Kapitel 55

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Emilie

Ich saß auf einem der mit weißem Stoff überzogenen Stühle und stützte mich mit beiden Ellbogen auf dem Tisch ab. Es waren bereits mehrere Stunden seit der Trauung vergangen und das Mittagessen war längst abgeräumt worden. Die Sonne brannte vom Himmel und unter den aufgestellten, beigen Sonnenschirmen schien sich die schwüle Luft zu sammeln.

Während ich mir überlegte, ob 15 Uhr schon eine angemessene Uhrzeit war um die ersten Cocktails zu bestellen, musterte ich den Barkeeper, der dabei war ein Glas zu polieren. Irgendwo hatte ich mal gelesen, dass sie das nur taten, um nicht bloß herumzustehen. So eine Beschäftigung bräuchte ich jetzt auch.

Henry war irgendwo bei seinen Cousinen, ich hatte ihn seit der Trauung nicht mehr gesehen. Mom und North saßen direkt neben mir, hatten sich aber von mir weggedreht um miteinander über Norths Familie zu reden. Ich überlegte mir, das silberne chice Kleid auszuziehen und mir im Bungalow ein lockerers Kleid aus Leine überzuwerfen. Schließlich war die Trauung um, und es waren schon mehr als genug Fotos geschossen worden.

Ich gab Mom Bescheid, dass ich mich kurz frisch machen würde und stand auf, um mich auf den Weg zu machen. Gerade als ich die Terrasse verließ, kam mir Henry entgegen, der mit einer jungen Frau in einem gelben Sommerkleid sprach. Natürlich versetzte mir der Anblick einen kleinen Stich, aber es konnte sich hierbei auch um ein Familienmitglied handeln, weswegen der kurze Herzschmerz bestimmt nur unnötige Energie verbrauchen würde.

Ich lief an den beiden vorbei ohne ihnen einen Blick zu würdigen und bemerkte nicht mehr, wie Henry sie mit einer Hand auf ihrem Rücken zu einem der Tische begleitete.

Im Bungalow angekommen sah ich als erstes auf mein Handy, das am Ladekabel hing und ich deswegen nicht mitnehmen konnte. Es gab keine neuen Nachrichten und ich hielt es für keine gute Idee, Henry per Whatsapp zu konfrontieren. Grundsätzlich hatte es keinen Zweck, denn egal wer sie war, ich könnte sie an diesem Abend nicht ersetzen. Egal was Henry heute vor hatte, ich war nicht in der Lage ihn davon abzuhalten ohne die Aufmerksamkeit aller anderen auf mich zu ziehen. Oder im schlimmsten Fall die Aufmerksamkeit von seiner Mutter.

Janice hatte sich am Tisch neben den Brautjungfern niedergelassen und plauderte ausgelassen mit ihren Freundinnen. Mir hatte sie heute noch keinen Blick geschenkt, es sei denn, ich hatte es bloß nicht mitbekommen.

Ein Seufzen verließ meine Lippen, als ich mein Handy zurück auf das Bett warf. Zwar hatte es ausreichend Akku um es mit auf die Feier zu nehmen, auf der anderen Seite konnte ich es auch vollladen lassen. Mein Handy würde mir auch nicht mehr viel helfen und außerdem hatte ich keine Tasche bei mir.

Ich öffnete meinen Kleiderschrank und suchte mir das lockere Leinenkleid heraus, dass ich extra für den späteren Abend herausgesucht hatte. Später, wenn es endlich kühler wurde, würde ich es mit einer kleinen weißen Jacke kombinieren können. Doch bis dahin war es ein tolles Partykleid, das dennoch für konservative Muttis in Ordnung gehen musste. Der Designer des Kleides hatte wohl den perfekten Mittelpunkt gefunden.

Während ich mich in Stille umzog und nur noch das Meeresrauschen meine Gedanken unterstrich, wurde mir erst richtig bewusst, dass ich wütend war.

Ich war wütend, dass North meine Mom mitgebracht hatte. Ich war wütend, dass meine sorgfältige Rechnung nicht aufgegangen war, weil Henrys Mutter Gast dieser Hochzeit war. Ich war sauer, dass sich beinahe jede der Brautjungfern nach Henry umgedreht hatte. Und ich war sauer, dass ich wirklich dachte, ich könnte Spaß auf dieser Hochzeit haben.

Bevor ich etwas unternehmen konnte, stiegen mir Tränen in die Augen. Ich zog den Reißverschluss des Kleides hoch und stürzte ins Bad, wo ich mich einschloss, falls Mom oder North zurück kamen. Vor dem Spiegel stützte ich mich am Waschbecken ab.

"Ist schon okay.", murmelte ich wie ein Mantra vor mich hin. "Ist okay."

Ich blickte mich im Spiegel an und entfernte mit einem Tuch einige Mascaraschlieren. Mein Leben drückte mir ständig etwas Neues rein, über das ich mich aufregen konnte. Ich versuchte durchzuatmen und mich auf die kommenden Tage zu freuen. Schließlich waren wir noch sieben Tage hier auf der Insel und es war genug Zeit, Henry nur für mich zu haben. Mom war mit North beschäftigt und froh, wenn ich mal alleine weg ging. Und Janice reiste spätestens am Montagmorgen ab. Wenn ich sie los war, konnte ich aufatmen.

Was mich allerdings immer noch beschäftigte, war die Frage, ob sie mich auf den Fotos der Gala erkannt hatte. Aber wie schon damals im Flugzeug tat ich diesen Gedanken als Overthinking ab. Nur weil meine größte Angst war, dass Henry wegen mir in Schwierigkeiten kommen könnte, musste das nicht heißen, dass jeder Blick von Janice eine Warnung war. Oder?

Ich sperrte die Badezimmertür auf, schniefte und legte meine Hand auf die Klinke der Haustür. Es würde niemand bemerken, wenn ich einige Minuten hier bleiben würde um mich etwas auszuruhen. Ich drehte mich also weg und setzte mich auf die Couch, wo ich perfekt auf das Meer hinaus schauen konnte.

Irgendwann schien meine Sicht zu verschwimmen. Ich driftete ab, wie eines der kleinen Boote draußen auf dem Wasser.

Ein Glas fiel klirrend auf die Fliesen der Küche. Mom schnappte nach Luft, für einen kurzen Moment legte sich die Stille über uns wie eine schwere Decke, die man über ein kleines Feuer geschmissen hatte um es zu löschen. Ich sah, wie Mom sich bückte, um mit einem kleinen Handbesen die Scherben aufzulesen. Dad stand wortlos vor ihr, ich sah durch den kleinen Türspalt nur seinen Rücken. Plötzlich bewegte er sich ruckartig nach vorne. Mom taumelte für einen kurzen Moment und fiel dann nach hinten in die nassen Scherben
Mit den Händen stützte sie sich darauf ab und schnitt sich an ihnen. Ich wollte zu ihr, aber ich wusste auch, dass sie mich wegschicken würde, wie jedes Mal. Die Tür zur Küche, an die ich mich zu sehr gelehnt hatte, öffnete sich mit einem leisen Quietschen. Dad drehte sich zu mir um. Er starrte mich wütend an und bevor er auf mich losgehen konnte, rannte ich los in mein Zimmer, wo ich mich panisch einsperrte. Erst am Morgen danach traute ich mich, wieder herauszukommen. Und wie jedes Mal bereute ich es, überhaupt wieder aus meinem Zimmer gekommen zu sein.

Fruit Punch Lips | Sugar Daddy 1Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt