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Am nächsten Tag war ich zu nichts im Stande, Jungkook hatte sich nicht mehr gemeldet und die Sorge und Schuldgefühle werden immer mehr. Was, wenn es ihm doch nahe geht? Was, wenn er das macht, was ich gestern gemacht habe? Und das schlimmste, was wenn er mich jetzt hasst? Ich hätte es zwar verdient, aber ich will ihn nicht verlieren, er ist einer meiner besten Freunde.

Das ist jetzt wohl seine Entscheidung. Du kannst ihn nicht zwingen jetzt auch noch weiterhin mit dir befreundet zu sein, du hast ihm schon alles zerstört.

Ich weiß.

Kommt da nicht wieder so ein bestimmter Drang bei dir auf?

Schon, aber ich will mich nicht wieder ritzen.

Hast du eine Wahl?

Ich würde ja wieder Fahrrad fahren, aber es regnet in Strömen.

Na und, das hast du doch gestern auch gemacht und es hat dir nicht geschadet. Du musst doch sowieso noch ein paar Sachen einkaufen.

Was denn bitte?

Naja, solche Sachen wie Verbandszeug, Wundspray, Druckverbände falls du mal zu tief schneidest und zu guter Letzt neue Rasierklingen, deine sind nämlich schon alt und wir wollen doch nicht, dass sich das ganze entzündet und hässliche Narben hinterlässt.

Da ich nicht wusste, was ich darauf antworten soll, entschloss ich mich einfach der Anweisung zu folgen. Sie wird ja doch nicht locker lassen. Ich zog mir meine Regenjacke über, außerdem nahm ich noch einen Rucksack mit, zudem eine Plastiktüte sodass das ganze nicht so nass wird. Meine anderen Wertsachen legte ich in einen kleinen, wieder verschließbare Plastikbeutel und steckte es ebenfalls in die Tasche. Meinen Schlüssel vom Schlüsselbrett nehmend mache ich mich auf den Weg raus.

Zu aller erst will ich die Sachen kaufen, weshalb ich zu einem Drogeriemarkt ein wenig außerhalb meines Stadtteils fahre. Dort kennen mich weniger Menschen und vor allem wohnen hier sehr wenige Klassenkameraden, was es mir leichter macht. Ich will ja schließlich nicht, dass irgendjemand etwas davon mitbekommt. Bisher regnet es noch nicht ganz so stark, weshalb ich noch nicht völlig durchnässt bin als ich dort ankomme. Nur mein eines Bein tut extrem weh, um genau zu sein eher die Hüfte, vermutlich kommt es immer noch von dem Fall gestern. Wie soll ich morgen nur Yoongis Mutter erklären, dass ich schon wieder mit dem Fahrrad gestürzt bin und schon wieder meine Hand verletzt habe. Genau wie erst vor ein paar Wochen.

Im Laden suche ich mir all die Sachen zusammen die ich so brauche, außerdem noch eine Packung Schmerztabletten. Um zu kaschieren, was ich mit diesen etwas ungewöhnlichen Einkäufen vorhabe, kaufe ich ebenfalls noch eine Flasche Shampoo und Deo, außerdem noch eine Flasche Wasser und eine Dose Kaffee. Ich bin ja vermutlich noch ein wenig unterwegs bevor meine Gedanken Ruhe geben und sollte besser nicht zusammenbrechen.

An der Kasse angekommen bezahlte ich unter strengem Blick des Verkäufers alles, hoffentlich hat er nicht gemerkt, dass ich auch noch die ganze Zeit dabei bin meinen Ärmel herunterzuziehen. Dann wäre sein Verdacht wohl bestätigt. Aber an sich kann es mir ja egal sein, vermutlich werde ich diesen Mann ohnehin nie wieder sehen. Draußen angekommen laufe ich zum Abdach unter dem mein Fahrrad steht und sortiere alles ordentlich in meine Tüte, mein Portemonnaie steck ich auch zurück in den Beutel und verstaue beides im Rucksack. Jenen wieder über die Schulter geschwungen fahre ich los und biege in eine Straße ein die ein wenig nach Außerhalb führt. Da habe ich immer hin meine Ruhe und kann meine Gedanken in Anstrengung ersticken...

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Nachdem ich zwei Stunden in stärkstem Regen umher gefahren bin, bin ich endlich auf einem Level der Ruhe angelangt, bei dem ich mich wieder aufs Lernen konzentrieren kann. Daher mache ich mich auf den Weg nach Hause, die Stimme lässt sich auch nach einer halben Stunde nicht mehr blicken. Endlich. Aber ich fühle mich um ehrlich zu sein auch ziemlich miserabel, ich bin müde, mir tun alle Muskeln weh, außerdem pocht meine Hüfte schon vor Schmerz, genauso wie mein Brustkorb. Was ein kleiner Sturz mit dem Fahrrad alles so ausrichten kann...

Jedenfalls, bin ich rundum erschöpft und werde wohl erst einmal ein Bad nehmen müssen, bevor ich anfangen kann zu lernen. Ich bin so durchnässt, meine Haare werden morgen sonst aussehen wie in Fett getränkt. Und das kann ich mir als Kellner bzw Servierer nicht leisten.

Angekommen Zuhause gehe ich ohne meine Eltern überhaupt irgendwie zu grüßen in mein Zimmer, endledige mich meiner Schuhe und nehme diese ebenfalls mit ins Bad um sie unter die Heizung zu stellen. Sie sollten bis morgen trocken sein. Die gekauften "Hygieneartikel" verstecke ich ebenfalls im Schrank. Daraufhin lasse ich mir ein schön warmes Bad ein und entledige mich erst einmal meines Oberteils. Der Bluterguss an meinen Rippen ist ziemlich schlimm geworden, er zieht sich über die Hälfte meiner gesamten Seite. Auch über dem Bund meiner Jeans schaut ein Bluterguss hervor, seine Größe will ich laut der Schmerzen wenn ich laufe gar nicht wissen.

Doch als ich den Verband an meiner Hand entferne, kommen wie ein Blitzschlag diese Bilder zurück. Wie Jungkook weint, wie Jungkook sich das selbe antun könnte. Wie Jungkook gerade jetzt irgendwo verbluten könnte und ich es nicht einmal merken würde. Ohne zu zögern nehme ich eine der frisch erstandenen Klingen aus der Schublade und nehme sie mit zur Badewanne. Ich habe nicht vor mich umzubringen, aber so kann ich die Wunden direkt auswaschen. Außerdem muss es jetzt sein, sonst plagen mich die Bilder in meinem Kopf mehr als das Bad mir gut tun würde.

Langsam lasse ich mich in das warme Wasser hineinsinken, der Temperatur Unterschied zu meinen Gliedmaßen ist so groß, dass es schon fast wehtut. Doch nachdem ich einmal ganz untergetaucht war, kommt langsam die Wärme in mir zurück.

Und dann nehme ich die kalte Klinge vom Rand der Wanne und lehne mich ein wenig heraus. Direkt daneben, auf dem Boden des Badezimmers befindet sich nämlich ein kleiner Abfluss, eigentlich ist dieser dafür da, falls mal Wasser über den Rand läuft. Doch dieses mal ist es eben etwas anderes.

Ohne sonderlich zu zögern setze ich zwischen den bereits vorhandenen Schnitten an und ziehe die Klinge hindurch. Ein kleiner Schnitt. Ein paar weitere Male setze ich an. Mehrere parallele, feine Schnitte zieren nun ebenfalls meinen Arm. Doch als die Vorstellung von Jungkook in der selben Position wieder hoch kommt, ziehe ich automatisch tiefer durch. Ein paar Tropfen laufen meinen Arm herunter, und tropfen über meine Finger hinunter zum Boden. Fasziniert von den Blut spüre ich das kalte Metall bei den nächsten Wiederholungen kaum. Was genau ich dort angerichtet hatte, sah ich erst im Nachhinein. Es sind sogar mehr Schnitte als letztes mal.

Die Klinge lasse ich neben den Abfluss auf den Boden fallen und lasse mich selbst ein wenig weiter in die Wanne rutschen. Ich habe das Gefühl ich könnte jede Minute ohnmächtig werden. Aber nicht wegen dem Blutverlust, sondern einfach wegen der Erschöpfung. Wegen dem ganzen allgemeinen Stress, wegen dem mit Jungkook, wegen der ganzen Sachen die ich noch so zu tun habe, wie zum Beispiel morgen mit schmerzenden Knochen und Muskeln, außerdem auch noch heruntergekrempelten Ärmeln arbeiten. Dann auch noch das ganze Lernen, da ich ja unbedingt die besten Noten brauche.

Das ist auch wieder so eine merkwürdige Angewohnheit meiner Mutter, sie verlangt immer Bestnoten von mir, und wenn ich schlechtere bekomme schlägt sie mich. Das ist nicht einmal das Problem. Das Problem ist eher, dass sie mich nicht einmal lobt oder irgendwelche positiven Reaktionen hinterlässt, wenn ich dann die Bestnote schreibe. Das einzige was ich bekomme ist ein genervter Gesichtsausdruck, wenn sie es dann auch noch unterschreiben muss. Nie bin ich genug, ich weiß gar nicht wofür ich das alles eigentlich aushalte. Die meisten Menschen in meinem Alter haben nur das Ziel Lob ihre Eltern zu ernten und schreiben daher gute Noten. Und was ist mit mir? Ich habe einfach nur Angst vor den Schlägen.

Noch während ich dort in Selbstmitleid dahinschwimme, verliere ich tatsächlich das Bewusstsein und schlafe einfach, den Kopf auf dem Rand abgelegt ein...

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Therapy° ~ Hoseok FFWo Geschichten leben. Entdecke jetzt