KAPITEL 22

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Valentina

Unendlich erleichtert falle ich an diesem Abend, als die Kellys in Köln spielen, in mein Bett. Die letzten Wochen vor Weihnachten sind die pure Hölle, und ich bin froh, dass ich nur vormittags Vorlesungen habe. Christoph, mein Chef und der Besitzer des Plattenladens, hat zwei Wochen vor Weihnachten jeden Tag bis 20 Uhr geöffnet, und als wäre das nicht genug, standen vorhin, als ich den Laden abschließen wollte, immer noch Kunden vor der Tür. Es ist jedes Jahr dasselbe - Weihnachten rast viel zu schnell heran, die Leute brauchen unbedingt noch Geschenke, und was liegt da näher, als schnell noch eine CD oder Schallplatte zu kaufen? Und wenn eine ganz bestimmte bei uns nicht mehr vorrätig ist, ist es doch sicher kein Problem für uns, die Platte noch zu bestellen, dass sie auf jeden Fall vor Weihnachten abgeholt werden kann. Ich habe keine Ahnung, wie oft ich heute Bestellungen aufgenommen habe.

Ich esse noch eine Kleinigkeit, hole meine Decke und kuschele mich auf die Couch. Eigentlich will ich kurz fernsehen, um abzuschalten, schlafe aber beinahe sofort ein. Irgendwann werde ich wach, frage mich kurz, was mich geweckt hat. Die Wanduhr in der offenen Küche, die sich zum Wohnzimmer hin öffnet, zeigt vier Uhr morgens an und ich stöhne leise. Wahrscheinlich bin ich einfach wach geworden, weil die Couch zu unbequem wurde. Ich wickle mich in meine Decke und will ins Schlafzimmer gehen, da klingelt es plötzlich so schrill, dass ich erschrocken zusammen zucke. Erlaubt sich da jemand einen Scherz? Ich gehe zur Sprechanlage, melde mich mit einem müden »Ja?« und ziehe gleich darauf eine Augenbraue hoch, als ich Joeys Stimme höre. Was zum Henker macht Joey hier mitten in der Nacht?

»Hi, Tina, sorry, dass wir dich aus dem Bett schmeißen, könnten wir vielleicht hoch...«, beginnt Joey, kommt aber nicht weiter.

»750.000, Bro«, höre ich Jimmys lallende Stimme zwischendrin, und augenblicklich kapiere ich.

»Kommt hoch, aber seid im Flur um Himmels Willen leise«, instruiere ich Joey, betätige den Türsummer und bete zu Gott, dass meine Eltern tief schlafen.

Natürlich sind sie nicht leise, auch wenn sie sich bemühen, aber ein paar Flüche und ein halblautes Poltern, als irgendjemand gegen das Treppengeländer stolpert, sind nicht zu überhören.

»Leise!«, zische ich, als Joey und Johnny am Treppabsatz auftauchen, Jimmy in ihrer Mitte. Er schwankt mächtig, lehnt sich schwer gegen Joey und ich deute in meine Wohnung. »Rechts ist das Wohnzimmer.«

Erleichtert lassen Joey und Johnny Jimmy auf die Couch fallen. Jimmy sinkt nach hinten gegen die Armlehne der Couch, das linke Bein halb auf die Couch gelegt, das rechte noch auf den Boden aufgestellt.

»Sorry, dass wir ihn bei dir abladen«, entschuldigt sich Johnny. »Er hat's bisschen übertrieben. Wir haben Auszeichnungen bekommen, und...«

»750.000 verkaufte Alben, Bros«, lallt Jimmy, dabei eine Faust ballend, und ich ziehe eine Augenbraue hoch. »Wir sind verdammte Stars!«

»Euer Ernst?«, frage ich beeindruckt und bin gleichzeitig wirklich enttäuscht, dass ich nicht dabei sein konnte.

Joey nickt. »Platin für Over the Hump und Gold für An Angel.« Selbstverständlich ist auch er sichtlich stolz - klar, dass die Jungs das gefeiert haben.

»Wie krass, meinen Glückwunsch.«

»And you weren't there«, deutet Jimmy leicht anklagend auf mich und ein Stich fährt mir ins Herz. Dann aber krümmt er sich, unterdrückt ein »Fuck...« und ein Würgen, hält sich eine Hand vor den Mund und ich stürze in die Küche, um einen Eimer zu besorgen. Gerade rechtzeitig bin ich zurück bei Jimmy, sodass er sich in den Eimer erbrechen kann. Ich halte seinen Zopf zurück und mustere ihn besorgt. Das wird eine harte Nacht und ein noch härterer Morgen. Stöhnend sinkt Jimmy zurück auf die Couch, beinahe sofort fallen seine Augen zu.

Jimmys GeheimnisWo Geschichten leben. Entdecke jetzt