𝟏𝟎. 𝐒𝐚𝐫𝐚𝐡

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Es war kurz vor eins. Meine Mutter und ich saßen zusammen im Auto, um auf Matteo zu warten, der jeden Moment Schule aushaben müsste und zu uns kommen sollte. Wir wollten zu dritt ins Einkaufzentrum fahren, um neue Klamotten zu kaufen.

Als ich träge aus dem Autofenster hinausblickte, sah ich sie. Sie unterhielt sich mit einem anderen Schüler, der ihr gerade die Hand auf die Schulter legte. Sekunden später lachten beide laut los. Still beobachtete ich sie. Der Junge war groß und um ehrlich zu sein- gutaussehend. Blonde Haare, von denen ihm vereinzelt paar Strähnen ins Gesicht fielen. Soweit ich es von hier aus erkennen konnte, strahlend blaue Augen. Meine Augen waren das, was Evelyn am meisten an mir gemocht hatte. "Ich liebe dich. Und ich liebe deine Augen. Sie erinnern mich an einen Wald im Sommer. Ich könnte Ewigkeiten hineinschauen." Und doch kam es soweit, dass wir uns aus dem Weg gingen und ich sie nur noch aus der Ferne betrachten konnte.

"Hast du Mats schon irgendwo gesehen?", fragte meine Mutter verärgert. "Wir hatten doch ausgemacht, dass er nach dem Unterricht sofort hier her kommt und nicht noch sich mit seinen Kumpels unterhält." Meine Mum hatte Angst, dass wir in den Mittagsverkehr kommen würden, mein Bruder ließ sich aber Zeit. "Nein, ich habe ihn noch nicht gesehen", meinte ich leise und beobachtete weiter, wie der Junge sich von Evelyn verabschiedete. Sie umarmten sich. In meinem Bauch brodelte es. "Lynn, ich mag kuscheln!" "Schon wieder? Du bist so anhänglich...Komm her, gib mir eine Umarmung." Und nun traute ich mich nicht mal sie anzuschauen... 

Evelyn ging Richtung Fahrradständer und somit immer mehr in die Richtung unseres Autos. Sie hatte ihre Haare rot gefärbt. Ein knalliges, auffälliges rot. Ihre Haare waren zuvor braun gewesen. Ich fand aber, dass ihr jetziges Aussehen genauso toll aussah wie das vor einem Jahr. Früher hatte sie sich hinter unauffälligen Klamotten versteckt, sie wollte eine graue Maus sein. Ein kleines Mäuschen, das unbemerkt den Blicken anderer entfliehen konnte. "Sicher, dass es mir steht? Oder soll ich lieber das schwarze Kleid anziehen?" "Du möchtest ernsthaft auf die Party des Jahres so ein langweiliges, unauffälliges Kleid anziehen? Nichts da, du trägst gefälligst das, was du schon die ganze Zeit tragen möchtest. Trau dich, du bist wunderschön und solltest es jedem auf dieser Welt zeigen." Jetzt traute sie sich. Sie traute sich zu zeigen, wer sie war und wer sie sein wollte. 

Ich sah, wie sie ihre Kopfhörer aus ihrer Tasche hervorholte. Sie würde Musik hören. Von der Schule bis zu ihr nach Hause fuhr sie 16 Minuten. Das wären ungefähr vier Songs. Jeder einzelne von einem ihrer Lieblingskünstler. "Ich habe letzte Nacht eine Liste geschrieben." "Und was steht da drauf?" "Alle Sänger, von denen ich mal ein Konzert besuchen muss. Ich glaube so viel Geld und Zeit habe ich gar nicht." Plötzlich schaute Evelyn auf und sah mich an. Ihr Blick fesselte mich und ich konnte nichts anderes tun, außer zurück zu starren. Das leichte Lächeln auf ihren Lippen verschwand, das Leuchten in ihren Augen erlosch. 

In diesem Moment existierten nur wir zwei. "Nur wir zwei. Gegen den Rest der Welt." 

Ja, damals waren wir zu zweit, jetzt waren wir zwei einzelne Seelen, die verloren durchs Leben wanderten. Verzweifelt auf der Suche nach Liebe, nach Glück, nach Hoffnung. Fliehend vor all dem Stress, dem Hass, den Problemen. Wir hatten uns entschieden zwei Pfade zu gehen, und doch kreuzten sie sich wieder. Denn die Pfade des Lebens waren nicht endlos, irgendwann musste man an ein Ziel kommen oder einen anderen schneiden. Und das Schicksal hatte beschlossen, dass sich unsere Wege wieder trafen. Dass wir uns sahen, dass wir aneinander dachten. Was wir damit taten, stand nur in den Sternen geschrieben. Wir konnten warten, bis unsere Pfade sich wieder trennten und wir wieder zwei verschiedene Wege gehen könnten. Oder wir konnten etwas daraus machen. Aber waren wir bereit dafür? Waren wir bereit dafür uns unsere Fehler aus der Vergangenheit einzugestehen und sie nicht zu wiederholen? Und wenn wir das taten, was war, wenn es zu spät war? Wenn das immer brennende Feuer der Liebe, das letzte Jahr noch brannte, nun erloschen war? Dass unsere Gefühle füreinander wie der Schnee, der im Frühling schmolz, einfach verschwunden waren? Und was wäre, wenn doch noch ein Funke Hoffnung da war? Dass die Gefühle, tief in unserem Herzen doch noch existierten? Wäre es schlau, es nochmal miteinander zu versuchen? Trauten wir uns, nochmal so viel Schmerz auf uns zunehmen? Uns zu lieben, aber doch zu trauern? Zusammen, aber gleichzeitig weit entfernt zu sein? Denn in dieser Beziehung ging es nicht nur um uns- alle um uns herum spielten ebenfalls eine Rolle. Und niemand wusste, welche Rolle sie schlussendlich spielten.

Denn nur das Universum wusste, ob aus dieser jungen Liebe, die viel zu früh zerbrochen war, doch nochmal etwas neues entflammen konnte.

So wie ein Phönix, der aus seiner Asche wieder auferstand.

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Puh, das sind wir wieder tief in Sarahs Kopf eingetaucht... Eure Gedanken dazu?

Frage des Tages: Gibt es bei euch einen Weihnachtsfilm, den ihr sehr gerne mögt/ jedes Jahr sehen müsst?

xoxo -F

Last christmasWo Geschichten leben. Entdecke jetzt