Rose
Seufzend lehne ich meinen Kopf an die vibrierende Autoscheibe und starre auf den tosenden Ozean.
Ich sollte genau in diesem Augenblick weinen.
Ich sollte zusammen brechen und mich fragen, ob es sich überhaupt noch lohnt nach Hause zu fahren.
Ich sollte meine Mutter voll labern, ob nicht doch eine Operation in Erwägung gezogen werden kann.Doch ich kann nicht.
Es fühlt sich an, als hätte ich mir selber verboten darüber zu sprechen. Vielleicht verarbeite ich so schlimme Ereignisse?
Einfach schweigen, nicht darüber reden und alles in mich hinein fressen.Mein Blick huscht zu der Uhr auf meinem Handy.
17:00 Uhr. Genau vor einer Stunde, wurde mir meine endgültige Diagnose übermittelt.
Es fühlt sich so irreal an. Klar wusste ich auch schon vor ein paar Monaten, dass es so kommen kann.
Doch das es tatsächlich passieren wird, hätte ich nicht erwartet.
Ich schaue wieder aus dem Fenster, an dem sich die ersten kleine Regentropfen gesammelt haben.Als Kind habe ich immer gewettet welche der Regentropfen als erstes ganz nach unten kommt.
Ich habe vor Freude mit meinem Armen gewedelt und durchs Auto geschrien, wenn mein Regentropfen gewonnen hat.
Und wenn meiner am verlieren war, habe ich doch schnell meine Spielfigur gewechselt.
Das war, als ich noch gesund war...Ungewollt spüre ich, wie sich eine kleine Träne mein Wange hinunter schlängelt. Schnell wische ich sie weg, so, dass meine Mutter es nicht bemerkt.
Sie soll nicht wissen, dass ich weine.
Wenn sie sieht, dass mich die Diagnose so sehr mitgenommen hat, wird sie sich durchgehend um mich sorgen, mich bemitleiden und mich die ganze Zeit trösten wollen.Doch genau so etwas will ich nicht.
Ich möchte kein Mitleid, ich will nicht anders behandelt werden, oder sonst was. Ich bin weiterhin Rose und es wird immer so bleiben, egal ob ich nun schwerkrank bin, oder nicht. Ich bin ein Mensch.
Ein Mensch, mit Bedürfnissen und Visionen. Doch die Zukunft, die ich mir vor ein paar Tagen noch ausgemalt habe, ist nun futsch. Wie weggefegt.Sogar diese Arztbesuche sind purer Stress.
Einfach in meinem Zimmer hocken, das nächste Buch lesen, Musik hören und vielleicht einen Film gucken und warten, bis ich sterbe.
So sieht mein Plan für den baldigen Sommer aus.Ungewollt fokussiere ich mich wieder auf das schwankende Wasser, welches immer wieder gegen die großen, grauen Felsen klatscht und dadurch ein wenig mysteriös wirkt.
Ich liebe das Meer. Sogar in diesem Zustand.
Ich mag gruselige, dunkle Dinge, doch so liebe ich genau das Gegenteil. Blumen, Liebeslieder und Sonnenuntergänge.
Am meisten sind es die Sonnenuntergänge.Ich will es eigentlich nicht zugeben, aber ich hab Angst zu sterben. Von einem auf den anderen Tag, wird mein Leben einfach so vorbei sein.
Wie wird es sich anfühlen tot zu sein? Werde ich schmerzen haben? Oder wird es das beste sein, was mir je passiert ist? Ich meine, was hält mich noch hier? Ich habe nichts, was ich verlieren könnte.Es ist schrecklich über den Tod nachzudenken und zu wissen, dass man selber bald ein Teil davon sein wird. Mein schlimmster Albtraum ist wahr geworden.
Plötzlich nehme ich eine schwarz gekleidete Person wahr. Sie steht mit dem Rücken zu mir, doch ich kann sehr gut die braunen, zerzausten Harre des Jungen erkennen. Sein nasses T-Shirt ist nicht zu übersehen.
Er trägt die Hände in seinen Hosentaschen und schlendert immer näher an das Wasser heran.
Ich werde immer neugieriger, als er langsam am Ufer entlang geht.
Einen nach dem anderen Schritt.
Fasziniert von seinem Aussehen, kann ich nicht mehr aufhören ihn zu betrachten. Immer wieder muss ich meinen Kopf nach links bewegen um ihn nicht aus den Augen zu verlieren, während wir uns immer weiter auf der Hauptstraße bewegen.
Er wirkt wie ein kleiner, dunkler Punkt, vor dem weitem Meer.„Oh Gott!", höre ich meine Mutter kreischen, worauf ich irritiert nach vorne schaue und das blaue Auto in mein Blickfeld gelangt, welches durch die nasse Straße auf unsere Spur schleudert.
„Mum!", rufe ich schockiert, während die Lichter des Autos rasend schnell näher kommen.
Fluchend drückt meine Mutter auf die Hupe, doch als das Auto nicht reagiert und ich ängstlich meine Hand auf ihre lege, lenkt sie in der letzen Sekunde noch nach rechts.Schwer atmend nehme ich meine Hand von ihrer und umklammere meinen Oberkörper.
„Schatz, alles in Ordnung?", fragt sie zitternd und hält mitten auf der leeren Straße an.Immer noch unter Schock nicke ich zögernd und starre nach vorne, wo soeben noch die Lichter des anderen Autos auf uns zu gerast sind. „Immer diese Irren!", fängt Mum an zu klagen und legt sich ihre Hand auf die Stirn, während sie sich mit der anderen Luft zu fächert.
Schnell unterdrücke ich mir ein Augenrollen und schaue wieder aus dem Fenster, während mein Herz nicht aufhört gegen meine Brust zu hämmern.Ich verstehe es nicht.
Gibt es Menschen, mit einem guten Verhältnis zu ihrer Mutter? Ich versuche zwar sie zu verstehen, ihr zuzuhören, doch es funktioniert nicht. Egal über was wir reden, ich bin anderer Meinung. Egal was sie mir für Pläne vorschlägt, ich habe andere Interessen.Und falls sich welche Fragen, ob es mit meinem Vater besser aussieht, können sie sich die Frage direkt in den Arsch stecken. Er ist nämlich weg geflogen, als ich als Kind schon Symptome für eine andere Krankheit gezeigt habe. Zwar war das keine schwere, aber dennoch hat es gezeigt, wie wenig er sich um mich und meine Mutter schert.
Mexiko. Am Mexikanischen Strand geniest er sein Leben, ohne seine Frau und seine schwerkranke Tochter.Mein Blick fällt wieder auf die Stelle, an der der Junge eben noch am Ufer stand. Doch als ich ihn nur etwas entfernt vom Straßenrand entdecke, zucke ich zusammen. Er schaut zwar nicht direkt in meine Richtung, doch als ich ihn weiterhin ungewollt mustere, dreht er seinen Kopf so, dass wir uns nun direkt in die Augen schauen.
Ich kenne ihn. Wie er heißt weiß ich nicht, doch er geht auf meine Schule.Seine Augen sind eisblau, dass erkenne ich von hier.
Man bekommt kalte Gänsehaut, wenn man ihn zu sehr anstarrt. So wie ich jetzt gerade.
Als würde das Meer in seinen Augen weiter schwanken. Ein tosender Sturm, gefangen in seinen Augen.Sein T-Shirt ist nun so eng an seinen Oberkörper geheftet, dass man seine Bauchmuskeln und generell seinen stark gebauten Körper bewundern kann.
Wie oft er wohl trainiert?
Seine Lippen sind trocken und spröde, so weit ich von hier sehen kann.Doch was mich wundert ist, dass er seinen Blick nicht abwendet. Als wolle er, dass ich weggucke.
Will er mir Angst machen?
Denn so fühlt es sich gerade an. Wie ein eisiger Pfahl durchdringt er mich. Als könnte er mit diesem einen Blick meine ganzen Geheimnisse aussaugen.
Okay, ich gebe auf.
Schwer schluckend blicke ich wieder nach vorne und dann zu meiner Mutter, die gerade wieder dabei ist den Motor zu starten.Mir fällt auf, dass sie noch kein Mal den Krankenhausbesuch erwähnt hat. Sonst versucht sie wie wild herauszufinden, wie ich mich fühle, ob ich denke, dass ich den Tumor habe und ob ich darüber reden will. Ich hasse so etwas.
Das scheint sie anscheinend gemerkt zu haben, denn dieses Mal erwähnt sie es kein einziges Mal.
Liegt vielleicht daran, dass sie es selber erst einmal verarbeiten muss. Erschöpft schließe ich meine Augen und hoffe einfach, dass mein ganzes Leben eine Illusion ist.
______________Heyyy
Das ist schon das erste Kapitel von »Die Dämmerung in dir« und ich hoffe ich habe euch neugierig gemacht und es hat euch gefallen.
Ahhhh und euch allen schöne Weihnachten!!🎄Würde mich sehr über Votes und Kommentare freuen<3
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Die Dämmerung in dir
Jugendliteratur•pausiert• »𝐖𝐢𝐥𝐥𝐬𝐭 𝐝𝐮 𝐝𝐞𝐧𝐧 𝐬𝐭𝐞𝐫𝐛𝐞𝐧?« Krank verschließt sie sich immer weiter von der Außenwelt, in dem Wissen bald sterben zu müssen. Es ist schrecklich mit so einer Last zu leben und auch noch glücklich wirken zu müssen. Aber al...