Kapitel 9

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Tony sah besorgt dabei zu wie Jen nach dem ersten Fläschchen griff und den Deckel abschraubte. „Bist du dir sicher, dass das gut gehen wird?!, fragte er. Jen antwortete ihm nicht. Sie wusste auch nicht, was sie antworten sollte. Wenn sie ehrlich war, wusste sie selbst nicht, ob das funktionieren würde.

Medusa hingegen schien sichtlich zuversichtlich. „Das wird funktionieren. Da bin ich mir ganz sicher."
Tony verschränkte die Arme. „Und was macht dich da so sicher? Wenn es nicht funktioniert, verliere ich meine Schwester. Du kannst das doch nicht einfach auf die leichte Schulter nehmen."
Medusa seufzte. „Was habe ich dazu gesagt, dass du dir keine Sorgen machen sollst?"
Tony verdrehte die Augen. „Ich mache mir aber Sorgen. Das ist meine Aufgabe als großer Bruder."
Medusa steckte den Ball zurück in ihre Gürteltasche. „Ich habe eine Liste mit Dingen erstellt, die Jen umbringen könnten und Gift steht nicht drauf. Ich habe das lange zusammen mit Amber durchdacht."
„Wer ist Amber?"
„Eine Freundin von uns, die sich besonders gut mit Tränken, Gift und Zellen auskennt. Sie hat bestätigt, dass kein Gift Jen etwas anhaben sollte."
Tony wirkte nicht als würde ihn diese Aussagen beruhigen. „Sollte?"
„Es wird ihr nichts anhaben. Vertrau mir einfach."
„Das fällt mir angesichts dieser Situation etwas schwer."
Jen drehte sich mit dem offenen Fläschchen in den Händen zu ihnen um. „Ich fange mit dem hier an.", meinte sie und setzte es an die Lippen.
Tony griff nach ihrem Arm und bewegte sie so dazu die Flasche wieder zu senken. „Bist du dir sicher? Vielleicht tötet es dich ja doch. Vielleicht ist es magisch und reagiert anders mit deinen veränderten Zellen als bei einem normalen Menschen. Es könnte dich langsam töten und du merkst es noch nicht einmal."
„Tony, das wird es nicht. Da bin ich mir sicher.", antwortete Jen und zwang sich zu einem Lächeln. Sie versuchte zuversichtlich zu klingen, aber so ganz gelang es ihr nicht. Sie senkte den Blick. „Falls ich es doch nicht überleben sollte..."
Medusa schüttelte den Kopf. „Du wirst überleben Jen! Schluss mit den Zweifeln."
Jen hob die Flasche wieder an und schaute zu Tony. „Ich hab dich lieb.", sagte sie leise und leerte die Flasche mit einem Schluck.
Tony wandte sich ab. „Ich kann nicht zusehen.", murmelte er.
Jen stellte die Flasche zurück auf den Tisch.
Medusa beobachtete sie. „Geht es dir gut?"
Jen nickte langsam. „Ich denke-"
Plötzlich riss sie die Augen auf und griff sich an den Hals. Sie rang röchelnd nach Luft und sank auf den Boden.
Tony wirbelte herum und rannte auf Jen zu. Er ließ sich neben sie fallen und packte sie an den Schultern. Mit Schrecken beobachtete er wie Jen blau anlief. „Medusa! Mach doch etwas!"; schrie er verzweifelt.
Auf einmal hörte Jen auf nach Luft zu ringen. Die blaue Farbe verschwand aus ihrem Gesicht und ihre Lungen füllten sich wieder mit Sauerstoff. Sie sah auf. „Das war wohl das falsche Fläschchen.", meinte sie und erhob sich wieder. „Dann nehmen wir jetzt das nächste."
Tony starrte sie mit großen Augen an. „Das kannst du doch nicht ernst meinen? Ich hatte fast einen Herzinfarkt."
Jen griff nach der nächsten Flasche. Ihre Hände zitterten etwas. „Das ist die Rache dafür, dass du fast zerquetscht worden bist.", entgegnete sie und wischte sich den Schweiß von der Stirn.
Tony fuhr sich durch die Haare. „Du willst doch nicht wirklich weitermachen, oder? Es könnte dich umbringen."
„Stehe ich noch?", fragte Jen und schraubte die nächste Flasche auf, „Ja, ich stehe noch. Mir geht es gut."
Medusa biss sich auf die Unterlippe. „Bist du dir sicher?", fragte sie leise und versuchte das ungute Gefühl in ihrer Magengegend zu verdrängen. Jen antwortete ihr nicht. Stattdessen leerte sie auch die nächste Flasche mit einem einzigen Schluck.
Tonys Herz schlug schneller. „Mir gefällt das gar nicht.", murmelte er.
Jen ließ die Flasche fallen. Sie zersprang auf dem Boden in tausende Teile. Erneut riss sie die Augen auf und rang nach Luft. Ihre Augen drehten sich nach Innen und dann schrie sie. Ihr Schrei war gequält und voller Schmerzen. Medusas Herz zog sich auf die Größe einer Stecknadel zusammen. Was hatte sie nur getan? Wie hatte sie das nur zulassen können?
Mit einem Schlag riss Jens Schrei ab und sie schnappte nach Luft. Sie stützte sich auf die Unterarme und richtete sich wackelig wieder auf. Sie schwankte etwas, versuchte aber es zu verbergen. Sie holte tief Luft. „Das war es auch nicht.", presste sie schließlich hervor.
„Jen, das ist Wahnsinn! Du musst damit aufhören.", flehte Tony verzweifelt. Jen schenkte ihm ein schwaches Lächeln. „Wir wollen hier doch raus, oder nicht? Ich halte das aus. es sind noch fünf Flaschen."
Sie sah zu Medusa. „Such du eins aus. Vielleicht hast du ja mehr Glück."
Medusa ging langsam auf den Tisch zu und griff nach der Flasche, die ganz rechts stand. „Versuch die.", sagte sie leise und reichte sie an Jen weiter, die diese mit zitternden Fingern ergriff. Sie öffnete es und hielt es hoch, als würde sie einen Tost aussprechen. „Zum Wohl.", sagte sie und trank. Sie stellte es zurück auf den Tisch.
Medusa und Tony beobachteten sie mit einer Mischung aus Besorgnis und Anspannung. Jen fuhr sich über das Gesicht. „Ich spüre nichts.", sagte sie, „Es war wohl das richtige Fläschchen."
„Müsste dann jetzt nicht irgendwie eine Tür aufgehen?", fragte Tony vorsichtig. Jen wollte einen Schritt auf ihn zu machen, doch plötzlich krümmte sie sich. Es war als hätte ihr jemand mit einem Messer in den Bauch gestochen und es mit einem Ruck wieder herausgezogen. Die Schmerzen zogen sich von ihrem Bauch durch ihren ganzen Körper. Ihre Beine gaben nach und sie sank auf dem Boden zusammen. Sie krümmte sich und schrie. Medusa ging neben ihr in die Knie und hielt sie fest. „Ich bin hier.", flüsterte sie, „Ich bin hier, okay? Es wird alles gut."
Auf einmal hörte sie auf zu schreien und ihr Atem ging wieder regelmäßiger. „Ich glaube, das war auch der falsche Trank.", keuchte sie und ließ sich von Medusa hochziehen. Um sie herum schien sich alles zu drehen. Medusa hielt sie an den Schultern fest. „Du solltest damit aufhören. Es war eine schreckliche Idee das von dir zu verlangen."
Jen schüttelte den Kopf. „Das kommt gar nicht in die Tüte.", murmelte sie, „Wir kommen hier sonst nie raus."
„Medusa hat aber recht.", mischte sich Ton ein, „Sieh dich doch einmal an."
Jen schüttelte erneut den Kopf. „Ich ziehe das durch. Wir finden die richtige Flasche.", erwiderte sie und unterdrückte den Drang sich zu übergeben.
Ohne zu zögern griff die nach der nächsten Flasche und begann sie auszutrinken. Der Inhalt schmeckte grässlich, aber es musste sein. Sie schwor sich, dass sie sich beim nächsten die Nase zuhalten würde. Vielleicht würde sie dann weniger davon schmecken.
Tony und Medusa sahen sich besorgt an. Ihnen beiden gefiel es ganz und gar nicht, dass Jen so sorglos an die Sache heranging. Jen stellte die Flasche mit einem leisen Knall zurück auf den Tisch und straffte die Schultern. Sie wischte sich über die Stirn und begann sich Luft zu zu fächern. „Geht es nur mir so, oder ist euch auch so heiß?", stöhnte sie.
Tony schlug sich eine Hand vor den Mund. Jens Haut schien zu glühen. Sie verfärbte sich langsam dunkelrot. Er schaute zu Medusa, die begann in ihren Rucksack herumzuwühlen. Sie holte ihre Wasserflasche heraus und schüttete sie über Jen aus. Das Wasser verdampfte auf ihrer Haut wie ein Tropfen auf dem heißen Stein. „Das ist nicht gut.", murmelte Jen und verdrehte die Augen. Tony sprang auf sie zu und fing sie auf. Glücklicherweise schien seinen künstlichen Armen die Hitze, die von Jens Körper ausging, nichts auszumachen. Langsam verschwand das Glühen und Jens Körper kühlte wieder ab. Sie schlug die Augen auf. Erleichtert stöhnte Tony auf. „Das kann nicht so weitergehen Jen."
Jen befreite sich aus seinen Armen. „Mir geht es gut.", murmelte sie und fasste sich an ihren dröhnenden Kopf. „Mir geht es gut..."
Tony verschränkte die Arme. „Das ist verrückt! Du hörst jetzt sofort damit auf. Wir kommen hier schon irgendwie anders raus, aber das muss aufhören. Deine Zellen mögen sich zwar regenerieren, aber es schadet dir trotzdem, auch, wenn es dich nicht umbringt. Du musst aufhören!"
Jen wankte auf den Tisch zu. „Seit wann höre ich denn auf dich?", fragte sie und öffnete die Flasche. Tony schaute flehend zu Medusa. „Sag du doch auch mal etwas!"
Medusa ging schnellen Schrittes auf Jen zu und nahm ihr die Flasche aus der Hand. „Du wirst das nicht trinken!"
„Medusa, es bringt mich nicht um. Mir geht es gut, wirklich!", beteuerte Jen und ignorierte dabei, dass ihr Kopf dröhnte, ihr unerträglich heiß war und sie den Drang verspürte sich zu übergeben. Medusa schüttelte entschieden den Kopf. „Das kommt gar nicht in Frage."
Jen verengte die Augen zu schmalen Schlitzen. „Na schön!", entgegnete sie und drehte sich von ihrer Freundin weg."
Ehe diese sich versah, hatte Jen nach einer weiteren Flasche gegriffen, diese geöffnet und in einem Zug geleert. Ohne jegliche Vorwarnung fiel sie nach hinten über und bewegte sich nicht mehr.
Tony stürzte auf sie zu. „JEN! Jen sag doch etwas!", schrie er verzweifelt und legte ein Ohr auf ihre Brust. Dann griff er nach ihrem Handgelenk und fühlte ihren Puls. „Sie lebt noch.", sagte er, „Aber ihr Puls ist schwach."
Er fuhr sich mit einer Hand über das Gesicht. „wir hätten das nie zulassen dürfen."
„Wir müssen hier raus.", murmelte eine Stimme und Jen setzte sich langsam wieder auf, „Ihr beide sterbt auf der Stelle, aber ich nicht. Ich kann es schaffen."
Tony atmete auf. „Das kann nicht so weitergehen!"
Jen schob ihn beiseite, rappelte sich auf und torkelte zu dem Tisch. Dabei ignorierte sie Tony und Medusa, die weiterhin auf sie einredeten. Sie schraubte die nächste Flasche auf und zwang sich die zähe Flüssigkeit zu schlucken.
Sie schloss die Augen und erwartete, dass wieder unerträgliche Schmerzen ihren Körper durchzucken würden, doch das geschah nicht. Verwirrt schaute sie zu ihren Freunden. „Sehe ich anders aus?", fragte sie leise. Die beiden schüttelten den Kopf. Plötzlich wurden Tonys Augen ganz groß und er starrte auf Jen. „Deine Hände..."
Jen schaute auf ihre Hände. Sie wurde blass. Ihre Hände begannen sich aufzulösen. Hilfesuchend schaute sie zu Medusa und Tony, die wie angewurzelt dastanden und nicht wirklich wusste, was sie tun sollten. Jen wollte noch etwas sagen, doch dann hatte sie sich vollständig aufgelöst und Tony und Medusa starrten nur auf eine leere Fläche.

Jen schlug die Augen auf und stand nun in einem prachtvoll eingerichteten Raum. Überall standen goldene Statuen, Kisten und kunstvolle Malereien herum. Jen interessierte in diesem Moment jedoch nur die Vase, die direkt neben ihr stand. Sie stürzte auf sie zu und übergab sich. Danach ging es ihr etwas besser.
Keuchend stützte sie sich auf den Rand der großen Vase und schaute sich um. In der Mitte des Raumes stand ein riesiger Sarg, der fast so hoch war wie sie selbst und mindestens zwei Meter breit.
Sie ließ ihren Blick weiter umherschweifen. An der Wand hinter ihr entdeckte sie einen Hebel. Nachdenklich griff sie danach und drückte ihn nach unten. In der Wand knackte es und dann versank sie im Boden. Dahinter kam der Raum zum Vorschein, in dem sie sich zuvor befunden hatten.
„Jen!"
Tony stürzte auf sie zu und drückte sie so fest er konnte an sich. Jen stöhnte auf. „Ich kriege keine Luft."
Tony lockerte den Griff. Er vergaß manchmal welche Kraft er mit seinen Armen aufbringen konnte. „Es tut mir leid.", flüsterte er, „Ich dachte, dass ich dich verloren habe."
Jen lächelte. „Du wirst mich nicht los."
Jetzt kam auch Medusa zu ihnen. Sie hatte die Flaschen mit dem Gift in ihrem Rucksack verstaut. Sie wusste nicht wirklich warum. Vielleicht war sie einfach neugierig, um was es sich dabei handelte.
Sie verschränkte die Arme. „Das machst du bitte nie wieder. Du hast uns wirklich einen Schrecken eingejagt."
Jen winkte ab. „So schlimm war das gar nicht.", entgegnete sie.
Tony sah sich unterdessen in dem Raum um. „Sind wir da?", fragte er leise, „Haben wir es geschafft?"

Medusa 3-Die Fallon GrabstätteWo Geschichten leben. Entdecke jetzt