Kapitel 2

22.4K 649 32
                                    

Kaum hatte der Arzt den Untersuchungsraum verlassen, stand auch schon Mr. Cutler wieder vor mir. Seine Hände in die Hüfte gestemmt, schaute er mich fragend an.

„Und was hat der Arzt gesagt?" Er lehnte sich an den Untersuchungstisch und blickte auf mich herunter. Ich wusste zwar nicht was ihn das anging, aber ich wollte nicht unhöflich sein.

„Sie hatten Recht. Der Fuß ist verstaucht und ich habe eine leichte Gehirnerschütterung. Ich soll die nächsten paar Tage zuhause bleiben und mich erholen." Resigniert atmete er aus und schaute mich zum ersten Mal mit einem freundlichen Lächeln an.

„Es tut mir leid. Ich war heute in Gedanken und habe zu spät gebremst."

„Ist schon in Ordnung." Ich selbst hatte auch nicht so genau auf die Straße geachtet. Aber das behielt ich lieber für mich.

„Ich bin übrigens James Cutler. Mir wäre es zwar lieber gewesen wenn die Umstände unseres ersten Treffens anders gewesen wären, aber ich kann es nicht mehr ändern." Er reichte mir die Hand und half mir vom Tisch herunter. Seine Hände stützten mich, als ich etwas wackelte.

„Ich bin Stella Franklin.", stellte ich mich ihm vor, nachdem ich sicher auf meinen eigenen Beinen stand. Ich versuchte ihm meine Hand zu entziehen, doch er hielt sie weiter fest. Meine Hand verschwand fast vollständig in seiner. Sie war groß und warm. Seine Finger kräftig. Die Hände eines Mannes. Ganz anders als die von Conner, schoss es mir durch den Kopf. Seine waren fiel zu weich und sein Händedruck schlaff.

„Ich möchte Sie gerne zum Essen ausführen.", riss mich seine Stimme aus meinen Gedanken. Was? War das sein ernst? Alles andere als begeistert starte ich zu ihm empor.

„Seien Sie nicht so geschockt Miss Franklin. Schließlich muss ich mein Verhalten von heute Morgen wieder gut machen." Langsam verließen wir den Behandlungsraum. Vorsichtig belastete ich meinen Fuß. Es war zwar schmerzhaft aber erträglich. Schritt für Schritt humpelte ich mit Mr. Cutlers Hilfe dem Ausgang entgegen. Ich wollte nämlich nicht wieder von ihm getragen werden. Nicht das es mir nicht gefallen hätte, aber es wäre unangemessen.

„Das ist wirklich nicht nötig. Sie haben mich schon ins Krankenhaus gefahren ..."

„Seien Sie nicht albern. Ich hole Sie morgen um 18:00 Uhr ab." Bevor ich widersprechen konnte, schüttelte er den Kopf.

„Keine Widerrede. Ich würde mich danach viel besser fühlen. Und mein Gewissen wäre beruhigt." Was ging mich sein Gewissen an?

„Sie wissen doch gar nicht wo ich wohne. Wie wollen Sie mich da abholen?" Ha! Daran hatte er bestimmt nicht gedacht.

„Natürlich weiß ich wo Sie wohnen."

„Was? Woher denn?" Entrüstet versuchte ich mich von ihm zu lösen. War er irgend so ein perverser Stalker und wollte mich nach unserem Treffen in einer Sackgasse erwürgen?

„Sie werden es mir gleich selber verraten." Er grinste mich verschmitzt an. Anscheinend standen mir meine Gefühle und Gedanken ins Gesicht geschrieben. Oder er konnte Gedanken lesen. Die Frage war nur, warum ich ihm meine Adresse verraten sollte? Als wir endlich vor seinem Auto hielten, wurde mir mein Denkfehler bewusst. Wenn ich heute nach Hause kommen wollte, musste ich ihm meine Adresse Wohl oder Übel geben. Oder ich könnte ein Taxi nehmen, schoss mir der Gedanke durch den Kopf. Aber nein. So stur war ich nun auch wieder nicht. Und ich wollte ihn auch nicht vor den Kopf stoßen. Schließlich war er so freundlich zu mir. Und er hatte mich ja nicht absichtlich angefahren. Also nannte ich ihm die Adresse und wir fuhren los.

Als wir uns meinem Wohngebäude näherten, sagte ich: „Sie können in die Tiefgarage fahren. Auf der Straße darf man nicht parken." Ich deutete mit dem Finger auf ein metallisches Tor, das sich automatisch hob als das Auto näher kam. Wir fuhren in einen großen Fahrstuhl, der sich fast augenblicklich hinter uns schloss und in Bewegung setzte. Das Tor hob sich wieder und wir fuhren in die Tiefgarage.

„Da vorne ist mein Parkplatz. Sie können Ihren Wagen dort abstellen." Als er den Wagen geparkt hatte, sah er mich neugierig an.

„Wo ist denn Ihr Wagen?"

„Geklaut."

„Aus der Tiefgarage?" Er klang mehr als nur geschockt. Richtig entsetzt. Unbewusst strich er mit den Fingerspitzen über das Lenkrad. Als ob er sein Auto trösten würde.

„Keine Sorge. Ich hatte was in der Wohnung vergessen und deshalb eine Straße weiter geparkt und hab es schnell geholt." Kurz schwieg ich.

„Als ich nicht mal fünf Minuten später wieder kam, war mein Auto weg."

„Wollen Sie mich auf den Arm nehmen? Haben Sie etwa die Schlüssel stecken lassen?"

„Sie klingen genauso wie der Polizist der meine Aussage aufgenommen hat. Nein! Ich habe sie nicht stecken lassen." Ich war etwas beleidigt. Ich war doch keine Chaotin. Zumindest keine allzu große. Und so etwas wichtiges würde ich doch nie vergessen.

Im Aufzug drückte ich auf die neun und er setzte sich in Bewegung. Hilfsbereit stützte James mich mit einer Hand und mit der anderen hielt er meine Unterlagen. Auf dem Flur befanden sich vier Türen und ein großes Fenster ließ genug Licht herein. Vor meiner Tür mit der 9.4 blieb ich stehen und wühlte in meiner Handtasche nach den Schlüsseln. Wie immer fand ich alles Mögliche. Nur nicht das was ich brauchte. Lippenstift, Taschentücher, Visitenkarten und sogar Pflaster und Desinfektionsmittel. Hatte ich vielleicht die Schlüssel verloren? Mein Stirnrunzeln vertiefte sich. Das wäre nicht möglich. Die Handtasche war fest verschlossen gewesen. Hinter mir spürte ich langsam, wie ungeduldig James wurde. Er klopfte mit dem Fuß auf den Boden. Schlechte Angewohnheit oder nervöser Tick? Bei der Vorstellung dass so ein Mann, nach außen hin eiskalt und manipulativ, einen nervösen Tick hatte, musste ich kichern. Was ihm natürlich nicht entging.

„Was ist denn so lustig?", verlangte er so gleich von mir zu wissen.

„Ach, nichts Besonderes." In diesem Moment stieß ich mit den Fingern auf etwas Hartes in der Seitentasche. Aha! Ich wusste doch dass ich sie nicht verloren hatte! Triumphierend holte ich die Schlüssel heraus und hielt sie in die Höhe. Nachdem ich die Tür geöffnet hatte, humpelte ich in die Wohnung. Im kleinen Eingangsbereich ließ ich meine Tasche und Jacke auf eine Kommode fahlen. Meine Schuhe lagen in einer Mülltonne auf dem Krankenhausparckplatz. Gemeinsam traten wir in mein Wohnzimmer. Licht fiel durch die Fensterfassade und erleuchtete den Raum der in hellen Cremetönen gehalten wurde.

„Oh mein Gott! Sie wurden ausgeraubt!" Sein lauter Ausruf ließ mich erschrocken zusammen zucken und mich genau umschauen. Fehlte etwas?

„Was? Wie kommen Sie den darauf?" Ich blickte mich erneut im Zimmer um. Es sah alles wie immer aus. Aber sein Blick war in Richtung Schlafzimmer und Arbeitszimmer gerichtet. Beide Türen standen offen. Man sah das ungemachte Bett und meine Schlafsachen. Im Arbeitszimmer sah man einen Haufen von Unterlagen, der auf Boden und Tisch verteilt war.

„Ich habe heute Morgen verschlafen und war unter Zeitdruck. Als ich die Unterlagen zusammen gesammelt hatte und gehen wollte, bin ich an einem Kabel hängen geblieben und hab einige Unterlagen herunter gezogen." Ich zuckte mit den Schultern. So etwas war mir nicht zum ersten Mal passiert. Und sehr wahrscheinlich auch nicht zum letzten Mal. Ich war zwar keine Chaotin, aber leider etwas ungeschickt.

„Soll ich die Unterlagen ins Arbeitszimmer bringen?" James machte sich schon auf den weg, als ich ihn am Arm festhielt.

„Ist schon ok. Sie können sie auf den Tisch da vorne legen." Ich deutete mit einem Finger auf einen niedrigen Glastisch. Irgendwie wollte ich nicht dass er das ganze Chaos sah. Nachdem er die Unterlagen abgelegt hatte, sah er mich noch einmal an.

„Brauchen Sie noch Hilfe?"

„Nein. Den Rest schaffe ich schon alleine. Danke." Ich lächelte zu ihm hinauf und reichte ihm die Hand zum Dank. Doch anstatt sie zu schütteln, zog er sie hinauf zu seinem Mund und drückte einen sanften Kuss auf meine Knöchel.

Bevor ich wusste wie ich reagieren oder was ich sagen sollte, war er schon an der Tür.

„Ich hole Sie dann morgen um 18:00 Uhr ab, Miss Franklin." Spielerisch verbeugte er sich leicht vor mir und verließ mit einem lauten Lachen meine Wohnung. Tausend Gedanken schossen mir durch den Kopf und unangebrachte Gefühle machten sich in mir breit. Ich musste höllisch aufpassen. Sonst hatte er mich bald um seinen kleinen Finger gewickelt. Auch wenn seine Finger alles andere als unangenehm waren, wollte ich nicht wie eine ertrinkende an ihnen hängen.

(Überarbeitet am 18.02.18)


Verrückt nach dir!Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt