Kapitel 4

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AMALIA

Am nächsten Tag standen wir früh auf. Heute Abend würde ein großes Fest auf dem Marktplatz stattfinden, mit Musik und Tanz, und dafür mussten wir noch einiges vorbereiten. Bruno, Carla und ich hatten beschlossen auf dem Marktplatz beim Aufbauen zu helfen, während Julieta, Pepa und Alma in der Küche einige Knabbereien vorbereiteten. Die Zwillinge wurden von Mirabel und Camilo beschäftigt, sodass wir uns keine Sorgen um sie machen mussten. Bruno und ich versuchten einige Girlanden zwischen den Laternen aufzuhängen, während Carla beim Aufbauen der Tische half.
"Wieso kann Camilo hier nicht die Sachen aufhängen? Er kann sich doch einfach groß machen!", beschwerte Bruno sich, als er auf eine Kiste geklettert war und sich gestreckt hatte, aber trotzdem noch nicht an das Ende der Laterne kam, wo die Girlande hängen sollte.
"Willst du dich lieber mit den Zwillingen beschäftigen? Nach heute Morgen?", fragte ich grinsend nach. Heute Morgen waren die Zwillinge nämlich das Treppengeländer heruntergerutscht und hatten dabei einen Pflanzenkübel umgeworfen. Als wäre das nicht schon schlimm genug gewesen, hatten sie kurzerhand beschlossen eine kleine Erdschlacht zu machen, sodass sie erstmal hatten duschen gehen müssen. Und ihr Energielevel hatte sich bisher keinesfalls gesenkt! Also hatten wir die beiden an Mirabel und Camilo abgegeben, die sich nur zu gerne vor der anstrengenden Arbeit in der prallen Sonne drückten. Bruno brummte kurz und wog bedächtig den Kopf, bevor er nickte.
"Stimmt auch wieder. Sie haben definitiv schon wieder viel zu viel Energie!", gab er zu und seufzte. "Aber deswegen komme ich trotzdem nicht da oben ran! Wieso bin ich auch so verdammt klein?" Ich lachte und half ihm von der Kiste zu klettern ohne zu stürzen, bevor ich ihm einen Kuss auf die Wange gab.
"Ich finde, du hast genau die richtige Größe, mi vida", wandte ich ein. "Außerdem kommt es doch auch nicht auf die Größe, sondern auf den Charakter an, Brunito."
"Das stimmt, mi querida", gab er mir recht und gab mir ebenfalls einen Kuss auf die Wange. "Lass uns mal etwas Hilfe suchen, ja? Vielleicht kann ja jemand anderes helfen."
"Oder wir holen einfach eine Leiter und keine wackelige Kiste", schlug ich vor, er lächelte.
"Du bist so schlau, das liebe ich an dir", meinte er und küsste mich wieder, bevor wir uns daran machten, eine Leiter zu holen, die in der Ecke stand. Wir lehnten sie gegen die Laterne und ich hielt sie fest, während Bruno hinaufkletterte, um die Girlande zu befestigen. Carla kam währenddessen zu mir und beobachtete ihren Vater dabei, wie er verzweifelt versuchte die Girlande aufzuhängen. Carla grinste.
"Wenn du wüsstest, was er gerade denkt, würdest du ihm diese Leiter unter dem Hintern wegreißen!", lachte sie, worauf ich sie ansah. Ihre Augen leuchteten grün, also hörte sie mal wieder, was wir alle dachten. Ich lachte und sah Bruno an.
"Brunito, keine bösen Wörter in der Gegenwart unserer Tochter!", rief ich zu ihm hinauf, worauf er mich verwirrt ansah.
"Ich hab doch gar nichts... oh, ja. Entschuldigung!", erwiderte er und sah Carla entschuldigend an. "Du hast nichts gehört, mi amor!"
"Niemals!", beruhigte Carla ihn schnell und grinste. "Dann mache ich mal mit den Tischen weiter! Sagt Bescheid, falls ihr Hilfe mit den Girlanden braucht!" Damit ging sie zurück zu den Tischen. Ich beobachtete meine Tochter. Sie war mittlerweile fünfzehn und hatte sich zu einer wirklich wunderschönen jungen Dame entwickelt. Sie sagte zwar immer, dass sie gar nicht hübsch sein konnte, wegen ihrer Narbe, aber Bruno und ich sahen das nicht so. Ihre schwarzen Locken gingen ihr bis zum mittleren Rücken und sie war ungefähr so groß wie ich. Das Kleid, das Bruno ihr jedes Mal aufs Neue anfertigte, wenn sie aus ihrem alten herauswuchs, sah immer noch so aus wie früher und ging ihr nicht einmal bis zu den Knien. Alma hatte ihren kurzen Rock am Anfang nicht gerade gut geheißen, aber mittlerweile hatte sie akzeptiert, dass Carla sich so am liebsten kleidete und hatte auch zugegeben, dass sie darin sehr gut aussah. Es wunderte mich sowieso, dass Carla noch keinen Freund hatte, aber die Liebe ließ sich eben nicht erzwingen. Sie kam, wann sie es für richtig hielt. Bei Bruno und mir hatte es schließlich zwanzig Jahre gedauert, bis wir gewusst hatten, dass wir uns liebten! Carla würde ihren Seelenverwandten schon noch finden, da war ich mir sicher.
"Sie ist so erwachsen und noch hübscher als früher geworden, nicht wahr?", sagte ich zu Bruno, er nickte und sah ebenfalls zu Carla hinüber.
"Ja, das ist sie. Und wenn man bedenkt, wie schlecht es ihr vor fünf Jahren ging, ist es wirklich beinahe ein Wunder, wie toll sie sich gemacht hat. Sie musste viel durchmachen, aber sie ist sehr stark und hat alles mit Bravur gemeistert", gab er mir recht und knotete die Girlande fest, bevor er von der Leiter geklettert kam und seinen Arm um mich legte. "Ich finde, wir haben drei wundervolle Töchter, mi vida. Wir haben das wirklich gut gemacht." Ich lächelte ihn an.
"Und wir werden es auch weiterhin gut machen", stimmte ich ihm zu und nahm seine Hand, um sie zu drücken.
"Das hoffe ich doch mal!", erwiderte er lächelnd und drückte ebenfalls meine Hand.
"Mamá, Papá!" Wir drehten uns um, als wir die Stimmen der Zwillinge hörten. Sie kamen auf uns zugerannt und schafften es geradeso, nicht gegen die Leiter zu rennen. Dafür stolperten sie gegeneinander und fielen auf den Boden, aber anstatt zu weinen, wie die meisten Kinder es tun würden, lachten sie und blieben auf dem warmen Boden sitzen. Luna strich sich eine Strähne hinters Ohr, die ihr aus ihrem geflochtenen Zopf gerutscht war, während Estrella lachend unter ihr lag. Die zwei waren manchmal wirklich chaotisch!
"Hey, was macht ihr zwei denn hier?", fragte ich lächelnd und half den beiden wieder auf die Beine. "Solltet ihr nicht bei Mirabel und Camilo sein?"
"Ja, aber die beiden mussten in der Küche helfen, also sind wir hergekommen, um euch zu helfen!", antwortete Luna und grinste uns breit an. "Was können wir machen?"
"Erstmal nicht wieder hinfallen, ja?", schlug Bruno lächelnd vor, als er Estrellas aufgeschlagenes Knie sah. "Und du gehst am besten mal zu tía Julieta und bittest sie, dir eine Arepa zu geben, ja, Lita?" Aber Estrella schüttelte den Kopf.
"Brauch ich nicht! Es tut nicht weh!", wandte sie ein, aber ich griff nach ihrer Hand und drückte sie.
"Aber es soll nicht bluten, mi amor. Bitte, geh zu tía Julieta und lass dir von ihr helfen", widersprach ich, sie seufzte.
"Na gut! Aber in fünf Minuten bin ich wieder da!", willigte sie ein, ich gab ihr einen Kuss auf die Stirn.
"Ich weiß und wir freuen uns, wenn du wieder da bist und uns helfen kannst", erwiderte ich und lächelte sie an, sie nickte nur, bevor sie zurück zu Casita ging.
"Gehst du mal schauen, ob deine Schwester Hilfe bei den Tischen braucht, Lunita?", bat Bruno, Luna nickte.
"Ja, das mach ich!", stimmte sie zu, bevor sie zu Carla rannte. Ich lachte und sah Bruno an.
"Die zwei werden keine große Hilfe sein, oder?"
"Nein, wir werden alles noch mal von vorne machen müssen, bei diesem Energielevel."
"Genau das dachte ich mir."

Ich brauche dich, Bruno 4 - Die verlorene Tochter - Carlas Suche Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt