* Im Schatten der Regale*

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Ich hole mein Handy heraus und probiere es aus. Es funktioniert, wenn auch nur mühsam. Mit der Kamera kann ich die verschwommenen Schilder erkennen, aber ich muss jedes einzeln fotografieren. Mein armer Speicherplatz ist doch ohnehin schon fast voll.

„Wir setzen uns hier in den Gang", sagt Lisa und deutet auf eine Sitzreihe. „Komm nach, wenn du etwas gefunden hast. Aber halte dich von Gang 7 links fern. Da sitzt immer Luna mit ihrer Mädchengruppe. Und im Gang 15 rechts ist die Elite, die hast du ja erlebt."

Die ganze Schule scheint sich nachmittags hier aufzuhalten. Na ja, wahrscheinlich brauchen sie den Platz, um ihre Hausaufgaben zu erledigen, ohne ständig Google fragen zu müssen. Lisa und die anderen gehen den Gang entlang und lassen sich an einem der Tische nieder. Ich hingegen mache mich auf den Weg, um die verschwommenen Schilder zu fotografieren. Es ist mühsam, aber anders komme ich wohl nicht weiter.

Als ich endlich in Gang 16 ankomme, entdecke ich ein Schild mit der Aufschrift „Begabte". Das klingt vielversprechend. Vielleicht finde ich hier etwas Nützliches über meine eigene Art heraus. Ich gehe in den Gang hinein und entdecke den Typen aus der Mensa. Er sitzt da, ohne aufzuschauen. Ich beschließe, ihn zu ignorieren und mich auf die Bücher zu konzentrieren. Doch auch die Titel sind verschwommen.

Was soll der Mist! Seufzend greife ich zu meinem Handy und beginne, die Bücher einzeln zu fotografieren. Das erste Buch, das ich ins Visier nehme, trägt den Titel „Die Geschichten der Begabten Teil 36". Klingt interessant, aber jetzt brauche ich nur noch Teil 1. Wenn das mal so einfach wäre – die Bücher scheinen völlig willkürlich in die Regale gestopft zu sein. Das kann ja noch heiter werden.

Plötzlich spüre ich eine Hand auf meiner Schulter. Eine kalte Stimme erklingt hinter mir: „Brauchst du Hilfe?"

Ich erschrecke und drehe mich langsam um. Der Typ steht hinter mir und seine Hand ruht immer noch auf meiner Schulter.

Mir wird mulmig. Er ist beängstigend. Wieso hatte ich ihn nicht bemerkt? Sein Blick ist durchdringend, und mir wird klar, dass ich antworten muss. Doch die Worte kommen nur stockend über meine Lippen: „Nein, nein, ich... ich brauche keine Hilfe."

Natürlich merke ich selbst, wie albern ich mich mit meinem Gestotter anhöre, aber was soll ich tun? Meine Nerven liegen blank. Der Typ jedoch scheint unbeeindruckt. „Sah aber nicht so aus, Mariam. Was suchst du?"

Wieso fragt er, wenn ihn meine Antwort eh nicht interessiert? Aber gut, vielleicht kann mir seine Hilfe ja doch nützlich sein. Merkwürdigerweise verschwindet meine Angst plötzlich. Diesmal antworte ich sicherer: „Ich suche 'Die Geschichte der Begabten, Teil 1'."

Er wirft einen kurzen Blick auf die Regale, ohne wirklich zu suchen, und zieht dann ein grünes Buch hervor. „Das hier ist nützlicher." Ich fotografiere die Vorderseite des Buches, auf dem in großen Lettern der Titel „Was es bedeutet, ein Begabter zu sein" prangt. Na schön, das könnte tatsächlich nützlich sein.

Als ich mich umdrehe, um zu gehen, murmele ich noch ein leises „Danke". Doch seine Hand, die immer noch auf meiner Schulter liegt, hält mich zurück. Ich bleibe stehen, verwirrt. Was will der noch von mir? „Ist noch was?", frage ich zögerlich.

Er scheint zu überlegen, als würde er sich extra Zeit lassen.

Ich und begabt, dass kann ja nur schiefgehen (wird überarbeitet) Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt