2. »Bist du das?«

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Wenn man zwischen den Welten stand, musste man aufpassen, wohin man trat. Es gab Orte, die gefährlich waren; Orte, an denen die Welten aufeinanderprallten, an denen man auseinandergerissen werden konnte, zerfetzt wurde und sich erst Tage später, zersplittert und gebrochen, am Boden wiederfand. Es gab Orte, die einen wegzerrten aus der einen Welt in eine andere, Orte, in die man fallen konnte, um nie mehr herauszufinden. Es gab Orte, die einem alle Sinne nahmen, taub und blind machten und auf ewig im Nichts herumführen würden. Und es gab Orte wie diesen. Orte der absoluten Stille.

Wenn man zwischen den Welten lebte, war Stille ein seltenes Gut - absolute Stille war rar geworden, seit sich die Welten in ihm trafen. Und selbst wenn er allein war, war es nicht still; überall waren Geräusche, und ob sie nun hörbar waren oder stumm, machte schon seit Langem keinen Unterschied mehr für ihn.

Es war ein schöner Ort - versteckt und geschützt durch Bäume, Laub und Büsche, verschlungen im Wald, einsam und gleichzeitig zwischen den zwei wohl bedeutungsvollsten Stellen. Zu beiden Seiten ragten die Hügel hinauf; wie Klippen beugten sie sich über den schmalen Pass, versteckten ihn vor dem Rest der Welt. Zwischen den Welten und doch etwas abseits - ein Ort, der zu nichts zu gehören schien, zu nichts und niemandem; ein Ort wie das Auge eines Sturms.

Er hatte an der Eiskatze vorbeigehen müssen, um hierher zu gelangen; an der schaurigsten und grausamsten Kreatur des Waldes. Er war ihr bisher nur ein, zweimal begegnet, doch ihr Gesicht hatte sich in seine Erinnerungen eingebrannt - diese wirren Augen, der durchdringende, eiskalte Blick und das schneeüberzogene, abstehende Fell dieses Geistes. Jedes mal hatte er mondelang Alpträume von ihr gehabt, von ihr und ihren hungrigen, stechenden Augen.

Diesmal waren sie ihr nicht begegnet. Diesmal hatte er aufgepasst. Er hatte die Ohren gespitzt und die Muskeln angespannt, aber sie waren ihr nicht begegnet.

Und jetzt standen sie hier. Am wohl schönsten Ort dieser Welt, beider Welten, aller Welten - in der absoluten Stille, einer Stille, die man nur spüren konnte, wenn man durch den Sturm gegangen war: Das einzig Gute eines Sturms war die Stille danach.

»Der Ort ist unglaublich.« Blattpfote war der erste von ihnen, der es in Worte fasste. Er stand in der Mitte der kleinen Lichtung, auf einem kleinen Hügel, und sah an den Felsen hinauf. »Ich hätte nie gedacht, dass so etwas existieren könnte.«

»Dann ist das hier unser neues Geheimversteck?« Tannenpfote schnippte mit dem Schwanz. »Oder wollen wir etwas anderes suchen?«

Rascheln.

»Ist das ein Scherz? Der Ort ist fantastisch!« Blattpfote lachte, und sein Lachen übertönte das Rascheln. »Was meinst du, Birkenpfote?«

Fiepen. Die Stille war zerrissen. Nur noch Rascheln und Fiepen. Er spitzte die Ohren, aber sie dröhnten und er konnte nichts mehr hören. In seinen Adern gefror das Blut.

Stille, unheimliche.

Bloß nicht bewegen. Nichts anmerken lassen. Nicht reagieren. Nicht bewegen. Alles würde gut werden.

»Birkenpfote?«

Wieder, Rascheln. Irgendwo konnte er es hören. Seine Ohren begannen zu zucken.

»Alles okay?«

Hier war jemand. Jemand beobachtete sie, ganz nah. Irgendwo hier. Er konnte es spüren. Jemand beobachtete sie, und wenn er blinzelte, würde er fallen. Fallen und fallen und niemals aufkommen. Fallen und fallen und niemals wieder zurückkommen.

Rascheln. Sein Herz blieb stehen; aus der anderen Welt heraus konnte er Blattpfote sprechen hören, doch er hatte sie längst verlassen. Dieses Rascheln gehörte nicht zu dieser Welt.

Und es kam näher.

Die Toten kamen näher, und diesmal würde er nicht weglaufen können. Er würde nicht...

Rascheln. Er erstarrte, unfähig, sich zu rühren, unfähig, sich zu wehren, wartete er - unwissend, worauf.

Noch einmal, Rascheln.

Dann, eine Katze.

Sein Herz blieb stehen - aber nicht vor Angst.

Seine Stimme zitterte - aber nicht aus Angst.

»Bärenjunges?«


WarriorCats - Frühling (Band 3)Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt