𝟔. 𝐒𝐚𝐫𝐚𝐡

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"Ich kann das nicht Sarah, versteh es doch", meint sie verzweifelt. Fassungslos schüttle ich den Kopf. "Lynn, das kann nicht dein Ernst sein", blaffe ich sie an. Eine Träne fließt ihre Wange hinunter. Evelyn weint nie. Nie. "Was erwartest du denn vor mir?" "Dass du dich outest?" "Du weißt ganz genau, dass ich das nicht kann." "Und du weißt ganz genau, dass ich nicht mehr Ewigkeiten warten werde", flüstere ich leise. Erschrocken schaut sie auf. Ihre braunen Augen sind weit aufgerissen und glasig, die Wangen gerötet. "Sarah...Was meinst du damit?", wispert sie. Ich starre sie einfach nur an. "Du weißt ganz genau, was ich damit meine." Ein Schluchzer entfährt ihr. "Also...also ist es aus?", fragt sie leise. Ich will nicht nicken. Ich will nicht. Aber ich muss. Ich muss es tun. Für mich. Für sie. Für uns alle. "Ja. Ja, es ist aus."

Ich schrak hoch. Es war noch dunkel in meinem Zimmer. Mein Blick viel auf meinen hell erleuchteten Wecker. 03:45 Uhr. Verdammt. Mit einem flauem Gefühl im Magen legte ich mich wieder hin und probierte wieder einzuschlafen. Drehte mich auf die linke Seite. Auf die rechte. Auf den Rücken. Auf den Bauch. Scheiße. Es ging nicht. Ich war wach und schien auch nicht mehr so schnell einschlafen zu können. Schlaftrunken richtete ich mich auf und schlüpfte in meine Pantoffeln. Dann schnappte ich mir im stockdunklen einen dicken Winterpulli, den ich über meinen Kopf stülpte. Leise schlich ich aus meinem Zimmer die Treppe hinunter in den Garten. Es war kalt, sehr kalt. Frost hatte sich gebildet und kleine Atemwolken waren vor meinem Gesicht zu sehen. Ich setzte mich auf einen der Gartenstühle, legte meinen Kopf in den Nacken und starrte in den Himmel. 

Ich hatte Glück, es waren fast keine Wolken da und somit waren die Sterne zu sehen. Einer nach dem anderen funkelte am Himmelszelt. Was hatte Evelyn immer gesagt? Ich hole dir die Sterne vom Himmel. Verbittert lachte ich. Wie konnte ich nur so naiv sein? Die Sterne vom Himmel holen, pah. Dass sie zu mir steht, das hätte gereicht. Ich spürte, wie sich ein Kloß in meinem Hals bildete. Ich durfte nicht weinen, ich durfte nicht. Denn das hatte ich schon genug getan.

"Was wäre, wenn wir beide einfach weglaufen würden? Einfach weg von hier?" Ich lache und drücke ihr einen Kuss auf die Wange. "Rede nicht so einen Schwachsinn." "Ich meine es ernst", erwidert sie und starrt mich an. Ihre braunen Augen funkeln vor Begeisterung. "Lynn, wir können nicht einfach weglaufen", sage ich belustigt und küsse sie. Ich spüre, wie sie grinst, während wir uns küssen und sie mich noch enger an sich zieht. "Ich weiß ja, dass es nicht geht", meint sie, nachdem wir uns voneinander gelöst haben. "Aber ich würde es jederzeit tun", fügt sie hinzu und greift nach meiner Hand. Ich spüre, wie mein Herz aufgeregt pocht. "Ich würde jederzeit mit dir weglaufen. Nur wir zwei. Wir, unsere Liebe und die große weite Welt vor uns. Wir würden in jedem Land ein Date haben, eins besser als das andere. Und wir würden uns an den besten Orten der Welt küssen. In Paris auf dem Eifelturm, in New York auf einem Wolkenkratzer. Und eins verspreche ich dir-", erzählt Evelyn begeistert, während sie meine Hände fest umklammert. "Ich hole dir die Sterne vom Himmel."

"Sarah? Alles okay? Was machst du hier?" Erschrocken zuckte ich zusammen und schaute auf. Matteo, nur in einem T-Shirt und Boxershorts, stand vor mir und schaute mich fragend an. "Ich-ich konnte nicht schlafen", meinte ich schnell. Mein großer Bruder nickte mitfühlend. "Komm, wir gehen rein. Hier draußen erfrierst du noch", sagte er. Er hatte Recht. Erst jetzt fiel mir die beißende Kälte auf, die unter meinen Pullover kroch und mir eine Gänsehaut verpasste. Ich stand auf und folgte Matteo ins warme Innere. "Deine Wangen sind ja eiskalt", stellte er fest, als er mir prüfend eine Hand ins Gesicht hielt. "Ich mache dir erstmal einen heißen Tee", meinte er fürsorglich. Ich konnte nichts anderes tun, als nicken.

Nur kurze Zeit später war mein Früchtetee fertig und stand dampfend vor mir auf dem Tisch. Die ganze Zeit, als der Tee gezogen war, hatte Matteo geschwiegen und mir hin und wieder einen nachdenklichen Blick zugeworfen. Er wusste, dass etwas nicht stimmte. Er hatte auch Recht, dass etwas nicht stimmte. Aber ich konnte es ihm nicht sagen. "Sarah? Was ist los?", fragte er schließlich. Ich trank einen Schluck von meinem Tee. Noch einen. Dann schüttelte ich den Kopf. "Wie nein?" "Ich möchte es dir nicht sagen", erwiderte ich mit brüchiger Stimme. Wieso musste er mich fragen? Wieso? Ich wollte, dass alles, was passiert war, in meinem Kopf blieb. 

Genauso, wie sie früher niemandem von mir erzählen wollte, genauso wollte ich jetzt niemandem von ihr erzählen.

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Ein kleiner Einblick in Sarahs Gedanken und Erinnerungen...

Frage des Tages: Lieblingsweihnachtslied?

xoxo -F

Last christmasWo Geschichten leben. Entdecke jetzt