Kapitel 16

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Lucys Sicht:

Ich wachte unter lautem Stimmgewirr auf. Ich wollte meine Augen nicht öffnen, die sollen nicht merken, dass ich wach bin. Ich hatte weder die Kraft dazu, um mit jemandem zu reden, noch die Lust. "Lucy ist wach", sagte eine Stimme, die ich niemandem zuordnen konnte, aber auf die ich sofort sauer war. Ich warf die Decke über meinen Kopf, um allen zu signalisieren, dass ich in Ruhe gelassen werden wollte. "Lucy, stell dich nicht so an", sagte Mum so uneinfühlsam, dass ich mich fragte, ob das wirklich sie war. Ich riss meine Augen auf und sah die leeren, teilweise verheulten Gesichter. Ich umarmte, immer noch verwirrt über ihre Kälte, meine Mutter und sah sie fragend an. Luke war auch hier, genauso wie meine Brüder und Chris. Durften überhaupt so viele in mein Zimmer? "Was ist passiert?", fragte ich verunsichert, denn eine wichtige Person fehlte. Sie begannen darüber zu diskutieren, wer es mir mitteilen sollte. "Ich mache das", sagte Chris und die anderen verließen nach und nach zustimmend den Raum.

Mein Herz raste und ich fragte mich, was jetzt wohl kommen würde. "Ob das ünerhaupt eine gute Idee ist, es dir in deinem Zustand mitzuteilen?", fragte Chris mehr sich selbst, als mich. "Ich werde es überleben, also rede einfach. Ich hab' wirklich keinen Bock auf Geheimnisse und wenn es mich wirklich betrifft, werde ich es schon herausfinden", antwortete ich ungeduldig. "Es geht um Jack... Er hatte gestern einen schweren Autounfall und liegt im Koma..." Ich schnappte mach Luft. Der einzige Halt, den ich gebraucht hätte, wurde mir auch noch genommen. "Sag den anderen, sie sollen gehen. Ich will niemanden hier sehen, abgesehen von dir, falls du deine Zeit mit einem labilen Mädchen verbringen willst", sagte ich kalt.

Als er nickte und den Raum verließ, stand ich auf, obwohl mir das Schwindelgefühl das Gegenteil deutete. Ich setzte mich aber trotzdem nicht. Ich verspürte so eine Wut in mir, auf meinen Vater, auf seine neue, die ihn betrogen hat, auf den Unfall, auf meine uneinfühlsame Mutter. Ich dachte an Jack, wie er wohl aussah und was passiert war, gleichzeitig kam ich einer Panikattacke immer näher. Ich hatte Angst. Es wurde alles zu viel, ich verspürte Atemnot, begann zu zittern und zu schwitzen. Mein Atem wurde stoßweise und obwohl ich irgendwie wusste, dass ich atmete und Sauerstoff bekam, fühlte es sich an, als ob ich ersticken würde. Ich sank auf den Boden, meine Hände zitterten unkontrolliert und ich weinte.

Chris kam herein und als er mich auf dem Boden sitzen saß, rannte er auf mich zu. Ich dachte an meinen Vater, an das was er uns angetan hatte, an Jack, an meine beschissenen Albträume. Dann fühlte ich Chris' Körperwärme, er hatte wohl seine Arme um mich gelegt. Die Kälte folgte, als er mich losließ und fragte, ob er jemanden rufen sollte. Ich schüttelte den Kopf, durch eine Anwesenheit wurde es nach und nach besser. Er setzte sich neben mich und ich lehnte meinen Kopf an seine Schulter, presste mich so sehr an ihn, dass er mich wahrscheinlich für verrückt hielt. Plötzlich riss mich jemand von Chris los und versuchte mich zu beruhigen, bewirkte aber eher das Gegenteil.

Irgendwann öffnete ich meine Augen, das Angst- und Panikgefühl war verschwunden. Chris war noch immer neben mir, aber auf dem Bett, wir saßen nicht am Boden. Er saß am Bett, mein Kopf war auf seinem Schoß gebettet. Jack, wenn du nur wüsstest, wie scheiße es mir ohne dich geht. "Hey, du bist ja wach", sagte Chris und sah mich leicht lächelnd an, er sah gleichzeitig besorgt und müde aus. Ich nickte nur, reden konnte ich jetzt nicht. "Ich musste ziemlich mit der Schwester kämpfen, um ihr klar zu machen, dass du ruhiger wirst, wenn ich bei dir bin", erzählte er und ich musste lächeln. Es tat so gut, seine Stimme zu hören. Es tat generell gut, dass jemand hier war und von allen war mir im Moment Chris am liebsten. Ich sah ihn fordernd an, er starrte verwirrt zurück. "Rede weiter, erzähl' mir irgendwas. Eine Geschichte?", flüsterte ich, nachdem ich mich dazu überwunden hatte, etwas zu sagen.

Er nickte, überlegte kurz und begann dann zu sprechen:"Ich war mal eine Woche in einem Feriencamp, mein Bruder war auch dabei und unsere Cousine, Johanna. Auf jeden Fall war ich da dreitehn und Jack zwölf. Falls du dich fragst, weshalb Jack und ich in der selben Klasse sind, er hat eine übersprungen. Und wir sind nicht wirklich Brüder, aber wir sagen das immer. Naja, ich hab mich in ein Mädchen verliebt, sie war 14 und hieß Melissa. Sie hat wohl gemerkt, dass ich sie immer angestarrt habe und meinte einmal, ich soll um Mitternacht am Flussufer sein. Ich habe gewartet und sie ist dann auch gekommen. Ohne Vorwarnung hat sie mich geküsst und vor lauter Überraschung bin ich zurückgewichen und volle Kanne ins Wasser gefallen. Sie hat natürlich gelacht. Ich hab sie angestarrt und naja... Sie hatte halt schon Brüste, ihr enges Shirt einen relativ großen Ausschnitt und irgendwie kam es zu einem du weißt schon was." Ich musste grinsen und mir das Lachen verkneifen, er sprach weiter:"Sie hat es gesehen und fand das dann garnicht mehr so lustig und beschimpfte mich als Arschloch und meinte, ich würde nur ihr Aussehen beachten. Das ist die Geschichte von meinem ersten Kuss." Er wartete eine Reaktion ab und ich prustete einfach los. Ich lachte gefühlte Minuten, mein Bauch schmerzte bereits.

"Irgendwann erzählst du mir von deinem ersten Kuss, dann sind wir quitt." "Ich war 14 und in einem Feriencamp, mit einem dreizehnjährig-" "Haha, sehr lustig. Ich will die wahre Geschichte hören." "Meinetwegen. Ich war dreizehn und es passierte in der Pause. Ich plapperte ununterbrochen auf meinen Sitznachbarn und damals gleichzeitig besten Freund ein. Da spürte ich plötzlich seine Lippen auf meinen und hab ihm eine geklatscht und ihn gefragt, was er sich eigentlich denkt, und so weiter. Nach der Standpauke hat er gesagt, 'Ich dachte es sei romantisch, ein Mädchen so zum schweigen zu bringen' und alle Zuhörer haben gelacht. Dann hab' ich diese auch noch zur Schnecke gemacht, und ihnen klargemacht, dass sie meinen besten Freund nicht auslachen sollen." Chris lachte ebenfalls, aber nicht so sehr wie ich. Plötzlich kam die Schwester, warf Chris einen feindseligen Blick zu. "Hier dein Mittagessen. Geht es dir gut?" "Abgesehen von leichten Kopfschmerzen schon, danke." Sie nickte und stellte das Tablett ab. Als sie wieder weg war, sagte ich:"Du musst nicht bei mir bleiben Chris. Du musst au etwas essen." "Ich habe unten beim Kiosk gegessen. Du brauchst dir keine Sorgen um mich zu machen." Ich begann zu essen, ich aß die Hälfte der Portion, aber die Nachspeise war mir fast zu wenig. "Du kannst den Rest haben, ich geh' jetzt duschen und nein, ich brauche deine Hilfe nicht." Er grinste mich an und nickte. Ich nahm frische Sachen und ei Handtuch.

Die Dusche tat mir so gut. Meine vorher fettigen Haare rochen wieder gut und waren frisch gewaschen, aber als ich in den Spiegel blickte, erschrak ich. Ich hatte Augenringe, meine Augen waren rot, wahrscheinlich vom Shampoo oder weil ich geweint hatte, abgenommen hatte ich auch ein wenig. Generell sah ich nicht gerde gesund aus. Ich zog mir die frischen Sachen an, meine Haare ließ ich einfach lufttrocknen. Nachdem ich mir die Zähne lange geputzt hatte, entschied ich mich, etwas Make-up aufzutragen. Meine Augenringe und die Pickel, die plötzlich da waren, deckte ich mit Concealer ab, dann benutzte ich Puder und tuschte meine Wimpern.

"Ich muss zu Jack." Ich diskutierte lange mit dem Arzt, der aufgrund meiner psychischen Verfassung dagegen war, dass ich Jack sah. "Bitte, ich muss ihn dringend sehen." "Ich versichere Ihnen, es geht ihm gut." "Das ist mir wirklich egal, von mir aus suche ich ein Zimmer selbst." Er seufzte erschöpft und ich grinste, weil ich wusste, dass er nachgegeben hatte. Ich hatte mir etwas hübscheres zum Anziehen augesucht, obwohl das total lächerlich war, immerhin konnte Jack mich ja nicht einmal sehen. Der Arzt brachte mich schweigend zu seinem Zimmer. Mein Herz rate vor Nervosität, wie Jack wohl aussehen würde. Meine Handflächen schwitzten und ich wischte sie immer wieder an meiner Jeans ab. "Wollen Sie wirklich alleine zu ihm? Nicht, dass sich die Panikattacke wiederholt", meinte der Arzt. "Ganz sicher", wiederholte ich und öffnete ohne ein weiteres Wort die Tür. 

Hey <3 Ich finde das Kapitel seltsam, was sagt ihr dazu? Bitte teilt mir eure Meinung dazu in den Kommentaren mit. Und sagt bitte etwas zu der Kapitellänge, diese sind jetzt kürzer als am Anfang. Danke fürs Lesen, mittlerweile sind es schon 15k Reads! Ich möchte außerdem @romantic_larry für das Cover danken!

Bad boyWo Geschichten leben. Entdecke jetzt