Kapitel 9 - Horus der Drache

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Als Aurora am Morgen aus dem Schlaf erwachte, war die Sonne kurz davor, sich über den Horizont zu schieben. Es war also noch zeitig in der Früh, aber der Tag war am Erwachen. Sie beschloss deshalb, aufzustehen. Es zog sie hinaus an die frische Luft. Sie musste und wollte den Kopf wieder klarkriegen, bevor sie das Training mit Gerivin fortsetzte. Heute standen wieder Schwertkampf und Bogenschließen auf dem Programm. Beides beherrschte sie schon ganz passabel, wollte sich aber noch weiter verbessern.

Nach einer kurzen Morgentoilette ging sie vors Haus. Auf der Wiese, etwa 100 Meter von ihr entfernt stand Gerivin, der dort irgendwelche Kräuter zu sammeln schien. Er hatte ihr den Rücken zugewandt und noch gar nicht bemerkt, dass sie hinter ihm langsam die Wiese hinunterschlenderte.

„Was ist das?", hörte sie Gerivin plötzlich sagen. Er sprach mit sich selbst.

Da bemerkte auch Aurora einen Schatten, der über die Wiese strich. Er wurde schnell größer und als sie nach oben blickte, glaubte sie, ihren Augen nicht trauen zu können. Weit oben kreiste ein riesiges Tier, das von der Silhouette her einem Drachen glich. Aber Drachen gab es doch keine mehr!

Die Prinzessin versuchte sich einzureden, dass es eine Täuschung sei. Dass da oben ein großer Vogel kreist und nur das Licht so ungünstig fällt, dass es aussieht, als sei es ein Drache. Es könnte ja auch sein, dass ihr Geist etwas verwirrt war. Nach den Gesprächen gestern mit Leara, den Treffen mit Horx und ihren Eltern sowie dem Traum in der Nacht zuvor, wäre es nicht ungewöhnlich, wenn sie sich einbilden würde, etwas zu sehen, was es gar nicht geben konnte.

In dem Moment drehte sich Gerivin um und bemerkte sie. Aurora konnte deutlich sehen, dass er die Augen weit aufriss. Panik lag darin.

„Lauf, lauf ins Haus!", brüllte er.

Doch die Prinzessin war viel zu fasziniert, um zu gehen. Der Schatten kam immer näher und näher, er wurde immer größer und imposanter. Schon bald war ihr klar, es konnte definitiv kein Vogel sein. So einen großen Vogel gab es einfach nicht. Immer mehr reifte in ihr die Gewissheit, dass es nur ein Drache sein konnte. So absurd dies auch sein mochte, Aurora hatte einfach keine andere Erklärung für das, was sie dort am Himmel sah.

Gerivin, der sich offenbar dessen bewusstwurde, dass Aurora wie gebannt in den Himmel blickte und sich nicht in Sicherheit bringen würde, setzte sich in Bewegung und wollte auf sie zu rennen. Von oben kam jedoch ein fürchterliches Brüllen und der Drache stürzte beinahe im freien Fall herab auf die Erde. Er setzte gekonnt zwischen der Prinzessin und Gerivin auf und drehte sich dem jungen Mann zu.

Aurora war fasziniert von diesem Wesen. Es war gewaltig. Der Drache überragte das zweistöckige Haus und war doch ausgesprochen grazil gelandet. Er strotzte sichtlich vor Kraft. Sie war einfach hin und weg. Auch, wenn sie eigentlich Angst haben müsste, spürte sie eine unglaubliche Anziehung und hatte einen unbändigen Drang, die Nähe dieses majestätischen Tieres zu suchen.

Der Drache jedoch stellte sich auf die Hinterbeine und fauchte den völlig eingeschüchterten Gerivin hasserfüllt an. Der junge Mann zitterte am ganzen Körper und warf sich zu Boden. Er schlang die Arme um seinen Kopf und blieb reglos liegen. Er schien nur darauf zu warten, dass seine letzte Stunde schlug. Er hatte sich aufgegeben. Dichter Rauch quoll bereits aus dem weit aufgerissenen Maul des Monsters und er wusste instinktiv, dass ihn gleich ein gewaltiger Feuerstrahl treffen und töten würde.

„Aurora, bring dich in Sicherheit", rief er ihr noch schnell zu. Dann schloss er die Augen und wartete voller Angst auf den Tod.

„Drache, lass den Blödsinn!", brüllte hingegen Aurora. „Gerivin ist ein Freund und wird dir nichts tun."

Sie konnte selbst nicht sagen, warum sie dies dem Drachen zurief. Sie wollte vermutlich einfach etwas unternehmen und versuchen, ihn zu besänftigen. Angst vor dem wunderschönen Tier hatte sie trotz dessen Drohgebärden nicht. Diese galten ja auch Gerivin. Sie hatte aber auch nicht das Bedürfnis, fliehen zu wollen. Sie nahm in seiner Nähe sogar ein sehr angenehmes Gefühl wahr. Das war für sie unerklärlich, aber es war einfach so.

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