*Eisige Begegnungen und Currywurst*

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Die anderen warten schon beim Essenssaal auf uns. Finn wirkt leicht genervt: „Da seid ihr ja endlich. Was hat so lange gedauert?" Ben beugt sich zu mir und flüstert: „Werwölfe haben immer schlechte Laune, wenn sie nichts zum Beißen haben."

Lisa rollt nur mit den Augen. Ich flüstere zurück: „Dann gehen wir besser hinein, bevor er uns anbeißt." Ben kichert: „Kommt."

Die Mensa ist riesig und unordentlich. Holztische stehen kreuz und quer zwischen den rot gestrichenen Wänden. Kellner laufen herum—warum es die überhaupt an einer Schule gibt, ist mir ein Rätsel.

Ben führt uns in eine kleine Nische, die vom Eingang nicht einsehbar ist. Die drei setzen sich. Ich bin mir unsicher, ob ich mich zu ihnen setzen kann. „Kannst du." Lisa kann ja Gedanken lesen; ist das eigentlich auch eine Begabung?

„Ja, wahrscheinlich. Ein Ausgleich dafür, dass ich so eine grottige Hexe bin." Sie verteilt die Speisekarten. Alle Seiten außer einer sind in einer mir unbekannten Sprache geschrieben. Also entscheide ich mich für eine Currywurst. Die kann ja nicht schlechter schmecken als an meiner alten Schule.

Die Kellnerin kommt und nimmt unsere Essenswünsche auf. Lisa und Finn sehen sich an, unschlüssig, wer fragen soll. Finn beginnt: „Stimmen die Gerüchte und du bist eine Sijhawn?"

„Ja, das ist doch nichts Besonderes." Finn sieht mich ungläubig an und Lisa schüttelt den Kopf: „So nennen das auch nur Außenstehende."

„Wieso?"

„Es gibt diese Art sehr selten. Die Wahrscheinlichkeit liegt unter zehn Prozent. Es wird angenommen, dass sie sehr stark sind."

„Es ist eher nervig." Alle schauen mich an.

Mist, habe ich das etwa laut gesagt? „Ja, hast du."

„Also, was meinst du mit nervig?"

„Nichts, aber alles, was meine Begabung betrifft, war bisher die reinste Hölle. Ich musste die Schule wechseln, meine Eltern halten mich für verrückt, meine Freunde wollen nichts mehr mit mir zu tun haben, und ich werde von Spinnern bedroht. Ihr seid nicht gemeint, sondern Luna. War die eigentlich schon immer so?"

Bevor ich weitersprechen kann, taucht das Essen vor uns auf.

Lisa fragt: „Was hat Luna gemacht?" Also erzähle ich ihnen, was in der Umkleide vorgefallen ist.

„Typisch", sagen alle drei synchron. „Macht sie das öfter?"

„Na klar."

„Sagt da nie ein Lehrer was?"

„Die sind doch nicht irre."

„Wieso ist man denn irre, wenn da eine was sagen würde?" Lisa seufzt: „Das könnte etwas länger dauern. Daher wechseln Finn, Ben und ich uns ab. Erstens würde niemand etwas gegen sie sagen, weil ihr Vater ein starker Vampir ist und jeder nur darauf wartet, dass sie zu einem wird."

Jetzt muss ich kurz dazwischenquatschen: „Wird sie einfach aufwachen und bum, sie ist ein Vampir, oder was?"

Die Vorstellung ist schon etwas eigenartig. „Ja, so kann man es auch sagen. Auf jeden Fall legt sich niemand gerne mit begabten Vampiren an, denn man weiß nie, was einen erwartet."

„Ich dachte, die Kategorien sind dafür da, um es besser abschätzen zu können."

Jetzt macht Ben weiter: „Schon, aber Begabungen haben keine festen Regeln. Die anderen haben alle Regeln, wie man nichts aus dem Nichts erschaffen, nicht die Vergangenheit oder Zukunft beeinflussen, und nicht an Orte reisen kann, wo man noch nie war. Bei Vampiren ist das Beeinflussen des Geistes auch nur beschränkt möglich. Kurz gesagt: Diese Regeln werden aufgehoben. Man kann sie in bestimmte Kategorien einordnen, mehr nicht. Und dann gibt es noch das andere: Ihr Vater spendet der Schule pro Jahr etwa 70.000 Euro. Da drücken die Lehrer schon mal die Augen zu."

„Jetzt bin ich aber mal dran, Leute."

„Gut, mach du, Finn."

„Drittens ist ihre Stiefmutter die Direktorin dieser Schule. Viertens steht die ‚Elite' dieser Schule—also Melcon, Maris, Leonardo und Ren—hinter ihr."

Mein Kopf ist überfordert mit all den Informationen, aber ich konzentriere mich lieber auf meine Fragen. Die Neugier siegt über alles. „Warum werden diese Leute ‚Elite' genannt?" Finn öffnet den Mund, um zu antworten, doch Ben kommt ihm zuvor: „Weil sie die stärksten der Schule sind und in dieser Welt sich alles um Macht dreht."

„Werden hier schon wieder Gerüchte verbreitet bei der Neuen?"

Ich bekomme eine Gänsehaut. Die Stimme ist so eiskalt und emotionslos. Ich drehe mich um. Hinter uns stehen fünf Personen—eine davon ist Luna, die anderen sind mir unbekannt. Mein Blick fällt auf den Sprecher.

Er ist nicht in Worte zu fassen—wunderschön, aber doch anders. Anders als alles, was ich je gesehen habe. Ben stottert: „Natürlich nicht." Der Junge zieht seine linke Augenbraue hoch: „Hörte sich für mich aber danach an."

„Ehe..." Ich helfe ihm, ich hatte ja auch gefragt. Ich bemühe mich, mit fester Stimme zu sprechen, was mir nicht so ganz gelingt. „Ich hatte nur gefragt, weshalb Luna so eine selbstbewusste Ausstrahlung hat."

Nun sieht er mich mit seinen Smaragdgrün Augen direkt an.

Ich bekomme es mit der Angst zu tun. Er glaubt mir nicht. „Also, so etwas ist nicht selbstverständlich." Lisa kommt mir zur Hilfe: „Daher haben wir probiert, die Situation für eine Außenstehende zu erklären. Das ist ja nicht immer so leicht."

Der einzige, der keine Reaktion zeigt, ist Finn. Er sitzt einfach da und ist ganz still.

Ich und begabt, dass kann ja nur schiefgehen (wird überarbeitet) Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt