*Verloren im Labyrinth"

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Melcon und ich reden immer noch, während die Sonne mittlerweile komplett untergegangen ist. Dieses nagende Gefühl, dass ich etwas vergessen habe, ist immer noch da, aber egal. Melcon hat sich bis jetzt nicht einmal in diesen kühlen, distanzierten Typen verwandelt, wie er es sonst oft tut.

Was er ist, weiß ich allerdings immer noch nicht. Jedes Mal, wenn ich ihn darauf ansprach, wich er der Frage geschickt aus oder lenkte mich ab. Doch diesmal nicht. Beim dritten Versuch entkommt er mir nicht. Wie man so schön sagt: Alle guten Dinge sind drei.

„Also, nach all den Lieblingssachen, kommen wir jetzt mal zu einer Frage, die mich wirklich brennend interessiert." Ich mache eine dramatische Pause. „Was bist du?" Er schaut gedankenverloren zu den Sternen.

„Ich glaube nicht, dass du das wirklich wissen möchtest. Es würde dir nur Angst machen."

„Wieso sollte ich dann fragen, wenn ich es nicht wissen möchte?"

„Weil du eben du bist."

„Was soll das denn heißen?"

„Es heißt, dass es spät ist und wir jetzt gehen sollten. Außerdem ist an der Schule Handyverbot." Er weiß zu viel.

„Ach, denk nicht so viel nach", sagt er plötzlich und greift nach meiner Hand.

Alles um uns herum wird verschwommen, und im nächsten Moment befinden wir uns wieder in der Bibliothek. Ich höre die Stimmen von Mari, Finn und Ben, die anscheinend Karten spielen. Finn... verdammt, den hatte ich total vergessen!

Wie konnte das passieren?

„Tschüss, bis morgen. Wir treffen uns am Eingang der Außenflächen. Schreib doch Ren, wenn du den Weg nicht findest. Macht er sicher gerne", sagt Melcon mit einem leichten Grinsen. Ich schnaube gespielt: „Tschüss."

Ich folge den Stimmen der anderen. Wie soll ich das jetzt angehen? Einfach die Tür aufmachen und so tun, als wäre nichts gewesen? „Hey Leute, kann ich mitspielen?" oder vielleicht „Sorry, ich bin zu spät, weil Melcon mich entführt hat". Andererseits... Es ist ja die Wahrheit.

Als ich hereingehe, sieht mich Lisa als Erste und legt ihre Karten auf den Tisch.

„Hey! Entschuldigung, dass ich mich nicht gemeldet habe. Ich wurde von meinem Wahlpflichtfachlehrer verschleppt", erkläre ich den anderen. Das klingt irgendwie schräg, aber es ist ja die Wahrheit. Finn und Ben legen ebenfalls ihre Karten weg und Finn sieht mich enttäuscht an.

„So, jetzt erzähl doch mal, von Anfang der Stunde bis zum Ende", fordert er mich auf.

„Okay." Ich erzähle ihnen die ganze Geschichte. „Und das war's. Es tut mir wirklich leid, Finn, dass ich nicht da war. Können wir das morgen früh nachholen? Bitte."

Er überlegt kurz. Bitte sag ja. Ich will mit den dreien befreundet sein. Und mit Finn... naja, vielleicht auch etwas mehr. Er ist immer so fröhlich und offen, das komplette Gegenteil von mir im Moment. Sei nicht so hart zu dir selbst, Mari.

„Meinetwegen, aber wenn du morgen verschläfst, war es das", sagt er schließlich.

Ich nicke erleichtert. „Versprochen. Nächste Runde spielst du mit, dann bin ich wenigstens nicht mehr der Verlierer."

Ich setze mich zu ihnen, und nach einer Weile verläuft der Abend wie immer, nur dass ich diesmal sogar gewinne. Danach gehen wir gemeinsam essen und dann ins Bett.

Am nächsten Morgen wache ich ungewöhnlich früh auf. Egal, das gibt mir wenigstens Zeit, noch zu duschen. Leise schnappe ich mir meine Klamotten und meine restlichen Sachen, damit ich Lisa nicht wecke. Unter der Dusche wird mir bewusst, dass heute schon mein dritter Tag hier ist.

Es ist Samstag – und leider habe ich auch heute Unterricht. Zum Glück bei Melcon. Ich weiß nicht, wieso ich ihn am Anfang so einschüchternd fand. Gut, ich kannte ihn damals noch nicht. Kenne ich ihn jetzt besser? Eher nicht, aber was soll's.

Nach dem Duschen will ich zur Cafeteria gehen, aber natürlich verlaufe ich mich auf dem Weg dorthin. Ich lande in einer Sackgasse. Na toll. Okay, Mari, bleib ruhig. Du gehst einfach zurück. Doch bei der ersten Abbiegung scheitere ich. Großartig, ich habe nur Melcons Nummer. Warum habe ich bloß Lisa, Finn und Ben nicht gefragt?

Also bleibt mir nichts anderes übrig, als Melcon zu schreiben. Na super.

„Hey Melcon."

„Ich bin's, Mari."

Jetzt heißt es warten und hoffen, dass er antwortet. Zum Glück ist er online.

„Hey Mari. Was ist los? Oder schreibst du, weil du auf dem Weg zum Eingang der Außenflächen bist? Du bist ein bisschen zu früh."

„Brauche nur den Weg zur Mensa. Habe mich verlaufen."

„Verläufst dich wohl öfter."

Ja, tut mir leid, dass diese Schule einem Labyrinth gleicht! Das kann ich schlecht schreiben, also halte ich es diplomatisch:

„Bin ja auch erst drei Tage hier."

„Okay, wo bist du?"

„Wenn ich das wüsste, hätte ich dir nicht schreiben müssen."

„Siehst du irgendwo eine Raumnummer?"

Ich sehe mich um und entdecke ein Schild. „Ja, Raum 374."

„Bin gleich da. Aber bist du sicher, dass du vom Schlafsaal kamst?"

„Ja, wieso?"

„Weil du auf der anderen Seite der Schule bist."

„Oh."

Er lacht nur und kommt schließlich, um mich abzuholen. Gemeinsam gehen wir zur Mensa, wo Finn schon auf mich wartet. Ich drehe mich zu Melcon.

„Danke fürs Aufgabeln."

„Jederzeit gerne. Dann bis später."

„Ja, bis später."

Ich gehe zu Finn, der mich mit einem merkwürdigen Blick ansieht. „Was hast du mit dem zu tun?"

„Er ist mein Wahlpflichtfach- und Trainingslehrer."

„Aha. Hast du heute Unterricht?"

„Ja, leider zweimal – 5/6 und 8/9."

„Bei ihm? Du tust mir leid. Aber keine Sorge, ich werde dir den Tag schon verschönern."

Finn ist so süß. Ich mag ihn wirklich sehr, aber nicht so, wie er es sich vielleicht erhofft. Da ist definitiv etwas zwischen uns, nur in welche Richtung, das weiß ich noch nicht genau.

Ich und begabt, dass kann ja nur schiefgehen (wird überarbeitet) Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt