Kapitel 2

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Der Vorteil an meiner zweisprachigen Welt war, dass ich sowohl englische als auch deutsche Songs verstand. Denn ich musste zugeben, dass da auch viele deutsche Lieder waren, die echt gut waren! Und ich war echt froh, dass ich sie verstehen konnte. Das hasste ich an italienischen Liedern zum Beispiel. Es gab echt gute - aber ich hatte keinen Plan, was sie bedeuteten. Ich konnte nicht mal mitsingen, weil ich die Wörter nicht kannte. Aber das tat jetzt eigentlich nichts zur Sache.

Nach dem Essen setzte ich Mia zu ihren Spielsachen und suchte im Internet nach Tutorials für American Idiot. Mia war erstaunlich selbstständig für ihr Alter. Das musste sie von mir haben. Wenn man sie irgendwo hinsetzte und ihr eine Beschäftigung gab, blieb sie Stundenlang an dieser einen Stelle sitzen und spielte. Auch als ich endlich ein Video gefunden hatte und mir die ersten Takte eingeprägt hatte, konnte ich ihr sagen, dass ich kurz an meinem Schlagzeug war und sie nickte bloß und spielte weiter.

Ich spielte eine Weile und ging noch ein paar andere Lieder durch, die ich bereits konnte, dann setzte ich mich zu Mia und spielte eine Weile mit ihr. Ich hatte ja sonst nichts zu tun. Meine Hausaufgaben würde ich sowieso erst am Montag Morgen machen und mit den wenigen Freunden, die ich hatte, unternahm ich eh nichts. Außer Chloe waren sie eigentlich auch mehr oder weniger Bekannte. Keine richtigen Freunde. Vielleicht weil ich einfach niemanden richtig an mich ran ließ. Es gab einen gewissen Punkt, bis zu dem sie vordringen durften und danach war Schluss. Oh und was Jungs anging: Es war nicht so, dass ich kein Interesse hatte. Ich ging schon durch die Straßen und dachte mir 'Holla die Waldfee, sieht der gut aus!', aber ich war wohl etwas abschreckend und wirklich verliebt hatte ich mich bis jetzt auch nicht. Gut, in der siebten Klasse, noch ich Deutschland, da dachte ich ich wäre es gewesen und ich hatte einen Freund gehabt, aber als rausgekommen war, dass ich umziehen würde hatten wir im Einverständnis beider Seiten Schluss gemacht, weil wir für eine Fernbeziehung einfach nicht bereit waren. Mit 14 versteht sich.

Es gab tatsächlich ein paar Typen, die mich nicht so abschreckend fanden, aber mit denen wollte ich dann lieber nichts zu tun haben. Da gab es zum Beispiel diese eine Geschichte mit Ryan. Der mich übrigens bis heute nicht in Ruhe lassen wollte. Vor einem halben Jahr hatte er mir klar gemacht, dass er mich in die Kiste kriegen wollte und ich hatte ihm gesagt, dass ich aber dummerweise nicht interessiert war. Leider schien das immer noch nicht in seinen Kopf rein gegangen zu sein. Letztens hatte irgendwer aus unserer Schule eine Party geschmissen und bevor ich mich auch nur mit einem Schluck Alkohol hatte bewaffnen können, hatte Ryan sich von hinten angeschlichen und mir ins Ohr geflüstert: „Wir könnten Dinge miteinander tun, die dich zur Ekstase bringen..." ich glaube es sollte verführerisch klingen, aber mal ganz ehrlich: das Wort 'Ekstase' hatte jetzt nicht wirklich viel verführerisches an sich. Das schien Ryan auch kapiert zu haben als ich ihm geantwortet hatte: „Sorry Ryan, aber das einzige, was mich in Ekstase bringen kann, ist eine Packung Ben & Jerry's" und damit war ich gegangen. Danach hatte ich ihn nicht mehr gesehen. Nur einmal im Supermarkt, wo er vor dem Eisregal stand. Irgendwie beunruhigend so im nachhinein... Ich war schnell weiter gegangen und hatte mich in der Spielzeugabteilung versteckt.

Tja, wie gesagt: sonst herrschte, was mein Beziehungsleben anging, tote Hose. Im wahrsten Sinne des Wortes.

Das Wochenende verlief komplett Ereignislos. Wie eigentlich der Rest meines Lebens auch.

Ich verbrachte die meiste Zeit in meinem Zimmer, was übrigens der einzige Raum in diesem Haus war, der einen Ventilator hatte und bei diesen Temperaturen war ich mehr als dankbar dafür. Meine Eltern riefen zwar ständig, dass ich mal rausgehen sollte, schließlich sei das Wetter ja so schön, aber ich ignorierte sie. Man sollte ja meinen, sie hätten langsam kapiert, dass dieser Sonnenschein für Australien fast normal war, aber nein. Sie gaben nicht auf. Dabei sollten sie froh sein, dass ich überhaupt noch zu Hause rumhing. Andere in meinem Alter waren schwanger oder kifften bei ihren Freunden. Oder beides. Ich hingegen saß einfach nur in meinem Zimmer, spielte dort Schlagzeug oder klickte mich durch diverse Youtube Videos, die ich mir alle schon 3000 mal angeguckt hatte.

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