*Neben den Regalen*

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Jetzt grinst er: „Hast du nicht etwas vergessen?" Was könnte ich nur vergessen haben? „Wolltest du nicht etwas in der Cafeteria?", hilft er mir auf die Sprünge. Entweder hat er das aus der Ferne gehört oder kann Lippen lesen. „Ach stimmt, wie heißt du eigentlich?"

„Melcon."

„Dann tschüss und nochmal danke für deine Hilfe, Melcon." Doch er lässt mich nicht gehen. Stattdessen packt er meine Schulter und drückt mich sanft gegen die Bücherregale.

Jetzt nervt das aber langsam. „Ist noch was?" Ich schaue ihm direkt in die Augen. In meiner Wut vergesse ich für einen Moment die Angst. Er starrt nur zurück, und wir liefern uns ein kleines Duell der Blicke.

Nach einigen Sekunden schleicht sich die Angst wieder hoch. Diese Augen sind so kalt, dass ich den Blick schließlich nicht mehr aushalte und wegsehe. „Melcon, alles gut?", ruft eine Stimme aus dem Gang neben uns. „Ren, was sollte nicht in Ordnung sein? Ich unterhalte mich nur."

„Ah ja", ruft eine andere Stimme zögernd.

Jetzt ist wirklich ein guter Moment, um sich zu verabschieden. Ich mache einen Schritt zur Seite, doch seine Hand bleibt fest auf meiner Schulter. „Bleib." Seine Stimme ist so autoritär, dass ich stillstehen bleibe. „Mariam, gib mir dein Handy. Ach, und halt dich am besten von Luna fern."

Nein, ich gebe dir mein Handy sicher nicht. Ich will hier weg, doch seine Hand hält mich eisern fest. „Also, mmm, danke für die Warnung", stottere ich. Er hält mir einfach seine Hand hin, als wäre es selbstverständlich, dass ich ihm mein Handy gebe.

„Aber...", ich versuche, selbstbewusster zu klingen, „ich kann dir mein Handy nicht geben." Schneller, als ich schauen kann, greift er mir das Handy aus der Hand. Er blinzelt mich herausfordernd an. „Was ist der Code?" Ich stehe regungslos da, unfähig zu antworten.

Er nimmt meinen Daumen, drückt ihn auf den Home-Button, tippt irgendwas ein und gibt mir dann mein Handy zurück, als wäre nichts geschehen.

Verwirrt schaue ich nach, was er gemacht hat. Ich kann es kaum fassen – er hat mir seine Nummer eingespeichert und sich selbst eine Nachricht geschickt! Was soll das? Ich versuche, es zu ignorieren, denn ich will mich hier mit niemandem anlegen. Schließlich gehe ich zurück zu den anderen und beginne zu lesen.

Nach gut zwei Stunden kommt eine kleine, rundliche Frau mit Brille auf uns zu: „Die Bibliothek schließt jetzt. Wollt ihr euch etwas ausleihen? Ansonsten bringt die Bücher zurück, wo sie herkommen." Ich bringe mein Buch zurück und bemerke, dass ich den ersten Teil des Schildes erkennen kann. „Beg...", steht da. Besser als nichts.

Wir machen uns wieder auf den Weg in die Mensa. Davor stehen Luna und ihre Verehrer. Sie winkt mir lächelnd zu und kommt auf uns zu. „Mari, meine Liebe, komm doch mit mir und meinen Freunden an einen Tisch. Dann kannst du mit welchen aus deiner Klasse abhängen." Erst wollte sie nichts mit mir zu tun haben, und jetzt kommt so etwas? Sehr vertrauenswürdig.

„Ich fühle mich bei diesen Leuten sehr wohl, danke der Nachfrage." Ich gehe durch die Tür und ignoriere ihre Antwort. Die anderen drei folgen mir, zu verdutzt, um etwas zu sagen.

Das Essen vergeht schnell, und Lisa und ich trennen uns von den beiden Jungs. Ich bin aufgeregt, mein neues Zimmer zu sehen, vor allem, weil ich bisher immer den Luxus eines Einzelzimmers hatte. Wir steigen die Treppen hinauf, und am Ende befindet sich eine Flügeltür. „Kleine Vorwarnung: Im Aufenthaltsbereich geht es immer ganz schön wild zu." Okay, das könnte interessant werden. „Interessant ist das falsche Wort." Was soll ich denn jetzt daraus verstehen?

Als sie die Tür öffnet, wird mir klar, was sie meint. Der Aufenthaltsraum ist riesig. Überall stehen Sofas und Sessel herum, und die Regale sind randvoll mit Büchern. Es gibt sieben Gänge, aus denen man den Raum verlassen kann. „Es gab hier mal Fenster, aber da ist zu oft etwas rausgeflogen." Ich weiß immer noch nicht, was sie mit ihrer Warnung genau meint.

Hier ist es still, fast schon zu still. Plötzlich höre ich einen schrillen Schrei: „Ahhh!" Ich schaue mich erschrocken um.

Woher kam dieser Schrei? „Bei Wandlern passiert das öfter."

„Weshalb?"

„Verwandlungen können sehr schmerzhaft sein." Genauer will ich es nicht wissen. „Lass uns zu unseren Zimmern gehen."

Sie geht in einen der Gänge. „Die anderen Gänge führen zu anderen Arten." Aber war sie nicht eine Hexe?

„Schon, aber mit der Begabung im Bereich des Geistlichen. Die Begabten schmeißt man alle in einen Topf. Meine Theorie ist, sie hatten nicht genügend Platz, um die Begabten unter sich zu teilen, und finden es zu gefährlich, sie unter ihre Art zu stecken."

„Ach so. Welche Arten gehen hier alle auf die Schule?"

„Hexen, Begabte, Vampire, Wandler, Fea, Alben, Zwerge – die ganz Friedlichen." Stopp, was sind dann die nicht friedlichen? Mir fällt sonst kein Fantasiewesen mehr ein. Ich habe mich nicht so viel mit diesem Genre auseinandergesetzt.

„Erfährst du noch früh genug." Wir halten an einer Tür mit dem Schild „23,4". Was soll das denn für eine Zimmernummer sein? „Zimmer 23 im Gang vier abgekürzt – 23, 4." Du bist wohl Dauergast in meinen Gedanken.

„Eigentlich nicht, du denkst aber sehr laut. Das kann man schwer ignorieren." Tut mir leid, aber ich mache mir viele Gedanken, wenn ich plötzlich in einer neuen Welt lebe. Sie zieht einen Schlüssel aus ihrer Tasche und öffnet die Tür zum Raum.

Im Zimmer stehen zwei Betten, jeweils ein Schreibtisch und ein Kleiderschrank. Ansonsten ist der Raum leer und klein, maximal acht Meter lang und sechs Meter breit.

Mein Koffer liegt auf dem Bett. Lisa schaut ihn an: „Soll ich dir beim Auspacken helfen?" Ich nicke. Hilfe kann nicht schaden. „Descompacte a mala." Die Sachen fliegen aus dem Koffer und sortieren sich von selbst in den Kleiderschrank sowie in das Nachtkästchen und auf den Schreibtisch.

Der Koffer schiebt sich schließlich von selbst unter das Bett. Okay, das war einfach nur cool. Lisa gähnt herzhaft. „Komm, ich zeige dir das Bad. Danach können wir ins Bett."

Ich bin hundemüde. Als wir alles fertig haben, legen wir uns schlafen. Ich denke noch über den Tag nach. Wie konnte alles nur so kommen? Vor drei Wochen war noch alles in Ordnung.

Dann passierte das mit Thomas, und kurz darauf kam die Schulleiterin und erzählte mir von der Magie. Wie soll ich das nur schaffen? Meine alten Freunde wollen nichts mehr mit mir zu tun haben, und Thomas hasst mich sicher. Verdammt, wieso musste das alles mir passieren? Was habe ich bitte verbrochen, dass mir so etwas geschehen muss?

Ich und begabt, dass kann ja nur schiefgehen (wird überarbeitet) Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt