Kapitel 41

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POV. Auriel

Unter meinen Fingern spürte ich weiches Gras und eine warme Frühlingsbrise strich mir über das Gesicht. Langsam schlug ich meine Augen auf und blickte in einen strahlend blauen Himmel, in dem schneeweiße Wolken vorbeizogen, die alle eine andere Form hatten. Ich dachte an nichts wichtiges, während ich den weich aussehenden Wolken mit meinen Augen folgte und mir überlegte, nach was sie am meisten aussahen. Ich konnte Schafe erkennen, die saftiges Graß futterten, kleine und große Bäume, Pferde, die über den Himmel galoppierten und Drachen, die Feuer spien. Die letzte Form erinnerte mich an etwas, doch ich konnte nicht ganz sagen, an was genau. Wo war ich überhaupt? Zum ersten Mal, seit ich hier aufgewacht war, setzte ich mich auf und betrachtete meine nähere Umgebung.

So weit das Auge reichte, sah ich nichts außer einer weiten, grasbewachsenen Ebene und einzelnen riesigen Bäumen. Und dann, ganz leise, ertönte eine Stimme, die meinen Namen rief. Ich stand auf und lief los. Ohne Bedenken folgte ich dem sanften Ruf, der mich über die Ebenen führte, in einen Wald und dann, hin zu einer Lichtung. Die Lichtung, aus meiner Traumwelt. Die Lichtung, die ich selber erschaffen hatte. Und auf dieser Lichtung stand nun ein Pavillon aus weißem Mamor, der die Sonnenstrahlen reflektierte und dadurch schwach zu leuchten schien.

"Auriel, meine Kriegerin und Schwester, setze dich zu mir", ertönte die Stimme wieder und jetzt, als ich näher an den Pavillon trat, konnte ich sehen, zu wem sie gehörte. Auf einem Stuhl, im Schatten des Dachs, saß eine Frau mit seidigen, schwarzen Haaren, die ihr bis zu den Schultern reichten und sich in den Spitzen leicht kringelten. Ihre Kleidung erinnerte mich an die Elben aus Bruchtal, doch ihre Ohren waren nicht spitz und ihre Augen strahlten nicht die gewisse Weisheit der Elben aus. Es war etwas ganz anderes, etwas tieferes, mit viel mehr Bedeutung.

"Wer seid ihr?", wollte ich von der Frau wissen, während ich ihrer Aufforderung langsam nachkam und mich gegenüber von ihr auf dem Stuhl niederließ. "Bitte lasse die ganzen Förmlichkeiten. Ich bin Elena. Basilius hat dir von mir erzählt." Basilius... "Er ist... war der König der Toten, den wir zum Kampf aufriefen, richtig? Der, der mir deinen Brief gezeigt hat?" Elena nickte. "Das ist richtig. Er hat meine Bitte erfüllt und... ich habe ihn wiedergesehen und ihm vergeben, für das was er getan hat. Aber jetzt geht es nicht um mich." Ich wusste, was sie damit sagen wollte. "Ich muss meine Entscheidung treffen?" Es war mehr eine Feststellung, als eine Frage, trotzdem nickte Elena.

"Du musst mir nicht sofort sagen, wie deine Entscheidung lautet. Du hast noch ein wenig Zeit. Aber wisse, dass du niemanden aus Mittelerde wieder siehst, wenn du dich für hier entscheidest." "Hier?", fragte ich nach und sah um mich. "Sind das Mandos Hallen? Oder bin ich in Valinor?" Elena schüttelte den Kopf und lächelte. "Nein. Das hier ist Elysiana, das Land der Traumwandler. Wenn du dich entscheidest, den Valar zu dienen und den Bewohnern Mittelerdes von hier aus zu helfen, wirst du hier in Elysiana bleiben und diese Lichtung wird zu deinem Zuhause werden. Jeder Traumwandler hat einen Teil in Elysiana, der ganz ihnen gehört und den sie gestalten können, wie sie wollen. Wenn derjenige noch in Mittelerde weilt, kann er in unser Land, aber sich nur in seinem Teil aufhalten, ohne Wissen über seinen wirklichen Aufenthaltsort. Nur du kannst entscheiden, wen du von Mittelerde in deinen Teil von Elysiana lässt, so wie du es beispielsweise bei Galadriel getan hast. Lebewesen aus Mittelerde können nur so einen Blick auf unser Land erhaschen: Indem sie gerufen und hereingelassen werden."

"Und ich konnte nur die Waffe hier hin mitnehmen, die mir von Galadriel geschenkt wurde, weil sie von hier war... oder von jemanden gefertigt wurde, der hier war?", vermutete ich. Elena nickte bestätigend. "Das ist richtig. Dein Schwert wurde in Elysiana von mir gefertigt und zu Galadriel gesandt, damit sie es dir geben konnte. Du wirst es übrigens behalten, wenn du dich gegen ein Leben hier entscheidest." Wir schwiegen kurz und ich ließ meinen Blick über die Lichtung schweifen, meinen ganz eigenen Teil von Elysiana. "Was werde ich behalten und bekommen, wenn ich hier verweile? Und was wird mir genommen und erhalte ich, wenn ich nach Mittelerde zurückkehre?"

"Solltest du hier bleiben, werden deine Kräfte wachsen und die Valar werden dir Aufgaben auferlegen, die mit den Träumen der Lebewesen in Mittelerde zu tun haben. Du wirst dazu in der Lage sein, Leo wieder zu sehen und deine Eltern. Dir wird ein unendliches Leben mit ihnen vergönnt sein." Mein Mund klappte auf und meine Augen weiteten sich. Ich konnte nicht glauben, was ich gerade gehört hatte. "Wenn ich hier bleibe, kann ich meine Eltern und Leo wieder sehen?", vergewisserte ich mich. "Ja." Für einige Momente starrte ich einfach nur ins Leere und merkte erst, dass ich weinte, als meine Sicht verschwamm. Hastig wischte ich mir die Tränen von den Wangen und aus den Augen.

"Und was ist, wenn ich nach Mittelerde zurückkehre?", wollte ich wissen. Elena schien sich die Worte zurecht zu legen, ehe sie sprach: "Deine Kräfte werden hier bleiben und an die Valar zurück gehen. Du wirst mit niemandem über Elysiana sprechen können und alles, was du über die Traumwandler in Erfahrung gebracht hast, wird in deinem Gedächtnis verschwimmen, während deine Mitmenschen nach einigen Jahren nicht mehr darüber nachdenken werden, bis ihr und dein Wissen von Vorteil und Wert ist. Doch du wirst dein Leben dort weiter führen können und die Wunder erleben, die Mittelerde noch für dich bereit hält." Ich stutze bei ihrer Wortwahl.

"Bereit hält? Du redest so, als würdest du darüber bescheid wissen. Als würdest du die Zukunft kennen." Die Traumwandlerin strich ihr Haar zurück und musterte mich einige Sekunden. "Ich kenne deine Zukunft nicht. Niemand kennt deine Zukunft, denn deine Entscheidung ist noch nicht gefallen. Doch ehemalige Traumwandler werden immer in den Erinnerungen der Valar bleiben und in denen der anderen Traumwandler verweilen. Du kennst sie zwar noch nicht und wirst sie auch nicht kennen lernen, wenn du dich für Mittelerde entscheidest, doch sie kennen dich. Wir beobachten die Reise aller Traumwandler, denn es gibt nicht immer nur einen zu seiner Zeit. Entscheidest du dich gegen Elysiana, werden die Valar und alle anderen Traumwandler - dazu gehöre ich auch - über dich und deine Liebsten wachen. Und vielleicht wird ein Wunsch von dir in Erfüllung gehen, wenn wir es wollen."

Elena lächelte. "Denke darüber nach. Und wenn du dich entschieden hast, rufe meinen Namen und ich werde deine Entscheidung anhören." Mit diesen Worten war sie fort und ich saß alleine in dem Pavillon auf der Lichtung. Ich ließ mich in den Stuhl zurück sinken und schloss die Augen. Die Entscheidung, die ich treffen musste, wollte ich nicht überstürzten. Ich stellte mir eine Goldmünze in meiner Hand vor und betrachtet beide Seiten eingehend.

Sollte ich hier in Elysiana bleiben, würden meine Kräfte wachsen, ich würden den Valar helfen und könnte ein Leben mit meinen Eltern, denen ich nie richtig Lebwohl sagen konnte, mit denen ich viel zu wenig Zeit gehabt hatte, und Leo führen, alle Traumwandler vor mir wäre an meiner Seite und diese Lichtung würde mein Zuhause werden.

Doch ich könnte Legolas nie wieder sehen, ich könnte mich nicht von ihm oder irgendjemand anderem in Mittelerde verabschieden und ich könnte niemanden wissen lassen, dass es mir gut ging. Sie würden sich auf ewig Fragen, wieso ich gegangen war, weil ich es nie würde erklären können. Sollte ich nach Mittelerde zurückkehren, würde ich Legolas und alle anderen wieder sehen, könnte mein Leben dort weiter leben, so wie ich es geplant hatte. Ich würde mein Schwert behalten und naja... das waren schon alle positiven Seiten.

Auf der negativen Seite, würde ich meine Kräfte als Traumwandlerin verlieren, all mein Wissen und das meiner Mitmenschen würde verschwinden, bis wir es benötigen würden und ich könnte meine Eltern, sowie Leo, nie wieder sehen. Ich atmete tief durch. In meinem Kopf wirbelten Gedanken wild durcheinander, ich wog alles ab, doch tief in meinem Herzen hatte ich meine Entscheidung schon getroffen. Und als ich Elenas Namen rief, als sie vor mir erschien, teilte ich ihr meine Entscheidung mit und sie begann zu lächeln.

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Wir sind beim vorletzten Kapitel angelangt... nächste Woche kommt dann noch das letzte Kapitel und der Prolog. Was glaubt ihr, wie hat Auriel sich entschieden?

𝙳𝚒𝚎 𝙼𝚊𝚌𝚑𝚝 𝚍𝚎𝚛 𝚃𝚛ä𝚞𝚖𝚎 - 𝙻𝚎𝚐𝚘𝚕𝚊𝚜 𝚏𝚏Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt