Kapitel 42

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Als dann auch der Nachtisch durch war und alle meine überraschende Nachricht halbwegs verdaut hatten, beschloss ich, mich mit Aliah raus auf die Terrasse zu setzen.

Sie schaute mich erwartungsvoll an.
„Tut mir leid, dass ich es dir nicht eher gesagt habe. Ich habe lange darüber nachgedacht und nachdem, wie sich das mit Jason und Kai entwickelt hat, hatte ich einfach das Gefühl, was ändern zu müssen. Ich war einfach nicht mehr glücklich. Dort, wo ich gearbeitet habe, war es sowieso beschissen und da hab ich eben die Gelegenheit gesehen, zu kündigen. Und gestern Abend in der Bahn...ich will nicht, dass es mir jetzt immer so ergeht, wenn ich unterwegs bin.."
„Haily, ist schon gut. Ich verstehe dich doch. Ich war vorhin nur bisschen geschockt, weil ich sowas nicht erwartet und dir auch nicht angemerkt habe. Und ja, ich war auch ein bisschen wütend, weil du es mir nicht gesagt hast aber es ist okay. Ich will, dass es dir gut geht und ich merke, wie erleichtert du jetzt bist. Das wird sicher toll..und ich kann kostenlos Urlaub in London machen", lachte sie.
„Du kannst immer kommen und bleiben, so lange du willst", lachte ich ebenfalls.

„Und wann geht's los?", wollte sie wissen.
„Keine Ahnung, ich hab schon Bewerbungen geschrieben und mir im Internet auch schon Wohnungen angeschaut", erklärte ich.
„Und das alles ohne mich.."
„Sorry", schmollte ich, „aber es gibt noch viel zu tun, du kannst noch so viel mit helfen!"
„Will ich auch hoffen", lächelte sie.
„Ich muss erstmal den Gips los werden, bis dahin bin ich auf jeden Fall noch hier", beruhigte ich sie.
„Okay, sag mir dann aber rechtzeitig Bescheid wegen Umzug, dann kann ich mir Urlaub nehmen und dir helfen."
„Mach ich, danke."

„Aliah? Kommst du kurz rein?", unterbrach Julian uns und sie nickte.
Nun saß ich allein hier und schaute in den Himmel.

„Ich hab Mom und Dad ja schon oft geschockt, aber ich glaube, du hast jetzt echt alles übertroffen", kam mein Bruder raus und ließ sich auf den Stuhl neben mir fallen.
„Das nehm ich als Kompliment", grinste ich ihn an.
„Was geht nur in deinem kleinen Kopf vor? Ist es auch wegen Jason?", wollte er wissen. Ich nickte.
„Er ist echt ein Arschloch."
„Seid ihr keine Freunde mehr?"
„Glaubst du echt, ich will mit so jemandem noch befreundet sein, der Nacktbilder von meiner kleinen Schwester ins Internet stellt?"
„Du hast...?"
„Ja, ich hab's auch gesehen. Du solltest ihn anzeigen. Er hätte es verdient."
Ich schüttelte den Kopf und sagte: „Nein, wenn ich ihn nie wieder sehen muss, dann reicht mir das auch schon. Deshalb geh ich ja auch weg."
„Machst du richtig. Vielleicht komm ich ja irgendwann nach", zuckte er mit den Schultern.
„Ich würde mich freuen", lächelte ich.

Kai stand auf einmal im Türrahmen und schaute meinen Bruder an.
„Ich lass euch mal allein", sagte Nick und ging wieder rein.
Kai setzte sich nun neben mich auf den Stuhl. Es war ruhig und wir schauten beide einfach nur in den Sternenhimmel.
„Wo hast du Sophia gelassen?", fragte ich, ohne meine Augen von dem Stern weg zu bewegen, auf den ich mich fixiert hatte.
„Sie ist auf Toilette gegangen...", meinte er und ich sah im Augenwinkel, wie er mich anschaute.
„Aha."
„Du weißt, dass mir das alles unendlich leid tut, oder?"
„Klar."
„Sei nicht so abweisend.."
Nun schaute ich ihn doch an. „Was erwartest du denn jetzt? Versuch nicht, etwas zu retten, was du nicht mehr retten kannst. Ich bin bald weg und dann wird es so sein, als wäre das alles nie passiert, okay?"
„...okay", flüsterte er.
„So wolltest du es doch sowieso", flüsterte nun auch ich.
Ohne etwas dazu zu sagen, stand er vom Stuhl auf. Er ging rein und ich schaute ihm hinterher, bis er nicht mehr zu sehen war. War ich gerade zu hart zu ihm? Mir kamen die Tränen. Scheinbar liebte ich ihn doch noch.

Ich saß noch eine Weile allein draußen, bis mein Dad an den Türrahmen klopfte und fragte: „Willst du nicht rein kommen? Es wird langsam recht kalt."
Ich schüttelte den Kopf und er ging. Kurz drauf kam er mit einer Decke wieder, gab sie mir und setzte sich neben mich.

„Ich weiß nicht, was dir so negatives passiert ist aber du weißt, dass du immer zu mir und deiner Mutter kommen kannst, wenn was ist."
„Ja", lächelte ich. Ich hoffe, ich sehe nicht all zu verheult aus, aber mein Dad wird es schon bemerkt haben, sonst hätte er das nicht gesagt.

„Darf ich kurz stören?", fragte nun Sophia. ‚Du störst immer', dachte ich mir nur.
„Haily, können wir reden?"
„Nagut, ich geh dann mal", meinte mein Dad und machte Platz für Sophia.
„Du bist jetzt schon die 5. Person, die sich auf den Stuhl setzt und mit mir reden möchte. Da bin ich ja mal gespannt.."
„Ich denke, wir merken beide, dass unsere Freundschaft derzeit bisschen angespannt ist", begann sie.
„Mhm."
„Und ich denke, wir wissen auch beide, woran es liegt."
Erschrocken sah ich sie an. Weiß sie etwa, dass Kai und ich uns geküsst haben?
„Achja?"
„Ja, es ist so viel passiert in den letzten Jahren und ich kann verstehen, wie du dich fühlen musst, wenn deine zwei damaligen besten Freunde aus der Kindheit zurück kommen und plötzlich ein Paar sind, ohne dass du etwas davon wusstest. Das ist mir jetzt erst klar geworden.."
„Oh...ja genau", sagte ich erleichtert, allerdings kaufe ich ihr das nicht wirklich ab.
„Ich meine, nach so einer langen Zeit ist es ja klar, dass unsere Freundschaft nicht mehr so wird, wie sie es war als wir Kinder waren. Wir haben uns ja auch alle verändert und weiter entwickelt.."
„Ja, allerdings...", meinte ich. Auf was will sie hinaus?

„Ich wollte nur sagen, dass ich mir die ganze Zeit wirklich gewünscht habe, dass wir wieder so gute Freundinnen werden, aber sowas kann man nicht erzwingen, wenn es sich nicht von selbst entwickelt.."
„Da hast du wohl recht." Okay, vielleicht meint sie es doch ernst oder sie ist eine echt gute Schauspielerin.
„Aber ich weiß, dass wir alle unseren Weg gehen werden.."

„Sophia, kommst du? Wir wollen los", sagte Kai und sah mich noch einmal an, bevor er verschwand.
„Lass mal was von dir hören, wenn du in London bist, okay?", sagte Sophia noch und umarmte mich, bevor auch sie ging.

Julian und Aliah kamen raus und sie sah mich fragend an. „Was wollte sie denn?"
„Ich hab keine Ahnung", musste ich zu geben. Ich weiß wirklich nicht, was sie wollte. Vielleicht wollte sie sich entschuldigen oder sowas.
„Okay.. gehen wir auch? Es ist schon spät."
Ich sah auf mein Handy. 23.56 Uhr. Wow, die Zeit verging schnell.
„Ja, ich komme", sagte ich und stand mühevoll vom Stuhl auf.

„Haily, ich hoffe doch, wir sehen uns nochmal, bevor du deinen neuen Lebensabschnitt beginnst", sagte Anne.
„Ja, vielleicht", zuckte ich lächelnd mit den Schultern. Kai und Sophia waren wohl schon im Auto. Wir verabschiedeten uns von allen und gingen dann auch zu Aliahs Auto.

„Was für ein Abend", sagte ich, als ich mich auf den Autositz fallen ließ.
„Ja, du warst echt das Highlight von allen", sagte Julian.
„Ja, kann sein", sagte ich leise und sah, wie Kai und die anderen an uns vorbei fuhren.

Die ganze Autofahrt starrte ich eigentlich nur aus dem Fenster und dachte an Kai und was ich zu ihm gesagt habe. Hab ich ihn jetzt das letzte Mal gesehen und mit ihm gesprochen? Ich wollte es ja eigentlich so, doch jetzt wo es wahr wird, tut es echt weh.

Zu Hause angekommen, ließ ich meine Kleidung fallen, schminkte mich ab und ging ins Bett.
Fazit vom Tag? Anstrengend.

Neuanfang - FF Kai HavertzWo Geschichten leben. Entdecke jetzt