"Wird so etwas wieder passieren? Können wir uns irgendwie darauf vorbereiten?", vernehme ich die Stimme meiner Mutter und höre heraus wie besorgt sie ist.
"Frau Brandt befindet sich in einer außergewöhnlichen Lebenssituation und jeder Körper reagiert anders darauf. Wir hatten schon einige Amnesie Patienten und es taucht immer mal jemand mit Symptomen auf, die es zuvor nie gab. Der menschliche Körper ist leider unvorhersehbar. Es ist durchaus möglich, dass so etwas erneut geschieht. Aber es gibt leider keinen Weg, wie sie sich darauf vorbereiten könnten", antwortet eine andere Stimme und schwerfällig öffne ich meine Augen.
Das helle Licht blendet ziemlich und murrend setze ich mich weiter auf. Wieder liege ich in einem dieser Krankenhaus Betten. Wird das jemals ein Ende haben?
"Ich sehe Sie sind wieder bei uns Frau Brandt. Können Sie mir sagen was wir heute für einen Tag haben?", lächelt mich der Mann im Kittel an und leuchtet kurz in meine Augen, während ich brav seine Frage beantworte.
"Ich weiß noch genauso viel wie bevor ich hier gelandet bin", unterbreche ich den Arzt, bevor er noch weitere Fragen stellt. Kurz hält er in seiner Bewegung inne, bevor er langsam nickt und irgendwas auf einem Klemmbrett kritzelt.
"Wie fühlen Sie sich ansonsten?", erkundigt er sich und innerlich lasse ich ein tiefes Seufzen los.
"Gut. Ich meine, genauso verloren wie bisher. Aber physisch geht es mir blendend. Ich würde einfach nur gerne nach hause", murmel ich und schaue bittend zu meinen Eltern herüber, die im Raum stehen. Vielleicht erhalte ich ihre Unterstützung. Auf weitere Untersuchungen oder etwas in der Art, habe ich gerade wirklich keine Lust.
Mir entgeht nicht wie sich meine Eltern besorgt anschauen und dann fragend zu dem Arzt herüber blicken.
"Es spricht nichts dagegen Sie wieder zu entlassen. Aber lassen Sie es langsam angehen. Wenn sich ihr Gehirn noch nicht wieder erinnern möchte, dann zwingen Sie es auch nicht. Überfordern Sie ihren Kopf nicht. Das menschliche Gehirn ist sehr komplex, aber hält bei weitem nicht alles aus", redet der Arzt auf mich ein und ich versichere ihm hastig, dass ich einen Gang zurück schalten werden.
"In Ordnung. Dann hoffe ich, dass wir uns so schnell nicht wieder sehen", lächelt er mich freundlich an und hält mir seine Hand entgegen. Ich weiß er meint es nur gut, aber irgendwie klingt es trotzdem etwas unfreundlich. Kurz schüttel ich seine Hand, bevor ich das Zimmer verlasse. Hinter mir meine Eltern.
"Wo sind die anderen?", frage ich etwas verwundert. Bisher sind sie schließlich fast immer zusammen überall aufgetaucht.
"Zuhause geblieben und da bringen wir dich jetzt auch hin. Etwas Ruhe wird dir gut tun", lächelt mich meine Mutter warm an und legt ihren Arm um mich. Ich lächel bloß zurück und nicke zustimmend. Wie sehr ich mich nach meinem Bett sehne. Das letzte an das ich mich erinnere ist der Brief von meinem Freund, besser Ex Freund. Am liebsten würde ich mich sofort verkriechen und nicht mehr heraus kommen.
Die Fahrt nach Hause verläuft still. Das Radio habe ich bereits am Anfang ausgestellt um wirklich meine Ruhe zu haben. Meine Augen fliegen über die Stadt, die an uns vorbei zieht und mein Herz fühlt sich wahnsinnig schwer an.
Vielleicht hatte meine Familie recht. Vielleicht wäre es besser gewesen wenn ich einige Sachen einfach nicht erfahren hätte, wenn ich sie für immer vergessen hätte. Das mit Jannis und das mit Kai. Es hätte vermutlich so viel verändert. Es wäre alles harmonischer und mein Körper würde mir nicht ständig irgendwelche Signale senden, dass ich zu weit gehe.
Als das Auto in der Einfahrt hält bin ich die erste, die es verlässt. Die Haustür ist geöffnet, Julian steht darin und schaut mich besorgt an.
"Was hat der Arzt gesagt? Ist alles gut?", erkundigt er sich. Ohne ein Wort quetsche ich mich an ihm vorbei ins Haus. Meine Schuhe finden ihren Platz schnell an der Seite und im nächsten Moment gehe ich bereits die Treppen nach oben und verschwinde in meinem Zimmer. Mein Blick landet sofort auf dem Brief, der noch immer auf meinem Bett liegt. Schwer schluckend versuche ich ihn einfach zu ignorieren und wende mich stattdessen meinem Kleiderschrank zu. Ich habe keine Lust mich jetzt wieder damit auseinanderzusetzen.
In dieser Hose halte ich es keine Sekunde länger aus, das ist mein etwas größeres Problem gerade. Eine weite Jogginghose und ein großer Sweater sind mein neues Outfit. Die Kapuze ziehe ich mir tief ins Gesicht und verlasse dann wieder mein Zimmer. Auch wenn ich mich am liebsten im Bett verkriechen würde, alleine möchte ich nicht sein.
Zaghaft klopfe ich an Jaschas Zimmertür an und warte auf seine Antwort. Als sie erklingt öffne ich seine Tür. Mein Bruder erhebt sich sofort von seinem Schreibtischstuhl und kommt zu mir herüber. Besorgt mustert er mich.
"Kann ich vielleicht etwas bei dir bleiben?", frage ich ruhig und ziehe die Ärmel meines Oberteils noch weiter über meine Hände.
"Ja, ja natürlich", entgegnet Jascha sofort und legt sanft seine Hand an meinen Oberarm. Ich trete weiter ein und höre wie er die Tür hinter mir schließt. Seufzend nehme ich auf seinem Bett Platz und ziehe meine Beine an mich heran, bevor ich diese mit meinen Armen umschlinge und mein Kinn auf meinen Knien ablege.
"Vielleicht hatten alle Recht", murmel ich und spüre wie wieder heiße Tränen in meinen Augen aufsteigen. Die letzten zwei Tage waren vermutlich die Schlimmsten seit ich wieder wach bin. Schlimmer als nicht zu wissen wer überhaupt vor einem steht.
"Womit?", hakt mein Bruder zaghaft nach und setzt sich ebenfalls auf das Bett.
"Vielleicht sollte ich aufhören zu versuchen mein altes Leben zurück zu bekommen. Es wird nie wieder wie es war und je mehr ich erfahre, desto schlimmer wird die jetzige Situation. Ich wollte so sehr wieder alles zurück, aber vielleicht sollte ich einfach irgendwo noch einmal von vorne anfangen", teile ich mit ihm und schniefe leise auf. Hastig streiche ich mit dem Ärmel über meine Wangen, als die ersten Tränen laufen.
Ich werde nie wieder mein altes Leben zurück bekommen. Ich werde mich nie wieder an alles erinnern und diese Erkenntnis tut wahnsinnig weh.
"Oh Josi", murmelt Jascha und legt seinen Arm um mich. Vorsichtig zieht er mich näher an sich heran. Mein Kopf findet Platz auf seiner Schulter und die Nähe bringt auch die letzten Mauern zum Einsturz. Verzweifelt schluchze ich auf und lasse alle Emotionen heraus, die sich in letzter Zeit auch nur geringfügig angesammelt haben.
Jascha hält mich einfach nur fest, während ich mich an seiner Schulter ausweine und dafür bin ich ihm wahnsinnig dankbar.
"Was tue ich überhaupt hier? Was soll ich mit diesem Leben anfangen?", schniefe ich und fahre erneut mit dem Ärmel über mein Gesicht. Ich sehe vermutlich grauenvoll aus, aber genauso fühle ich mich auch. Ich habe das Gefühl alles bricht gerade zusammen. So mühsam habe ich versucht ein Kartenhaus zu bauen, doch es ging die gesamte Zeit Wind und es war bloß eine Frage der Zeit bis es in sich zusammen brechen wird.
"Josi, hör mir zu", meint Jascha ernst. Seine Hände legen sich an meine Wangen und er zwingt mich ihn anzusehen. Durch meine verweinten Augen sehe ich seinen durchdringenden Blick "Niemand verlangt, dass du dort weiter machst wo du aufgehört hast. Es ist dein Leben und du kannst daraus machen was du möchtest. Such dir einen Job, ziehe nach Italien, heirate einen Fremden. Tu das mit dem du dich gut fühlst. Aber bitte bitte zweifle nicht an dir selbst. Zerbrich nicht daran, dass du dich nicht an früher erinnern kannst. Du bist noch so jung, du kannst noch so viele Leben leben. Auch wenn es gerade vielleicht nicht danach aussieht, aber es wird alles irgendwie wieder gut"
"Ich kann doch gar kein italienisch", schmunzel ich und schniefe wieder auf. Ein Lachen geht über Jaschas Lippen und er zieht mich wieder in seine Seite.
"Das können wir dir ja noch beibringen", entgegnet er schmunzelnd. Seufzend lege ich meinen Kopf wieder auf seiner Schulter ab und für die nächsten Stunden bleiben wir dort. Unser Verhältnis ist wirklich deutlich besser geworden. Von Jascha fühle ich mich verstanden und ernst genommen, das tut mehr als gut. Wenn es früher auch so war, dann kann ich verstehen weshalb er mein Lieblingsbruder war.
Irgendwann klopft es an der Tür und Jannis tritt ein. Er scheint überrascht mich ebenfalls hier zu finden. Trotzdem ändert sich sein Gesichtsausdruck nicht. Jannis ist immer noch sauer auf seinen Bruder, obwohl er überhaupt nichts falsch gemacht hat.
"Es gibt Essen. Beehrt ihr uns mit eurer Anwesenheit?", meint er ironisch und bevor wir überhaupt antworten können hat er sich schon wieder umgedreht und das Zimmer verlassen. Seufzend rappele ich mich auf und gehe dann mit Jascha nach unten zum Rest der Familie. Meine Augen sind vermutlich immer noch feuerrot, aber niemand spricht es an und dafür bin ich ihnen sehr dankbar.
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Amnesia // Kai Havertz FF
FanfictionEin einziger Tag kann dein gesamtes Leben auf den Kopf stellen, dich aus der Bahn werfen und komplett aus dem Verkehr ziehen. Alleine das ist bereits schlimm genug. Aber was wenn du keinerlei Erinnerungen mehr hast wenn du aufwachst? Nicht an deine...