Vor den Interviews (Prim POV)

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Dieses Mal erwache ich aus keinem Albtraum und bin darüber unendlich froh. Heute wird mein letzter Tag in Sicherheit sein. Wenn man das überhaupt so nennen kann.
Gestern wurden die Punkte bekannt gegeben und ich bekam nur sechs Punkte. Ich hatte sowieso nicht mit vielen gerechnet. Peeta bekam acht Punkte und muss die Spielmacher demnach begeistert haben. Ich habe auf Haymitchs Anweisung Knoten gemacht. Im Training war ich darin ganz gut gewesen. Bei der Vorstellung davon, dass ich morgen schon tot sein könnte, zieht sich mein Magen zusammen und ich spüre Tränen meine Augen aufsteigen. Der einzige Gedanke, der mich beruhigt, ist, dass ich heute noch eine Chance durch die Interviews habe.
Als ich vor meinem Kleiderschrank stehe, überlege ich kurz, ob ich heute länger beim Aussuchen brauche, weil es ja der letzte Tag vor der Arena ist. Aber diese Vorstellung verschwindet schnell aus meinem Kopf, weil ich heute Abend ja sowieso ein Kleid anziehe, dass wunderschön sein wird. Wieder steigen Tränen meine Augen auf, jetzt rede ich auch noch so, als ob ein Kleid das Wichtigste der Welt wäre, dabei will ich gar nichts, außer wieder zurück nach Distrikt 12. Zurück zu Katniss und zu meiner Mum. Und auch zu Lady und Butterblume. Ich vermisse sie alle schrecklich!

Als ich bei den anderen ankomme, spürt man schon wie angespannt die Stimmung ist. Sie schauen mich alle nur kurz an und sagen kein einziges Wort. Ich lasse mich auf einen Stuhl neben Peeta fallen und nehme mir ein Brötchen.
„Iss ja viel, in der Arena wird es nicht viel zu essen geben", meint Effie zu mir.
Ich schaue sie unverständlich an. Wie kann sie jetzt nur so reden? Egal wie viel Recht sie auch haben mag, aber das geht trotzdem entschieden zu weit.
Haymitch trinkt einen Schluck Alkohol und stimmt dann überraschenderweise zu: „Ja, sie hat Recht. Das gilt für euch beide."
Ich schaue kurz zu Peeta und murmele dann leise: „Ich werde doch sowieso sterben."
„Prim, es gehört sich nicht jetzt schon aufzugeben. Du musst stark bleiben", redet Effie weiter.
Ihre Worte helfen mir überhaupt nicht weiter. Man hört sofort, das sie nicht an meinen Sieg glaubt, aber das tu ich ja selber auch nicht.
„Jetzt mal langsam, beruhigen sie sich und genießen sie das Essen", meint Haymitch kurz danach. Man hört sofort heraus, dass er getrunken hat und ich beginne mich langsam zu fragen wie viel er an einem Morgen schon trinken kann, denn ich bin ja auch erst gerade aufgestanden.
Effie wirft ihm einen finsteren Blick zu und sagt: „Wie dem auch sei, nach dem Frühstück beginnen wir mit den Vorbereitungen."

„Gut, wir sind fertig", schließt Effie endlich die Vorbereitungen ab. Müde schaue ich sie an und bekomme die erwartete Reaktion: „Du musst lächeln, du darfst nicht so gelangweilt wirken."
Schnell setze ich mir ein Lächeln auf. Anscheinend schaffe ich es meine wahren Gefühle zu ignorieren, denn Effie wirkt zufrieden.
Ich habe das Gefühl, dass schon Wochen vorbei sind, obwohl es nur ein einziger Tag war. Die Interviews beginnen bald. Das einzige was noch fehlt sind mein Kleid und die Stylisten. Selbst diese Zeit wird sich wie eine halbe Ewigkeit anfühlen und ich kann mich auf keinster Weise dagegen wären. Zum Glück nahm Haymitch seinen Teil nicht so Ernst wie Effie. Er sagte nur welche Rolle ich spielen soll. Weil ich noch so jung bin und neben Rue die Jüngste unter den Tributen soll ich freundlich und auch etwas unschuldig wirken. Die Kapitolsbewohner müssen mich in ihr Herz schließen. Dabei darf ich die Hungerspiele aber nicht vergessen und soll trotzdem eine Art Kampfgeist präsentieren. Manchmal hatte ich das Gefühl, dass für ihn all das nur Zeitverschwendung ist und er sowieso schon längst mit mir abgeschlossen hat.
Effie wirkte da um einiges sympathischer, aber ihr Verhalten nervte dafür umso mehr. Sie brachte mir bei, wie man sitzt, läuft und auch andere Gesten. Die Vorbereitungsrunde bei ihr schien um ein fünffaches länger zu dauern, als die mit Haymitch. Das Schlimmste waren die hohen Schuhe, mit denen ich laufen üben musste. Ich bin mir sicher, dass die solche Schuhe keinen Zwölfjährigen zumuten. Das waren auch keine normalen Absätze.
Als sie am Ende sagte, ich sei einer ihrer besten Tribute gewesen, konnte ich das nicht glauben. Sie schien das aber ernst zu meinen.
Ich stehe von dem Sessel auf und versuche ihren schnellen Schritten nachzukommen. Sie läuft wirklich schnell, aber ich bin von dem Tag so erschöpft, dass sich meine Beine ganz schwer anfühlen.
„Komm schon, wir haben nicht ewig Zeit", hetzt Effie mich.
Wortlos folge ich ihr den Flur entlang zu einem anderen Raum. Als wir davor stehen, lächelt sie mich nett an und sagt: „Ab hier übernehmen die Stylisten."
Ich nicke und öffne die Tür. Als ich in dem Zimmer stehe, werde ich sofort von meinen Stylisten aufgefangen.

Endlich sind sie fertig und ich kann aufstehen. Ich hatte gedacht, dass es beim zweiten Mal nicht so schlimm sein würde, aber es war genauso so schrecklich wie vor wenigen Tagen, als sie mich für die Eröffnungsfeier gestylt haben.
„Jetzt überlassen wir dich Cinna", sagt eine zu mir und lächelt dabei freundlich.
Ich schaffe es nur zu nicken und bin froh als sie aus dem Zimmer sind. Cinna ist in Ordnung und einer der nettesten Menschen, die mir hier im Kapitol begegnet sind. Ich freue mich tatsächlich etwas darauf ihn wieder zu sehen.
Nach wenigen Minuten kommt er an und wirkt dabei überhaupt nicht aufdringlich im Gegensatz zu den Stylisten. Er begrüßt mich freundlich und sagt: „Du hattest bestimmt einen anstrengenden Tag gehabt, aber nach dem Kleid bist du fertig."
„Ja, aber wenn ich ehrlich bin, habe ich vor den Interviews noch viel größere Angst", gebe ich zu.
„Glaub mir, du musst keine große Angst davor haben. Hat Haymitch denn irgendwas Schlechtes gesagt?"
Ich schüttele mit dem Kopf und antworte: „Nein, er war zufrieden und Effie meinte sogar, ich sei einer ihre besten Tribute gewesen."
„Siehst, du brauchst keine Angst zu haben."
„Ja, aber trotzdem. Morgen werde ich wahrscheinlich tot sein. Ich weiß nicht wie ich damit umgehen soll."
„Du darfst dich auf keinen Fall selbst aufgeben, Prim. Du musst stark bleiben, egal wie schwer es wird. Deine Einstellung wird sich auch in den Interviews widerspiegeln und wenn die Leute sehen, dass du jetzt schon aufgegeben hast wird es für dich in der Arena noch schwieriger sein."
Ich schaue zu Boden. Er hat Recht. Wenigstens in den Interviews muss ich versuchen stark zu bleiben, aber in der Arena habe ich gegen die anderen keine Chance. Dass die Karrieros stärker sind, ist sowieso klar, aber jeder sieht, dass Rue, die genauso alt wie ich ist, besser ist. Es ist klar, dass Kapitolsbewohner, denen Jüngere Leid tun, Rue sponsoren werden. Nicht mich.
„Möchtest du jetzt dein Kleid anprobieren?", fragt Cinna mich dann und reißt mich damit von meinen Gedanken weg.
„Ja", sage ich und zwinge mir ein Lächeln auf, um ihm zu zeigen, dass ich seine Arbeit wirklich schätze.
Er gibt mir das Kleid, das ich noch nicht sehen kann, weil es unter weißem Stoff liegt. Ich hole es hervor und bin ganz verzaubert, als ich es sehe. Es ist in einem hellen Blauton und liegt oben eng an. Nach unten hin wird es immer breiter. Es ist ungefähr knielang und auch mit Stickereien versehen, die es noch schöner machen. Mit großen Augen sehe ich es an.
„Du kannst es anziehen. Es ist ja für dich."
Ich nicke nur, weil ich nicht im Stande bin etwas zu sagen. Dann ziehe ich es an und betrachte mich im Spiegel. Ich kann nichts gegen das Lächeln, dass sich in meinem Gesicht ausbreitet tun.
„Es ist wunderschön", bringe ich endlich heraus.
„Das freut mich. Ich bin froh, dass es dir gefällt. Kannst du dich jetzt wenigstens etwas auf die Interviews freuen?"
„Naja, direkt nicht, aber darauf, dass ich an diesem Abend diese tolle Kleid anhaben darf."
Eine kurze Weile stehe ich so da. Cinna flechtet mir einen seitlichen Zopf und reicht mir noch meine Schuhe.
Ich bin erleichtert, als ich sehe, dass die Absätze nicht so hoch sind, wie bei den Schuhen, die Effie mir zum Üben gab. Beim Laufen fallen sie kaum auf.
„Und bist du jetzt bereit?", fragt Cinna mich.
„Ja, ich glaube schon", meine ich etwas unsicher.
In Wirklichkeit bin ich immer noch ganz aufgeregt, aber Cinna konnte mich tatsächlich etwas beruhigen.

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⏰ Letzte Aktualisierung: Apr 09, 2015 ⏰

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