzen Klasse und hatten keine Chance uns auf einen Sitzplatz zu flüchten. Beim Hereingehen hatte ich leere Plätze in den vorderen Reihen gleich mit einem niederschmetternden Gefühl entdeckt. Ich visierte die Referendarin, von der ich den Namen leider nicht wusste mit einem herausfordernden Blick. Emma spielte eingeschüchtert mir ihren Fingern, also lag es an mir zu sprechen.

„Vielleicht deswegen, weil wir eigentlich gar nicht kommen wollten", meinte ich herausfordernd und verlieh meinen Worten einen biestigen Unterton. Sofort bereute ich die Worte insgeheim, doch es war zu spät. Sie riss ihre Augen auf, dabei konnte man diese Aussage sowohl auf Emma als auch auf die Mrs beziehen. „Na dann", sagte sie steif. Oh oh, jetzt hatte sie mich zu einer Milliarde Prozent am Kiecker. Dahin waren all meine Vorsätze im letzten Jahr besonders zu glänzen. „Da sind noch freie Plätze".