Nahende Dämmerung

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Es war Morgens, als Spes aufwachte.
"Oh guten Morgen, Spes.", sagte Sukira mit einem Lächeln. Das Mädchen saß auf dem Sofa und schien etwas auf ihrem Datenpad zu schreiben.
"Bist du schon lange wach?".
"Nicht wirklich. Vielleicht eine Stunde oder so.".
"Verstehe. Du schreibst wieder in deinem Tagebuch?".
"Jip. Ich... schreibe die Erlebnisse und Erfahrungen von heute Nacht wieder. Danke im übrigen. Es ist lange her, seit ich Mal wieder wirklich Spaß hatte.".
Der Junge musste kichern und nickte. Plötzlich fiel ihm auf, dass Sukira wieder zwei ganze Flügel hatte.
"Wie... ist das Möglich? Dein Flügel ist wieder nachgewachsen?".
"Ja. Ich besitze eine schnelle Regenerationsfähigkeit. Daher habe ich auch nie lange Schmerzen.".
"Ich verstehe. Doch wie geht es dir selbst?".
"Huh? Was meinst du damit?".
"Ich meine, wie es dir persönlich geht. Immerhin hat deine eigene... Schwester dich angegriffen.".
Doch zu Spes' Überraschung lachte die Veil.
"Ach das. Ich bin gewohnt, die physisch schwächste zu sein. Und auch wenn wir Schwestern sind, so haben wir uns auch schon oft gegenseitig bekämpft. Nicht selten haben wir uns auch tödlich verletzt. So verehrten wir die Schwertlogik. Bei uns waren Liebe und Krieg ein und dasselbe. So bewiesen wir, wer die stärkste war. Und es war immer Luma. Auch wenn Xira sie von Kraft her überflügelt, so ist Luma's Macht ein anderes Level. Man könnte sogar sagen, sie ist Winnower's Schwert.".
"Klingt nach einer sehr kalten Liebe.".
"Ach, es machte schon Spaß. Mit Luma hatte ich auch oft Kämpfe, um zu beweisen wer mehr Intellekt hat. Auch gab ich ihr viele Rätsel zum Nachdenken. Und diese Spielchen liebte sie, auch wenn ihr emotionsloser Blick dies nie vermuten ließ.".
"War sie immer so?".
"Nein. Sie war früher sehr empfindsam. Voller Gefühle. Sie hatte oft gelacht. Doch habe ich sie seit tausenden Jahren nicht mehr Lachen gehört. Ich glaube immer, die Dunkelheit hat ihr ihre Emotionen genommen.". Sukira legte ihr Pad zur Seite und küsste Spes.
"Ahh... ich werde noch süchtig danach.".
Als Spes den Kuss erwidern wollte, klopfte es plötzlich an der Tür.
"Ach man. Die Arbeit ruft dich wohl.", sagte Sukira. Der Junge stand auf und öffnete die Tür.
"Karyu, guten Morgen.".
"Dir auch.".
"Ist... alles in Ordnung?".
"Ich wollte nur nach dem Rechten sehen.".
"Machst du dir etwa Sorgen?", sagte Spes um Karyu zu necken.
"Um dich? Ha! Das wünscht du dir wohl. Nein, eher im deinen Zimmergenossen.".
Die Frau seufzte plötzlich: "Doch können wir kurz unter vier Augen sprechen?".
"Natürlich.", sagte Spes und schloss die Tür hinter sich.
"Ich... Ich wollte nur sehen, ob du irgendwelche Nachwirkungen hast. Vom Einfluss der Pyramide.".
"Also machst du dir doch Sorgen um mich.".
"H-Halt die Klappe, Frischling!
Jedenfalls muss der ganze Kontakt mit dieser dunklen Macht doch sicher eine Belastung für sich sein.".
"Ich schätze deine Sorgen sehr. Ich wünschte nur, dass Patro wieder da wäre. Dann hättest du mehr Vergnügen mich zu schickanieren.". Karyu sah zwar nicht zu Spes, doch war ihr kleines Lächeln deutlich genug.".
"Glaubst du wirklich, dass sie ihr Wort halten wird?".
"Ja. Sukira hat soviel bereits gemacht. Mich allein hat sie schon mehrmals vor ihren Schwestern gerettet.".
Die Primus nickte nur und drehte sich um.
"Komm später zu uns. Wir besprechen nachher über die aktuellen Ereignisse.". Darauf ging Karyu.

Am Nachmittag trainierte Spes alleine mit seinen Kräften. Besonders konzentrierte er sich darauf das Licht in einer Offensive zu nutzen. Als er sich gerade stark fokussierte, hörte er plötzlich ein seltsames Flüstern.
Der Junge hob vor Schreck seinen Kopf und sah sich um. Instinktiv hielt er bei seiner Übungswaffe den Finger am Abzug. Nach einer kurzen Stille, setzte das Flüstern wieder zu, diesmal deutlicher. Es war nur ein Wort, welches sich ständig wiederholte: "Erlösung.".
Plötzlich berührte jemand ihn an der Schulter. Aus Reaktion zielte er mit seiner Waffe.
"Hey, ganz ruhig. Ich bin kein Feind.".
Spes senkte seine Hand, erleichtert, dass es jemand war, den er kannte.
"T-Tut mir leid, Primus. Ich war wohl... zu tief in Gedanken.".
"Hab ich gemerkt.". Der Junge setzte sich erschöpft auf den Boden.
"Worüber hast du eigentlich nachgedacht?".
"Über die letzten Tage. All die Sachen, die mir erzählt und gezeigt wurden. Ich... Ich habe das Gefühl, ich weiß nicht mehr, was die Realität ist.".
"Ich kann es dir nicht verübeln, dass du so denkst. Immerhin hast du die letzten Tage mehr Kontakt mit der Dunkelheit gehabt, als sonst jemand.".
Karyu seufzte:
"Es ist auch zum Teil unsere Schuld. Immerhin haben wir dir befohlen, sie zu überwachen. Da sie an dir irgendein Interesse hat, scheint sie bei sehr gesprächig zu sein. Was immer auch davon wahr ist, was aus ihrem Mund kommt.".
"Bisher scheint mir aber nichts aufzufallen, was diesen Vorwurf rechtfertigen würde.".
Karyu blickte leicht verwirrt zu Spes.
"Verstehe mich bitte nicht falsch. Sie gehörte einst zum Feind. Und sie hat immer noch Patro in ihrer Gefangenschaft. Doch... bisher waren doch all ihre Taten gutwillig, oder nicht?".
"Das mag sein. Doch solange sie uns Patro nicht wiedergibt, werde ich ihr stetig Misstrauen.". Spes nickte nur.
"Nun... trainiere weiter. Ich werde dich nicht länger stören.", sagte die Primus niedergeschlagen und verließ den Raum.
"Vielleicht sollte ich mal mit Sukira reden. Bis jetzt haben wir unser Wort gehalten. Sie sollte uns zumindest zeigen, dass es ihm gut geht. Um Karyu's und Vergo's Willen.".

Am Abend kehrte der Wächter auf sein Zimmer zurück. Sofort sah sie die Veil, welche von dutzenden Büchern umgeben war.
"Hey Spes. Willkommen zurück.", sagte sie.
"Hey. Ich bin froh, dass du dich zumindest beschäftigen kannst, während meiner Abwesenheit.".
"Dank dir. Sich durch diese Bücher hier zu wälzen macht wirklich Spaß. All diese Geschichten über eure Vergangenheit.".
Spes setzte sich zu dem Mädchen, welches sich sofort an Spes kuschelte.
"Ich mag diese Art der Zuneigung.".
"Gab es auch solche Kleinigkeiten bei euch nicht?".
"Nein. Solche Gesten gab es bei uns nicht. Ich gab Emotionen wie Liebe, Hass und desgleichen. Aber solche körperlichen Interaktionen kannten wir nicht. Nur den Akt der Vermehrung gab es bei uns. Und das war die einzige Interaktion mit einem Partner.".
"Schwer vorzustellen.".
"Das wundert mich nicht, bei all dem was die Menschen machen. Besonders dies- " Sukira gab Spes einen tiefen Kuss
"-gefällt mir am meisten.". Bevor sich das Mädchen zurückziehen konnte, hielt Spes sie an den Schultern und erwiderte diese Geste.
"Sei bitte sachte mit mir. Ich bin zerbrechlich.", scherzte die Veil rum und lag sie auf den Rücken.
"Ich würde gerne wieder mit dir Erfahrung machen.", sagte sie mit einem verschmilzten Lächeln.
"Ich möchte zuvor mit dir reden. Es ist mir wichtig.". Sukira saß sich aufrecht hin und schenkte Spes ihre gesamte Aufmerksamkeit.
"Es geht um Patro.".
"Ah ja, der Sohn von Karyu. Lass mich raten; Du willst sichergehen, dass es ihm gut geht. Du willst dich vergewissern, dass ich meinen Teil der Abmachung einhalte.".
"Auch für Karyu und Vergo. Wir haben dich doch bisher gut behandelt. Es wäre nur fair. Zumindest uns zu zeigen, dass er wohlauf ist.".
"Ich kann nicht. Ich sagte doch bereits, dass an diesem Ort kein Lichträger sein kann. Es ist ein vergifteter Ort.".
"Aber ich habe doch jetzt die Gabe der Dunkelheit.".
"Wenn ich dich an diesen Ort bringe, wird dein Licht erlöschen. Und da du die Dunkelheit noch nicht wirklich kontrollieren kannst, würde dich diese Macht letztlich nur verzehren.
O Spes mein, ich würde wirklich gerne das Vertrauen deiner Verbündeten gewinnen. Doch habe ich diese Möglichkeit nicht.", sagte Sukira und senkte ihren Kopf.
"Warum lässt du ihn dann nicht gehen?".
"Spes, sind wir ehrlich. Wenn ich das tun würde, hätte ich nichts mehr in der Hand. Man würde mich sofort töten. So schrecklich dies für dich auch klingen mag, ich brauche dieses Druckmittel. Zu meinem eigenen Schutz.". Spes versuchte sich einzureden, dass Sukira falsch liegt. Doch wusste er im Inneren, dass sie recht hat. Ohne etwas in der Hinterhand, wäre das Mädchen dem Tod geweiht.
Sukira nahm Spes' Hand und blickte zu ihm auf.
"Du verstehst mich doch, oder? Es ist so ähnlich, wie bei dir. Wenn die anderen erfahren, dass du die Dunkelheit in dir trägst, würden sie dich als Bedrohung ansehen. Sie würden dann nicht zögern, dich zu töten.".
"Du... hast ja recht. Ich schätze, wir Beide sind an der Schwelle des Todes.".
Sukira nickte und klammerte sich wieder an den Jungen.
"Keine Sorge. Wir haben immerhin uns. Zusammen werden wir diesen Krieg beenden. Ich denke daher, dass Patro eh dort besser aufgehoben ist. Sicher vor dem Tod.". Die Veil lehnte sich näher an Spes heran.
"Lass uns über etwas anderes reden. Etwas Zeit miteinander verbringen.".
Sukira begann daraufhin den Jungen zu küssen, was er nur erwidern konnte.
"Ich möchte dich jetzt. Ich will- .".
Sukira würde unterbrochen, als ein lauter Alarm ertönte. Doch diesmal klang er anders. Lauter und das Muster war anders. Spes wusste, es kann nur was schlechtes bedeuten.
"Tut mir leid, ich- .".
"Schon gut. Es ist immerhin deine Pflicht als Wächter.", sagte sie mit einem Lächeln und legte ihre Flügel um ihren Körper. Spes nickte nur und rannte schnell aus dem Zimmer. Sofort rannte er zur Einsatzzentrale, wo Karyu und ihr Mann bereits waren.
"Was... ist denn los?", fragte der Wächter besorgt.
"Was los ist?! Wie haben ein gewaltiges Problem!!", sagte die Primus aufgebracht.
"Ich habe bereits Lux und Caelum kontaktiert. Sie sind auf dem Weg hierher.", sagte Vergo, welcher ebenfalls nervös schien.
"Ich kontaktiere jetzt Kell Draxus und seine Tochter.". Spes ging zu Karyu und erstarrt. Auf einer holografischen Karte sah er eine bekannte Form.
"Das kann nicht... .".
"Das ist eigentlich nicht möglich!! Das Licht schirmt uns ab!".
Spes rannte sofort aus dem Raum und begab sich auf die Stadtmauer. Viele andere Leute hatten sich bereits versammelt und blickten entsetzt zum Himmel. Ein erschütterndes Geräusch begann durch die Stadt zu hallen.
"Sie ist also hier.", sagte Sukira, welche plötzlich hinter Spes stand.
"Winnower ist gekommen, um zu beenden, was sie einst begonnen hat.".
Erneut ertönte das Lied der Ausleserin.
Spes hörte plötzlich eine weibliche Stimme im Kopf.
"Du hast gerufen. Und nun antworte ich. Die Erlösung naht. Und du wirst sehen, dass die Dunkelheit die Wahrheit ist.".

Aus Licht und DunkelheitWo Geschichten leben. Entdecke jetzt