𝟏𝟖. 𝐒𝐚𝐫𝐚𝐡

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"Ach Kinder, es ist so schön hier", seufzte meine Mutter verträumt und bewunderte die vielen Lichter, die Buden und den riesigen Tannenbaum, der in der Mitte des Platzes stand. Matteo grinste sie an und legte einen Arm um sie. "Ich glaube, wir haben dir nicht zu viel versprochen, Mama", meinte er. Sie nickte begeistert und warf nun auch mir einen Blick zu. "Komm Sarah, sei nicht so griesgrämig. Deine Serie kannst du auch wann anders schauen- Zeit mit deiner Mutter und deinem großem Bruder zu verbringen ist viel wichtiger. Der Weihnachtsmarkt ist doch toll."

Ich nickte unglücklich. Dass ich die Serie schauen wollte, war eine Ausrede gewesen, um Evelyn nicht zu sehen. Ich wollte und konnte ihr nicht unter die Augen treten, geschweige mit ihr sprechen. "Wollen wir vielleicht zu dem Stand eurer Freunde gehen? Wie hießen sie nochmal?" "Fynn", sagte Matteo, "Evelyn", erwiderte ich gleichzeitig. In meinem Bauch rumorte es. Zu dem Stand "Das Knusperhäuschen" gehen? Unmotiviert verzog ich mein Gesicht, mein großer Bruder hingegen strahlte, was das Zeug hielt. "Super Idee, du wirst die gebrannten Mandeln lieben!" Zusammen gingen sie voraus, während ich hinterher trottete. Na super. Wo auch immer ich war, ich lief Evelyn über den Weg und wurde daran erinnert, dass sie existierte und dass sie nicht zu mir gehörte. 

Nachdem wir uns an mehreren Leuten vorbeigequetscht hatten, standen wir vor dem Stand. Fynn und Evelyn waren gerade dabei die Waren wieder aufzufüllen, als sie uns erblickten. Mein Blick verknotete sich mit ihrem. Wir starrten uns an, beide in Gedanken beim jeweils anderen. Braun traf auf grün. 

Wieso hatte es zwischen uns so geendet? Wieso waren wir auseinander gegangen? Wieso hatte ich diesen wahnsinnigen Fehler gemacht? Wieso hatte ich mich von ihr getrennt? Von dem Mädchen meiner Träume. Von dem Mädchen, bei dem ich mir vorstellen konnte, dass ich mein ganzes Leben mit ihr verbringen würde. Wieso war ich so dumm und egoistisch gewesen? Wenn ich nachgedacht hätte, hätte ich gewusst, dass eine Trennung nichts besser machen würde. Dass ich mich nicht besser und freier fühlen würde- was hatte ich nur für einen Schwachsinn gedacht. Ich hatte mich mit der Trennung zerstört, ich hatte Evelyn zerstört. Ich hatte sie alleine gelassen. Sie dachte, dass sie mich als Unterstützung hatte- ich hatte sie aber verlassen. Und zwar nur, weil ich unbedingt sie überall als meine Freundin vorstellen wollte. Was war ich nur so dumm gewesen. Diese Beziehung war nicht für die anderen gewesen- sie war für mich und Evelyn. Nur wir zwei mussten von unserer Liebe wissen- und die war nun zerbrochen. Ganz allein wegen meinen dummen Gedanken. Fuck. 

Noch immer starrte ich sie an. Sie starrte zurück. Meine Mutter, Matteo und Fynn lachten. Sie unterhielten sich, sie freuten sich, sie lebten in der Gegenwart- während ich der Vergangenheit nachtrauerte. Der Vergangenheit, in der ich so glücklich und verliebt gewesen war. Ich hatte Evelyn. Und was hatte ich nun? Die Freiheit, die ich mir erhofft hatte? Nein. Nein, die hatte ich nicht. Jeden Tag, wenn ich aufwachte, fühlte es sich so an, als hätte mir jemand schwere Eisenketten um mein Herz gelegt. Mein Herz war gefangen, gefangen in der Vergangenheit. Verzweifelt hatte ich das ganze Jahr lang probiert weiterzuleben und mich neu zu verlieben- vergeblich. Mein Herz gehörte noch immer zu Evelyn und würde es auch ewig bleiben. Aber wollte sie mein Herz? Wollte sie meine Liebe? Nach all dem, was ich ihr angetan hatte, bezweifelte ich es. Ihr Mundwinkel zuckte vorsichtig. Langsam erwiderte ich ihr unsicheres Lächeln, aber sofort durchzuckte der Schmerz mich wieder und mein Gesicht  verzog sich zu einer unglücklichen Maske. Nein, seit sie weg war, konnte ich nicht einfach so tun, als wäre alles okay. 

"Schatz, was möchtest du denn haben?", riss meine Mutter mich aus meinen Gedanken. Wie in Zeitlupe löste ich meinen Blick von Evelyn, sie schaute schnell zu Boden. Ich überlegte. Und nein, ich überlegte nicht, was ich essen wollte- wie sollte ich in diesem Moment an diese unwichtige Sache denken. Ich überlegte, wie ich Evelyn zurückholen könnte. Wie ich ihr signalisieren könnte, dass nicht alles verloren war. Klar, ich konnte nicht mit Sicherheit sagen, dass sie mich noch mochte. Dass sie mich in ihrem Leben haben wollte. Aber einen Versuch war es wert, nicht wahr?

"Lynn, was kannst du mir empfehlen?"

Rasch schaute sie auf, starrte mich mit weit aufgerissenen Augen an. Ich sah, dass sie es nicht fassen konnte. Sie konnte nicht fassen, dass ich es getan hatte- ich hatte sie mit ihrem Spitznamen- den Spitznamen, den nur ich benutzte- angesprochen. Ein Lächeln bildete sich auf ihren Lippen und in diesem Moment war mir alles andere egal. Die Blicke der anderen, das komische Gefühl in meinem Magen, mein laut warnend schreiendes Gehirn. Alles, was zählte, war Evelyn. "Uhm... Also ich finde die Schokoerdbeeren echt gut", meinte sie zögernd. Ich nickte ihr zu. "Dann nehme ich die", erwiderte ich und lächelte.

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Sarah hat sich getraut, wohooo! Aber ob die beiden noch einen Schritt weiter gehen...?

Frage des Tages: Geht ihr an Weihnachten in die Kirche?

xoxo -F

Last christmasWo Geschichten leben. Entdecke jetzt