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Als Chuuya die Augen öffnete war es stockdunkel in seinem Zimmer. Er rieb sich müde über seine Augen und blickte direkt aus dem Fenster als er sich ein Stück aufrichtete. Der Mond stand groß und still am Himmel und sein kaltes Licht tauchte den Raum in einen gespenstischen Schein. Der Rothaarige wusste nicht wie lange er geschlafen hatte, auch wusste er nicht wie spät es war, doch ein unbestimmtes Gefühl in seinem Magen sagte ihm, dass etwas schreckliches passiert war. Er stand auf, sein Körper erschien ihm um einiges kräftiger als vorher und er zitterte nicht mehr. Ganz im Gegenteil, er fühlte sich stärker, als hätte sein Körper nur Gewissheit gebraucht, dass der tobende Gott der Zerstörung in ihm immer noch da war, um sich wider zu erholen. Mit festen Schritten verließ er sein Krankenzimmer und eilte den Flur entlang, es war ihm egal wie vertraut Odasaku und Dazai waren, es war ihm egal das er sich vielleicht total blamieren würde und es war ihm egal das sich damit alles zwischen ihnen ändern würde. Er brauchte Gewissheit und wenn er es ihm jetzt nicht sagen würde, würde er es niemals tun. Um so näher er dem Wohntrakt  des  riesigen Gebäudes kam um so größer wurde sein Unbehagen und mit jedem Schritt wurde eine Stimme in seinem Kopf lauter, die immer und immer wieder den gleichen Satz wiederholte.

Du kommst zu spät.

Flüsterte die Stimme in seinem Kopf und das mulmige Gefühl wanderte von seinem Bauch in seine Brust.

Du kommst zu spät.

Zusammen mit dem Trällern der Stimme baute sich ein Druck in seiner Lunge auf der ihn nach Luft schnappen ließ. Ein seltsames Ziehen breitete sich nun auch noch in seinen Beinen aus.

Du kommst zu spät.

Auf Chuuya wirkte diese Stimme schon fast ein wenig belustigt, so als wüsste sie ganz genau was gleich passieren würde. Und als würde sie genau dieses Ereignis mit sadistischer Vorfreude erwarten.

Du kommst zu spät.

Jetzt rannte der Rotschopf nicht mehr durch die Gänge, er raste. Er kannte sich so gut in diesem Gebäude aus das er auch bei Dunkelheit ohne Probleme den Weg fand. Doch während er durch die Flure hastete und der Wohnung seines Partners immer näher kam schrie ihm etwas in seinem Körper entgegen sich umzudrehen und zu vergessen das er zu dem Braunhaarigen wollte. Er bog um die letzte Ecke und sah die Tür zu Dazais Apartment, er blieb stehen.

Du kommst zu spät.

Nachdem die Stimme immer lauter geworden war klang ihr altbekannter Satz, den sie wie ein Mantra immer wieder in seinem Kopf gesummt hatte, jetzt wie ein Flüstern. Mit stockenden Atem ging er langsam auf die Tür zu und drückte die Klinke herunter, sie ließ sich öffnen, was bei Dazai eigentlich kein Wunder war, er schloss nie ab. Chuuyas Herz schlug ihm bis zum Hals als er vorsichtig in die Wohnung eintrat und sich in dem dunklen Flur umsah. „Dazai?", seine Stimme zitterte leicht und war nicht einmal ansatzweise so laut wie er es beabsichtigt hatte. „Dazai bist du hier?", er ging durch den Flur in den Wohnbereich, als etwas unter seinen Füßen knisterte wanderte sein Blick auf den Boden. Überall auf dem Packett lagen Berichte und Dokumente verstreut, auf dem Schreibtisch lag ein einzelner Stift.

Du kommst zu spät.

Und jetzt begriff er, was es war, auf das die Stimme so freudig entgegen gefiebert hatte. Dazai war nicht hier, er hatte seine Wohnung verlassen und er würde nicht wieder hierher zurückkehren. Egal wie lange er warten würde. Chuuya sank auf die Knie und starrte auf das Wirrwarr von unzähligen Akten und einzelnen Papieren, er entdeckte Berichte von gemeinsamen Missionen, Aufträge die schon so lange zurück lagen das er sich kaum noch an die Sticheleien des Braunhaarigen erinnern konnte. Und zwischen all diesen dicht beschriebenen Blättern lag er, ein einzelnere Briefumschlag, mit nichts weiter als seinem Namen darauf. Blutflecken waren an den Seiten zu erkennen und die Schrift war nicht so ordentlich wie sonnst, doch trotz all dessen wusste er, wer dort seinen Namen geschrieben hatte. Er griff mit zitternden Händen nach dem Brief und sah ihn an, ohne ihn zu öffnen, ohne zu blinzeln, ja er hatte sogar seinen Atem angehalten und starrte auf dieses befleckte Stück Papier in seinen zitternden Händen. Das vermutlich letzte was er je von seinem Partner erhalten würde.

Odasaku starb. Dazu blickte auf den Körper in seinen Armen und fühlte so viel auf einmal und doch gar nichts. Sein bester Freund war tot und mit seinem letzten Wunsch hatte er Dazai eine Last ausgetragen die dieser nicht annehmen wollte. Natürlich hatte Oda recht gehabt und natürlich war es ein erstrebenswertes Ziel denen zu helfen die sich selbst nicht helfen konnten. Menschen zu retten statt sie zu töten und in Angst und Schrecken zu versetzten. Doch musste ausgerechnet das sein letzter Wunsch sein? Musste Odasaku in seinem letzten Atemzug besiegeln das Dazai die Mafia verlassen und damit Chuuya zurücklassen würde? Er starrte auf seine Hände, sie waren mit seinem Blut bedeckt und die Verbände sogen dieses gierig auf als seien sie verdurstende in der Wüsste, die nach Tagen endlich eine Wasserstelle fanden. Dort saß er nun, ein junger Mann der in seinem Leben nichts gelernt hatte außer das, was ein Mafia Boss ihm beibringen konnte, der in einer Welt von Lügen, Machtspielchen, Erpressungen, Intrigen, Verrat und Mord groß geworden war. Und genau diesem jungen Mann sagte ein Todgeweihter, er solle los gehen und Menschen retten. Fast hätte der Braunhaarige gelacht, so lächerlich klang dies in seinen Ohren, er konnte den Menschen nicht helfen, er konnte ja nicht einmal sich selbst helfen. Wie sollte er, Osamu Dazai, eine der jüngsten Führungspersonen der Port Mafia, anfangen Menschen zu retten und das Richtige zu tun? Was hieß das überhaupt, das Richtige tun? War nicht für jeden etwas anderes richtig? Und wie sollte er das Richtige tun, wenn Odasakus Bitte ihn zwang etwas zu tun, was er nicht als richtig empfand? Er sah auf seinen besten Freund, der in seinen Armen in einen ewigen Schlaf gefallen war und ihm keine einzige seiner Fragen beantworten würde. Er würde ihm nie wieder eine Frage beantworten, nie wieder einen guten Rat geben und nie wieder würde Dazai die Möglichkeit haben ihm zu sagen wie ätzend sein letzter Wunsch war. Doch obwohl der Braunhaarige so viele Dinge an dem letzten Willen Odas nicht klug fand und er keine Ahnung hatte wie er diesem Willen gerecht werden sollte, stand sein Entschluss fest. Und so verließ er den Ort an dem der gütigste Mensch den er kannte heute seine Augen für immer geschlossen hatte und ging zurück zum Hauptquartier der Hafenmafia. Die Nacht war noch jung und trotzdem stand der Mond hell erleuchtet am Himmel und warf  sein kühles Licht auf die Straßen Yokohamas. Sogar in die düstersten Gassen schein sein stiller Schein in dieser Nacht zu gelangen, doch auch wenn dies nicht so gewesen währe hätte Dazai den Weg ohne Probleme gefunden. Er war oft in Dunkelheit durch diese engen Straßen gestreift, hatte jeden noch so kleinen Winkel entdeckt, zusammen mit Odasaku, mit Chuuya. Seine Gedanken glitten zu dem Rotschopf und ein stechender Schmerz durchzog seine Brust als diese wunderschönen blauen Augen sich in sein Gedächtnis schlichen. Sie erinnerten ihn schmerzlich daran was er hier zurück lassen würde, etwas, was er nie wieder finden würde, da war er sich sicher. Er legte seinen Kopf in den Nacken und sah vorbei an Lüftungsleitungen, Wäscheleinen, Stromkabeln und breiten Fensterbänken in den Sternenhimmel. „Sag mir Odasaku, was hast du dir dabei gedacht mir zu verraten was Liebe ist? Du hättest besser daran getan mir zu sagen das du nicht weißt wie man dieses Gefühl nennt.", er schloss die Augen und ein Windhauch strich durch seine Haare, für einen kurzen Moment war ihm so, als hätte er Oda leise Lachen gehört. Langsam senkte er seinen Kopf wieder und öffnete die Augen, vor ihm erstreckte sich nichts weiter als dreckiger Beton, sein Blick wanderte zu seinen Händen, das Blut war immer noch feucht und tropfte von seinen Fingerspitzen. Am nächsten Morgen würde irgendjemand die Spuren mit seinem Spülwasser von dem Boden der Gasse waschen und niemand würde je erfahren das er hier war und was ihn hier hin verschlagen hatte. Ebensowenig würde jemand von Odas tot erfahren, denn so musste es sein wenn ein Mafioso starb, Dazai hatte dieser Fakt nie gestört, doch bei seinem besten Freund fiel es ihm schwer. Er beschloss das er ihn begraben lassen würde und er würde ihm einen Grabstein machen lassen, vielleicht wollte er dies für Oda tun, vielleicht auch nur um sich selbst zu beruhigen. Er drehte sich um und blickte die Straße herunter, „Leb wohl alter Freund und pass mir auf dem Rotschopf auf. Um mehr bitte ich dich nicht, hab ein Auge auf ihn.", Dazai wandte sich dem Hauptquartier zu und ging. Er wollte ein letztes Mal in seine Wohnung gehen, den alten Brief verbrennen und Chuuya einen neuen schreiben. Er erwartetet nicht das der Kleinere ihm seine Entscheidung verzeihen würde, doch vielleicht könntet er ihn irgendwann verstehen, irgendwann einmal. Und vielleicht würde er irgendwann fähig sein ihm erneut gegenüber zu treten.

Remember not to love me Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt