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Wie bereits geplant holte ich ihn nach der Stunde wieder ab. Gott sei dank geht es ihm wieder gut, aber er muss dringend mehr schlafen. Ich hoffe ich kann ihm irgendwie helfen. Auf dem Weg nach draußen spreche ich ihn genau darauf an.

"Yoongi, ich hätte da mal ne Frage. Du bist ja häufig sehr lange wach, weil du erst nachts dazu kommst du arbeiten? Wieso? Was nimmt dir so viel Zeit in deinem Alltag, dass du dafür sogar deine Hobbies auf die Nacht verlegen musst?"

"Naja, meine Mutter leitet ja ein kleines Restaurant und braucht dringend eine Aushilfe. Daher muss ich nun mal oft einspringen. Versteh das nicht falsch, sie überstrapaziert mich nicht und gibt mir sogar Geld dafür, was ich im Übrigen eigentlich nicht zwingend brauche, aber immerhin etwas. Sie ist auch auf der Suche nach einer Aushilfe, aber bisher ließ sich noch niemand finden." Er lächelt mich leicht an, aber ich sehe dennoch dass es ihn auf Dauer zu sehr anstrengt. Und schon wittere ich meine Chance, ein wenig Geld dazu verdienen müsste ich mir ohnehin und so kann ich ihm gleichzeitig helfen.

"Vielleicht könnte ich ja bei euch aushelfen. So weit weg von mir ist euer Restaurant ja nicht und ich bräuchte sowieso mal einen Nebenjob. Das wäre doch perfekt, dann hast du mehr Freizeit und ich kann mir was dazu verdienen." Yoongis Augen glänzen leicht auf, er scheint der Idee gegenüber nicht abgeneigt zu sein.

"Wenn du das wirklich willst, kann ich gern mal meine Mutter fragen. Willst du einfach mal mit ins Restaurant kommen, dann könnte man das ja besprechen."

Ich stimmte ihm zu und wir entschlossen uns direkt heute hinzugehen. Yoongi wollte mir ohnehin noch was zu Essen spendieren, weil ich ihm heute geholfen habe...

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Zwei Tage später bekam ich die Benachrichtigung von Yoongi, dass ich die Stelle tatsächlich habe. Jetzt arbeite ich jeden Sonntag morgens und Montags bis Mittwochs abends im Restaurant, die restlichen Tage wollte Yoongi dennoch weiter übernehmen, damit ich mich nicht überarbeite. Und morgen ist dann mein erster Tag, jetzt ist es Samstag. Ich hoffe ich mache nichts falsch.

Inzwischen habe ich dann doch relativ wenig Freizeit, gerade wird mir das besonders klar. Ich bin vier Tage die Woche arbeiten, treffe mich dann jeden Freitag mit Namjoon zum Lernen und helfe selbstverständlich Tae sobald ich kann.

Und jetzt liege ich in meinem Bett und bin zu nichts in der Lage. Ich müsste eigentlich für meine Klausur am Freitag lernen, aber ich kann mich einfach nicht dazu aufraffen. In letzter Zeit passiert das irgendwie immer öfter. Ich bringe einfach nichts mehr zu Stande, kann mich auf nichts fokussieren. Was ist nur los mit mir?

Das kann ich dir sagen.

Wieso schon wieder?

Du Schwächling jammerst rum weil du ein bisschen mehr um die Ohren hast als früher. Tu nicht so, als wäre dein Alltag hart. Andere Leute arbeiten jeden Tag und gehen zur Schule, andere werden Zuhause geschlagen und haben auch noch Notendruck dazu. Und du? Du hast relativ gute Noten, ein Dach über dem Kopf, normale Eltern, und einen gut bezahlten Nebenjob. Worüber beschwerst du dich? Darüber, dass deine Freunde dir so viel Vertrauen schenken, dass sie dir sogar ihre Probleme anvertrauen? Deine Gefühle sind vollkommen unbegründet, also hör auf in Selbstmitleid zu baden. Man sollte dich schlagen, damit zu wieder zu Sinnen kommst.

Also ist es mir nicht erlaubt, auch Emotionen zu haben.

An sich schon, aber diese sind vollkommen unbegründet. Also hör auf damit und unterdrück das, mach was die Leute von dir erwarten!

Was ist, wenn ich das nicht kann?

Dann musst du es lernen. Mein Gott, wie kann man nur so kindisch sein?! Ich hoffe jemand schlägt sich wieder zurück in die Realität. Was würde deine Mutter sagen, wenn sie das mitbekommt? Sie würde dich vermutlich vor die Tür setzen.

Ich spüre wie meine Atmung ein wenig schneller wird, wieso fühle ich so. Bin ich wirklich so ein Jammerlappen oder fake ich das ganze vielleicht nur für Mitleid? Hör auf mit mir zu reden, sonst drehe ich noch durch.

Also drehst du jetzt schon durch weil dir jemand die Wahrheit sagt? Unfassbar, du bist ja absolut krank. Krieg deine unbegründeten Emotionen in den Griff.

Ich merke, wie mir Tränen in die Augen steigen. Ich kann einfach nichts richtig machen.

Jetzt weinst du auch noch, wie lächerlich.

Verdammt, ich muss es unterdrücken! Ich Faust so stark gegen die Wand dass es schon an meinen Fingerknöcheln weh tut, aber die Tränen lassen sich einfach nicht unterdrücken. Vielleicht ist es ja doch berechti-

Reiß dich zusammen!

Ich erhöhe den Druck weiter, das muss jetzt aufhören. Wenn ich jetzt weine, bestätige ich mir doch nur, dass ich ein Jammerlappen bin. Ich darf das nicht fühlen! Wieso kann ich es denn nicht?!

SCHALT ES AB! SCHALTE DEINE EMOTIONEN DOCH EINFACH AB!

"AHHHH!" Ich schreie kurz auf und schlage mit voller Wucht gegen die Wand. Das hat sich nicht gesund angefühlt, aber das ist erstmal egal. Da ich merke, wie ich meine Tränen endlich in den Griff bekomme, schlage ich noch unzählige weitere Male gegen die Wand bis ich endlich in der Lage bin aufzuhören.

Doch als sich mein Tunnelblick wieder löst, erschrecke ich mich fast vor mir selbst. An der Wand ist eine kleine Blutspur und meine Fingerknöchel sind ebenfalls blutüberflutet. Geschockt laufe ich in das kleine Badezimmer, welches zu meinem Zimmer gehört. Den Wasserhahn auf eiskalt gestellt halte ich meine Hand darunter. Was ist nur falsch mit mir, das ist doch wohl wirklich nicht mehr normal!

Aus dem Schrank über dem Waschbecken nehme ich den kleinen Verbandskasten und lege ihn, die andere Hand noch unter dem Wasserstrahl, neben mich auf die Kommode. Ich nehme sowohl das Wundspray als auch einen kleinen Verband heraus. Hoffentlich entzündet sich das nicht.

Nachdem ich meine Hand, welche immer noch leicht blutet, abgetrocknet habe, verteile ich großflächig das Wundspray darauf. Nachdem es eingezogen ist, wischte ich mir noch die letzten Tropfen Blut weg und wickele mir geschickt einen Verband darum. Immerhin war ich früher schon recht fingerfertig, daher sieht es recht ordentlich aus.

Ein paar mal öffne und schließe ich meine Finger und der dabei entstehende Schmerz ist akzeptabel, daher werde ich morgen definitiv zur Arbeit gehen. Meinen Eltern, sowie Yoongi und seiner Mutter kann ich einfach sagen, dass ich heute auf dem Nachhauseweg mit dem Rad hingefallen bin. Es hat gegossen wie aus Eimern und ich musste von einem weiteren Treffen mit Tae Fahrrad fahren. Keinen von ihnen habe ich seit dem gesehen, meine Eltern sind beide nicht Zuhause. Wo sie sind ist mir relativ egal, Hauptsache sie sind nicht da um mich anzuschreien. Sie wissen bisher noch nicht einmal, dass ich einen Job habe aber das würde sie sowieso nicht interessieren.

Über die kleine Blutspur an der Wand hänge ich einfach ein Foto von mir mit meinen Freunden, welches ich letztens ausgedruckt hatte. Das wird schon keinem auffallen...

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Therapy° ~ Hoseok FFWo Geschichten leben. Entdecke jetzt