Kapitel 14

182 19 1
                                    

14

TW/Selfharm!

Ich hätte mit dieser Reaktion rechnen sollen. Fuck war Charlies Lieblingswort.

War etwas toll: Fuck.

War etwas beschissen: Fuck.

Wusste sie nicht weiter: Fuck.

Alles war Fuck.

Sie sah mich: Fuck.

Ich hatte mich daran gewöhnt. Aber geweint hatte sie noch nie. Vielleicht meinte sei deswegen Fuck. Weil sie nicht wollte, dass ich sie so sehe?

Ich griff nach ihren Händen, doch sie zuckte zurück. „Nicht!" schnauzte sie mich an. Zumindest sollte es wohl ein Schnauzen sein. Es klang allerdings ziemlich kläglich.

Ich sah auf meine Hände. Dort, wo sie sie berührt hatten klebte etwas. Ich riss die Augen auf. „Ist das Blut?!" rief ich panisch.  Oh mein Gott. Ich hoffte, dass es nicht das war, wonach es aussah. Sie funkelte mich an.

„Charlie. Streck' deine Hände aus. Jetzt", befahl ich. Doch sie rührte sich nicht. Natürlich nicht. Sie war niemand, die tat, was andere ihr sagten. Ich seufzte. „Charlotte! Zeig mir deine Arme, verdammt nochmal!" versuchte ich es dieses Mal energischer. Und erstaunlicherweise funktionierte es. Zitternd streckte sie mir ihre Hände entgegen.

„Fuck", war das einzige, was mir dazu einfiel.

Ihre Arme waren übersät mit Schnitten, und zwar mit nicht gerade wenigen. Das Blut war bereits getrocknet und klebte auch an ihrem Shirt. „Scheiße, Charlie", murmelte ich.

Sofort dachte ich daran zurück, als ich es noch getan hatte. So lange war das noch gar nicht her. Weshalb meine Narben unter den Armbändern immer noch deutlich zu erkennen waren. Und sie taten immer noch weh. Aber ich traute mich nicht, meine Armbänder abzulegen. Selbst im Schlaf oder unter der Dusche behielt ich sie um. Ich wollte keinen Blick auf die alten Schnitte werfen. Und auch, wenn die Armbänder scheuerten, ich machte sie nicht ab. Niemand sollte es sehen. Vor allem nicht ich selbst. Nie wieder wollte ich auch nur auf die Idee kommen, mir das wieder anzutun. Ich sah Charlotte an. Sie hatte angefangen zu zittern und erneut liefen Tränen über ihr Gesicht. Scheiße, ich wollte sie nicht so sehen!

„I-ich wollte das nicht!" weinte sie weiter und senkte schuldbewusst den Kopf. „Ich... E-es ist einfach-", begann sie erneut, aber ich unterbrach sie: „Hey! Alles gut, du musst dich nicht rechtfertigen." Ich zögerte nur einen kurzen Augenblick, dann rutschte ich näher an sie ran und zog sie in eine Umarmung. Zuerst wehrte sie sich, was ich als ein gutes Zeichen nahm, doch dann ließ sie ihren Kopf auf meine Schulter sinken und lehnte sich gegen mich.

Ich beschloss, sie nicht darauf anzusprechen. Noch nicht. Ich wusste wie beschissen es war. Und ich wusste wie beschissen man sich fühlte, sobald die Genugtuung vergangen war und man realisierte, was man da gerade getan hatte. Ich drückte sie einfach, darauf bedacht ihre Arme nicht zu berühren. Ich wollte ihr nicht weh tun.


Charlie:

Was ich wirklich tat realisierte ich gar nicht richtig. Es tat weh, das spürte ich. Aber irgendwie gab es mir auch eine gewisse Genugtuung. Ich dachte nicht mehr an meine Familie. Ich dachte nicht mehr daran, wie beschissen meine Situation war.

Es mochte komisch rüberkommen, wie ich an dem einen Tag noch sie viel Spaß haben konnte und den nächsten anfing mich... zu ritzen. Aber wie schon einmal gesagt, ich hatte Stimmungsschwankungen. Ohne Witz.

Aber um beim Thema zu bleiben – was ich da wirklich getan hatte, das realisierte ich erst, als plötzlich Ashton vor mir stand. Und auch erst dann merkte ich, dass ich weinte. Ich weinte?! Ich weinte nie. Ich war traurig, aber ich weinte nicht. Aus Prinzip nicht. Dann wäre ich schwach. Das war zumindest meine Einstellung. Und doch saß ich hier und schluchzte vor mich hin.

Little TalksWo Geschichten leben. Entdecke jetzt