Beim Abendessen herrscht Stille, unangenehme Stille. Es ist mir beinahe peinlich, dass man mein Kauen und Schlucken hört. Unsere Eltern haben schon ein paar Mal versucht die Stimmung zu lockern, aber erfolglos.
Julian ist gestern Abend abgereist. Zwischen Jascha und Jannis herrscht immer noch eine gewisse Spannung und ich bin seit dem Ausflug in die Stadt ziemlich in meinem Kopf gefangen. Vergangene Nacht lag ich wach, habe nicht ein Auge geschlossen und verzweifelt versucht irgendeine Erinnerung hochzuholen. Doch nichts, natürlich nicht.
Ich dachte mit der Zeit wird es vielleicht besser. Dass ich neue Erinnerungen sammele und mich hier zuhause einlebe. Doch stattdessen wird es irgendwie immer schlimmer. Ich kann nicht so weiter machen als wäre nie etwas passiert. Keiner in diesem Haus ist zu einhundert Prozent ehrlich zu mir, das merke ich und es belastet mich sehr.
Kann ich ihnen überhaupt wirklich vertrauen? Kann ich mit jemandem wahrhaftig reden?
"Schätzchen, möchtest du noch etwas?", erkundigt sich unsere Mutter, als ich vorsichtig mein Besteck zur Seite lege.
"Nein, danke", lächel ich gezwungen und wische mir mit der Serviette kurz über meinen Mund. Dann kehrt wieder diese quälende Stille ein. Als unser Vater als letzter endlich das Besteck ablegt, ist es beinahe wie eine Erlösung. Jannis springt praktisch von seinem Stuhl auf und beginnt den Tisch abzuräumen. Jascha ist im nächsten Moment schon nach oben verschwunden und setzt wahrscheinlich seinen Hausarrest mit Computerspielen in seinem Zimmer fort.
Unsere Mutter lässt ein langes Seufzen frei und als ich zu ihr herüber schaue entgeht mir nicht wie erschöpft sie aussieht. Mein Vater legt sanft eine Hand auf ihren Rücken und schenkt ihr ein aufmunterndes Lächeln. Vielleicht hilft es ihr, aber bei mir bewirkt es genau das Gegenteil. Ich gehe wieder in meinem Kopf verloren.
"Entschuldigt mich bitte", murmel ich und erhebe mich ebenfalls hastig von meinem Platz. Mit schnellen Schritten erklimme ich die Stufen nach oben und verschwinde in meinem alten Zimmer. Die Tür schließe ich hinter mir ab und im nächsten Moment öffne ich das Fenster um etwas frische Luft herein zu lassen.
Seufzend lasse ich mich einfach in der Mitte des Raumes zu Boden sinken.
Ich habe so viele Fragen, so viele verdammte Fragen auf die ich verzweifelt eine Antwort suche. Aber es kommt nichts zurück, niemand sagt mir die komplette Wahrheit und diese furchtbaren Kopfschmerzen motivieren mich nicht nachzufragen. Ganz im Gegenteil, sie halten mich eher davon ab.
Das Klingeln eines Handys holt mich zurück in die Gegenwart. Ich bin immer noch verwirrt wenn ich diese Geräusche höre. Ich habe mein altes Handy wieder, das den Unfall scheinbar gut überstanden hat. Der Sprung in dem Glas, quer über den Bildschirm, stört mich nicht. Die Entscheidung, das Handy wieder zu benutzen, war bewusst getroffen. Ich dachte vielleicht hilft es mir, aber bisher habe ich mich nicht getraut Fotos anzuschauen oder generell irgendetwas darauf zu machen.
Auf dem Display steht 'Frostbeule'. Verwirrt schaue ich es mir einige Zeit an, bis ich einfach auf den grünen Hörer drücke.
"Hallo?", frage ich zaghaft. Ich muss die Person scheinbar kennen, aber der eingespeicherte Name sagt mir überhaupt nichts.
"Juli hat mir geschrieben, dass du dein Handy wieder benutzt", ertönt eine Stimme aus dem Gerät und ich brauche einen Moment um sie zuzuordnen.
"Leon?"
"Am Apparat. Entschuldige, ich hätte mich mit Namen melden können", meint er und hört sich etwas zerknirscht an.
"Ich war bloß etwas verwirrt, wie du eingespeichert bist", gebe ich zu und von der anderen Seite ertönt ein Lachen. Ein Lachen, das dafür sorgt, dass ich mich etwas entspannen kann. Ich spüre diese Verbindung mit Leon, unsere Freundschaft war stark.
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Amnesia // Kai Havertz FF
FanfictionEin einziger Tag kann dein gesamtes Leben auf den Kopf stellen, dich aus der Bahn werfen und komplett aus dem Verkehr ziehen. Alleine das ist bereits schlimm genug. Aber was wenn du keinerlei Erinnerungen mehr hast wenn du aufwachst? Nicht an deine...