Die Dämmerung in dir

19

Anthony

Angespannt lasse ich meinen Blick durch die kreischende Menschenmenge wandern, auf der Suche nach diesem einen Mädchen. Rose.
Seit genau dreißig Sekunden ist das Konzert vorbei, doch ihr strahlendes Gesicht habe ich noch kein einziges Mal hier gesehen. Nun entweicht mir das Lächeln von meinen Lippen, während ich die kleine Treppe am Rand der Bühne ansteuere.

Sie ist nicht gekommen.

„Gut gespielt Bro!" Lächelnd haut mir einer der Typen aus der Band auf die Schulter, worauf ich mich selber zu einem Lachen zwinge.

Ich hätte es ihr direkt erzählen sollen. Ich hätte ihr sagen sollen, wieso meine Schwester so einen Hass auf ihren Vater hat. Ich hätte ihr direkt sagen sollen, was zwischen unseren Eltern war. Doch konnte ich einfach nicht. Ich hatte Angst. Ich habe Angst. Angst, dass sie denkt ich würde sie nicht lieben. Doch das tue ich.

Mit angespannten Kiefer lasse ich die Gitarre in meiner Hand sinken, während ich nach meinem Wasser greife, welches ich nicht weit entfernt von der Bühne gestellt habe. Genau wie der Schweiß, läuft mir nun das Wasser mein Gesicht hinunter, während ich ein letztes Mal in die Gruppe voller Menschen starre. Doch sehe ich sie nicht.

Das war's also. War das ihre Art Lebewohl zu sagen?

Enttäuscht stelle ich die Flasche zurück an ihren Platz, wische mir schwer atmend über die Stirn und blicke auf das ruhige Meer hinaus. Die Dämmerung spiegelt sich friedlich in dem bewegendem Wasser. Das Rot, das Orange, das Gelb.

„Lust mit uns einen zu trinken?", fragt nun der gleiche wie eben, doch ich schüttle schwach den Kopf. „Sorry, muss nach Hause. Mein Dad." Lüge.
„Sicher?", hakt er nach, worauf mit meinem Kopf nicke. „Sicher." Mit zusammen gepressten Lippen dreht er sich wieder um und läuft zu den anderen, welche schon auf dem Weg Richtung Stadt sind. Schweigend setze ich mich auf die kleine Steinmauer und schaue auf die vielen Menschen die ihre Sachen packen um ihren Weg nach Hause anzusteuern.

Wäre Rose gekommen, hätte ich ihr alles erzählt. Ich hätte ihr erzählt wieso ich hierher gezogen bin, wieso meine Mutter und ihr Vater eine der schlimmsten Rollen in meinem Leben gespielt haben, wieso sie mir wichtiger ist als alles andere.

Sie scheint wie das Licht in meinem Leben.
Wow, habe ich das gerade wirklich gedacht?
Denn als ich gemerkt habe, wie kitschig sich das anhört, das seinem Partner zu sagen, habe ich mir geschworen niemals so zudenken. Sachen ändern sich. Stimmt's?

„Du warst super!", kommt meine Schwester lächelndes mich zu. Das sie da war wusste ich nicht einmal. „Weißt du wie erniedrigend es ist anderen Mädchen dabei zuzuhören, wie sie über dich reden?" Angeekelt zieht sie eine ihrer Grimassen, während sie vor mir zum stehen kommt ."Oh, Anthony ist ja so süß! Und: oh mein Gott wie er spielt! Oder: er ist so heiß und sexy!", äfft sie die anderen mit einer viel zu hohen Stimme nach, bringt mich und auch sich selber zum Lachen.

„Ich kann dich nichts dafür, dass du so einen hübschen Bruder hast." Spielerisch streiche ich mir nun durchs Haar und kassiere somit einen Schlag auf meinen Arm. „Kommst du mit nach Hause?" Sofort verschwinden die Freude die ich für einen kurzen Moment verspürt habe. „Nein, ein paar aus der Band und ich wollten noch was trinken."
Nickend streicht sie sich ihre dunklen Haare hinters Ohr und nimmt sich meine Wasserflasche, welche neben mir auf dem Boden steht.
„Bis nachher!" Mit diesen Worten dreht sie sich wieder um und verschwindet in der Menge, welche sich langsam auflöst.

Mein Blick huscht zu einem jungen Paar, welches gerade dabei ist ein Selfie mit dem Meer im Hintergrund zu schießen. Der Freund, welcher nun einen Arm um seine Freundin legt, versucht gleichzeitig das Handy zu halten, was in meinen Augen niemals funktioniert wird. Er wackelt viel zu sehr. Dass da ein schönes Bild raus kommen wird, bezweifele ich.