Ich stand auf und lief in das Badezimmer. Als ich mich im Spiegel betrachten konnte, erschrak ich etwas. Ich sah nicht gut aus. Unter meinen Augen, die rot und schmerzhaft aussahen, lagen dunkle Augenringe. Darunter kamen meine Wagen, die von den ganzen Tränen auch rot schimmerten. Meine Nase brannte und war ebenfalls rot. Meine Lippen? Sie waren trocken und rissig. An manchen Stellen platzen sie schon etwas auf und es war getrocknetes Blut durch die einzelnen Risse gelaufen. Und das alles nur wegen einem verdammten Missverständnis. Ich konnte es nicht mehr ertragen mich anschauen zu müssen, so jämmerlich wie ich aussah, also öffnete ich den Schrank. Die Spiegel waren jetzt nach außen geklappt. Im untersten Fach des Schrankes stand ein Becher mit einer Zahnbürste die eingeschweißt war. Dazu noch eine kleine Zahnpastatube. Meine Hände zitterten und es fiel mir schwer nach dem Becher greifen zu können. Ich wollte einfach, dass alles vorbei war. Als ich den Becher nun endlich greifen konnte, zog ich ihn näher an mich heran und mit der anderen Hand nahm ich die Zahnbürste heraus. Da ich keine Kraft hatte fiel mir der Becher in das Waschbecken.
TW: self harm, blood
Ich erschrak und wollte ihn wieder zurück in den Schrank stellen, als ich im Waschbecken eine Rasierklinge sah. Sie musste wohl im Becher gewesen sein. Ich nahm sie in die Hand und schnitt dabei in meine Handfläche. Das Blut tropfte langsam ins Waschbecken und verlief dann schnell, als es in Verbindung mit den einzelnen Wassertropfen kam. Komm jetzt nicht auf dumme Ideen Clay, redete ich mir selbst ein. Ich schloss meine Augen und ging vorsichtig in Richtung meines Armes und strich mit der Klinge darüber. Ich verzog leicht meine Mundwinkel, als sich Schnitte bildeten.
Ich fing an, mehr Druck auszuüben, solange bis es nicht mehr weh tat. Immer noch hatte ich meine Augen geschlossen. Plötzlich riss ich sie auf und schmiss die Klinge weg. Was zur Hölle machte ich gerade hier? Was ist in mich gefahren? Wer war ich überhaupt? George wird von mir denken, dass ich ein schlechter Mensch bin, immerhin sah es so aus, als würde ich ihn betrügen. Und ich? Ich weiß nicht was ich von mir halten soll. Ich schaute mich nach weiterem Nachdenken im Zimmer um. Irgendwo muss doch ein Erste-Hilfe-Kasten sein, dachte ich mir. Nach mehreren Minuten in denen ich suchte und versuchte, die Blutung so gut es geht zu stoppen, gab ich auf und beschloss zur Rezeption zu gehen. Da wird es schon was geben.
Ich hatte weder meine Zähne geputzt, noch meine Haare gekämmt, geschweige denn mir was anderes angezogen. Aber was sollte ich schon tun. Mein Arm musste jetzt erst versorgt werden. Unten angekommen bekam ich Wunden-Desifektionsmittel, einen Verband und 2 Pflaster.
Das Desinfektionsmittel brannte in den Wunden und ich musste mir auf die Lippe beißen, um nicht los zu jammern. Nachdem es einigermaßen eingezogen war, fing ich an, den Verband um meinen Arm zu wickeln. Zum Schluss klebte ich noch die Pflaster auf den Verband, damit dieser hält.-Timeskip 14:00 Uhr-
Nachdem ich gefrühstückt hatte, entschied ich mich irgendwann dazu, rauszugehen. Das Zimmer konnte ich langsam nicht mehr ertragen. Ich zog mir einen Hoodie an. Es war zwar nicht extrem kalt draußen, aber es war mir unangenehm, wenn jemand meine Arme sehen würde. Ich kramte meine AirPods aus meiner Hosentasche und steckte sie mir in die Ohren. Ich lief geradewegs raus aus dem Hotel. Hier stand ich nun. Genau an dem Punkt, an dem mich Nick rausgelassen hatte, nachdem George mich nicht bei sich haben wollte. Mir kamen wieder die Tränen. Ich lief schnellen Schrittes weg. Meine Gedanken gehörten der Musik, George und dem Missverständnis. Alles andere hatte ich ausgeblendet. Ein Lied nach dem anderen wurde abgespielt und dröhnte durch meine Kopfhörer. Als ich das erste Mal von all den Gedanken loslies, stand ich vor dem Park. Den Park kannte ich. George hatte ihn mir gezeigt, bevor die anderen zu uns angereist kamen. Vor mir war ein Zebrastreifen, ich näherte mich ihm an und ging über die Straße, direkt in den Park hinein. Meine Musik hatte ich etwas leiser gemacht. Vor mir war nun ein breiter Kiesweg der von hohen Bäumen beschattet worden ist. Der Weg führte zu einer großen Wiese mit Bänken und einem Spielplatz in der Mitte. Ehe ich den Weg entlang ging und mir eine freie Bank suchte, blieben meine Augen an einem jungen Mann hängen. Er hatte dunkelbraune Haare, trug ein blaues Sweatshirt und dunkelblaue Jeans. Mein Herz stand für eine Millisekunde still. Es war George. Sollte ich zu ihm gehen? Sollte ich einfach wieder umdrehen und woanders hin gehen? Es schossen mir tausende Fragen durch den Kopf. Ich wusste keine Antwort. Ich schaute nochmal zu ihm. Und er sah zu mir. Wir hatten Blickkontakt und keiner unterbrach ihn. Ich konnte nicht abschätzen, was er gerade fühlt. Vielleicht wollte er, dass ich zu ihm komme, vielleicht wollte er aber auch, dass ich gehe. Ich war ratlos. Wir starrten uns immer noch an. Seine Lippen zuckten kurz, ein kleines Lächeln schlich sich über seine Lippen. Wie sehr ich es vermisst habe, George in die Augen gucken zu können. Er rückte ein Stück zur Seite. Es sah fast so aus, als würde er Platz machen... Für mich? War das eine Einladung dafür, dass ich zu ihm kommen soll? Ich machte langsame und kleine Schritte auf ihn zu. Er fing an zu winken. Zu mir? Ich fing an vorsichtig meine Hand zu heben, doch genau in diesem Moment joggte Nick an mir vorbei. Ich blieb stehen, hat er die ganze Zeit Nick angesehen, und nicht mich? Hatte er mich überhaupt wahrgenommen? Ich war wieder ratlos. Ein schnaufen kam immer näher zu mir. Es war Nick. Er stand neben mir. "Hey Buddy, wie geht's dir?" ich nahm meine Kopfhörer aus den Ohren. Er fragte mich in einer sehr vorsichtigen Stimmlage. "Gut." Nick zog eine Augenbraue hoch und lächelte mich besorgt an. Wir wussten beide ganz genau, dass es nicht stimmte. Ich nickte ihm zu und wollte mich von ihm abwenden. Er wollte schließlich zu George. Doch er hielt mich am Arm fest. "Komm mit." er zog leicht an meinem Arm. Ich seufzte auf, aber lief trotzdem mit ihm mit. Mein Blick war auf den Boden gesenkt. Nick fing an den Namen von George zu rufen und als er ihm antwortete merkte ich erst, wie nah er mir war. Nick bewegte sich von mir weg und setzte sich auf die Bank. Meine Hände wurden kalt und schwitzig. Meinen Herzschlag konnte ich im Hals spüren. Es klopft so laut, ich war kurz am überlegen, ob George und Nick es hören konnten. Ich hatte Angst. Keine Angst vor George als Person, oder vor Nick, aber vor der Situation. George rückte ein Stück näher zu Nick und machte somit Platz auf der Bank. Vorsichtig näherte ich mich der freien Stelle und ließ mich dann nieder. Es herrschte Stille zwischen uns. Man hörte Vögel zwitschern, Kindergeschreie von dem Spielplatz und telefonierende Erwachsene. Von weiter weg hört man die Motoren der Autos, die auf der Straße entlang fuhren. Normalerweise würde ich George's Hand halten, oder sein Kopf würde an meiner Schulter lehnen, aber heute saßen wir einfach nur nebeneinander. Nicht einmal unsere Beine berührten sich. Plötzlich wurde die Stille unterbrochen. "Hast du mich nur ausgenutzt und mir die ganze Zeit nur was vorgespielt?" George redete ernst. Seine Stimme brach in der Mitte des Satzes. "Weshalb sollte ich dich ausnutzen, George? Seit 5 Jahren sind wir Beste Freunde. Und du warst schon immer mehr als nur mein Bester Freund. Ich liebe dich schon lange, George... Ich hatte Angst, dass du nicht so fühlst und dann die ganze Freundschaft nicht mehr funktionieren würde. So lange habe ich es keinem gesagt, weil ich Angst hatte, nicht akzeptiert zu werden. Ich weiß, es sah so aus, als hätte ich Mist gebaut, aber ich schwöre dir ich habe nichts gemacht. Ich habe nicht einmal was davon mitbekommen. Abends waren wir im Club und es hatte so sehr geregnet und dann sind wir in die Hütte..." ich atmete einmal ganz tief ein, aus meinen Augen flossen Tränen. "Wir hatten was getrunken, auch wenn ich erst gar nicht wollte, aber dann hatte ich mich so schlecht gefühlt, weil ich mein Versprechen nicht gehalten habe und du mir so oft geschrieben hattest..." ich atmete wieder ein. "Als wir zur Hütte gegangen sind müssen uns die beiden gefolgt sein und sie hatten an der Tür geklopft und baten uns, sie reinzulassen, da es so doll regnete habe ich es ihnen erlaubt und dachte mir auch nichts dabei..." Ich atmete noch einmal tief ein. Ich sah nichts mehr, meine Sicht war komplett verschwommen. "Ich hatte ihnen die Sitzauflagen hingelegt, damit sie sich dort ausruhen konnten und habe mich dann auf den Boden gelegt, weil Nick auf dem Sofa geschlafen hat. Sie musste sich wohl zu mir gelegt haben, als ich geschlafen habe. Es tut mir so so leid George. Ich bitte dich um Verzeihung." Ich schaute ihm direkt in die Augen. Mein Herz pochte wie verrückt, Tränen strömten meine Wange herunter, als würden sie ein Wettrennen veranstalten, meine Sicht war verschwommen. Ich konnte nicht mehr.
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