- Kapitel 10 -

179 14 4
                                    


August 2021

Der warme Ostseewind strich über Claras Rücken und wedelte vereinzelte Strähnen, die sich aus ihrem zerzausten Dutt gelöst hatten, über ihren Nacken, sodass Clara eine leichte Gänsehaut bekam. Ihre enganliegende Jeans hatte sie ein wenig nach oben geschoben und so stand sie mit beiden Beinen nun am Strand von Börgerende und ließ sich von den Wellen immer tiefer in den Sand einsinken. Ihre Arme hatte sie verschränkt, so als ob sie sich selbst festhalten müsste, um nicht von den Wellen hinausgetragen zu werden und blickte gedankenversunken hinaus auf die weite See.

Endlich hatte sie es geschafft. Sie waren nach einer fast 9-stündigen Autofahrt, mit mehreren Pausen, im -für Clara- langersehnten Paradies angekommen. Trotz, dass es Anfang August war und touristischer Hochbetrieb an der Ostseeküste herrschte, war der Strand in dem kleinen Dorf wie leergefegt. Clara genoss die Ruhe und das Rauschen des Meeres in ihren Ohren. Die beiden Freundinnen hatten sich dazu entschlossen, mitten in der Nacht loszufahren, um so dem regen Ferienverkehr zu umgehen. Und tatsächlich war die Fahrt sehr entspannt gewesen, sodass sie bereits am nächsten Morgen bei Sonnenaufgang das kleine Bungalow erreichten hatten. Jessica entschied sich nach der Ankunft, erst einmal die Koffer auszupacken und einen Kaffee aufzusetzen. Die Autofahrt hatte ihre Freundin doch sehr geschlaucht. Clara hingegen konnte es nicht abwarten, endlich den weichen Sandstrand unter ihren Füßen zu spüren und ging daher alleine an den Strand. Bis auf ein paar Jogger, hatte sich an diesem Morgen keine weitere Menschenseele hier aufgehalten. Wie erwartet, war es an diesem Augustmorgen bereits recht warm. Clara hatte dennoch eine leichte Vliesjacke übergezogen, da der Wind noch etwas frisch war. Nachdem sie eine Weile am Ufer gestanden hatte, entschied Clara sich, einen Spaziergang zu machen, um ihre von der langen Autofahrt, müden Knochen aufzuwecken.

Und so spazierte sie langsam am Ufer entlang und ließ sich immer wieder mit ihren nackten Füßen in den weichen Sand einsinken. Ihre Sandalen, die sie zuvor ausgezogen hatte, hielt sie dabei in ihrer Hand. Clara war begeistert von der Atmosphäre und blieb während ihres Spaziergangs immer wieder kurz stehen, um sich die zahlreichen Steine und Muscheln, die auf der Sandoberfläche verteilt waren, genauer anzusehen und hob hier und da einige davon auf, um sie später mit Nachhause zu nehmen. Sie empfand diesen doch sehr naturbelassenen Sandstrand um ein Vielfaches schöner, als die feinsandigen Strände in den Kaiserbädern.

Clara hatte nach mehreren hundert Metern eine Steilwand erreicht, die scheinbar über viele tausende Jahre von Wind und Wetter erodiert war und entdeckte vor ihr mehrere Steine, die übereinandergestapelt worden waren. Clara musste leicht Schmunzeln und dachte direkt an ihren Vater, der in ihrer Kindheit immer gemeinsam mit seiner kleinen Tochter, die Steine am Strand stapelte. Claras Vater hatte ihr damals erklärt, dass dies ein skandinavischer Brauch sei und man somit gemeine Trolle fernhalten wolle.

Egal welche Bedeutung das Steinestapeln auch hatte, so empfand Clara es immer wieder als sehr hübsch anzusehen. Und so entschied sie sich, neben den bestehenden Steinestapeln selbst einen zu errichten. Während sie einige flache Steine am Strand eingesammelt hatte und begann, diese übereinander zu legen, dachte sie automatisch an ihren kleinen Wirbelwind und was er für einen Spaß er dabeigehabt hätte, gemeinsam mit seiner Mama die Steine zu suchen und zu stapeln. Clara hatte sich in den Sand gekniet, legte behutsam einen Stein auf den anderen und während sie dabei an Finn dachte, rannte eine kleine Träne an ihrer Wange hinunter. Wie gerne wäre sie jetzt gemeinsam mit ihm hier. Würde mit ihm über den Sand fegen, Muscheln und Steine sammeln und mit ihm auf die Suche nach Donnerkeilen gehen. Doch Clara wusste, dass ihr das für immer verwehrt bleiben würde.

Als sie fertig war, holte sie ihr Handy aus der Hosentasche und fotografierte ihren selbst errichteten Steinstapel um es kurz an ihre Freundin zu schicken. Sie hatte nur einen kurzen Satz dazu geschrieben -Es ist wunderschön hier.-, und drückte auf Absenden. Clara blickte auf das offene Meer und blieb noch eine Weile im weichen Sand sitzen. Mehrmals sog sie die salzige Luft in ihre Lungen, bevor ihr Handy vibrierte und sie ins Hier und Jetzt zurückkehrte. Jessica hatte ihr ein Herzsmiley geschickt und nachgefragt, wann sie zurückkommen würde, damit sie gemeinsam frühstücken könnten. Clara gab daraufhin ihrer Freundin zu verstehen, dass sie sich gleich auf den Weg machen würde. Doch wenn es nach ihr gegangen wäre, hätte sie noch Stunden hier am Strand sitzen und gedankenversunken auf das weite Meer starren können. Doch war sie eben nicht alleine hier und so trat Clara nach weiteren wenigen Minuten die Stille genießend, den Rückweg an.

Safe Hands - Wie weit der Wind dich trägt...Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt