25. »Wenn die Schatten getötet haben...«

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Sie war ein unheimliches Junges. Sprossenfleck hatte sich bereit erklärt, sich um sie zu kümmern: eine Kätzin, die nicht einmal imstande war, sich um ihre eigenen Jungen zu kümmern. Es tat ihr nicht gut. Man spürte es jeden Tag mehr, dass es ihr nicht guttat.

Zumal sie schon immer seltsam gewesen war - sogar dafür, dass sie ohne ihre Mutter aufwachsen musste. Sogar dafür, dass die Zeiten schwer waren.

Weidenjunges war ein unheimliches Junges. Niemand konnte so recht sagen, warum genau - aber darin waren sich einig: Weidenjunges war seltsam.

Schon ihr Blick hatte etwas sonderbares. Die Art, wie sie blinzelte; wie sie die anderen Katzen ansah, wie sie lächelte und, vor allem, wie sie reagierte, wenn man sie anlächelte. Einmal, als sie noch ganz klein gewesen war, hatte sie angefangen zu schreien. Dann, zu weinen. Und einmal, als sie gerade ihre ersten Worte gesprochen hatte, hatte sie ›Bist du jetzt glücklich?‹ gefragt, den Kopf schief gelegt und war tagelang in Schweigen versunken.

Sie spielte auch nicht mit den andere Jungen. Wenn überhaupt, dann unterhielt sie sich mit Sturmjunges - dabei lächelte sie, sah zu ihm hinauf, als könnte sie auf ihn herabschauen, und schnurrte manchmal, wenn er etwas darüber sagte, was er für Erfahrungen hatte.

Manchmal saß sie einfach stundenlang abseits und starrte ins Leere. Dann reagierte sie auf nichts - man konnte sie anstupsen, sie merkte es kaum.

Dabei kümmerten sich Einige um sie. So oft es ging, war ihr Vater bei ihr, Weichfell - oft war auch Tupfenherz da, manchmal mit Tannenblüte. Blattwind setzte sich ab und zu in der Kinderstube neben sie und unterhielt sich ein wenig mit ihr. Und manchmal, ganz selten nur, war auch Birkenherz bei ihr. Ihre Mutter war seine Schwester gewesen - sehr viel älter, deshalb hatten sie kaum Kontakt gehabt; aber sie war dennoch seine Schwester gewesen. Das machte dieses unheimliche, kleine, etwas sonderbare Junge zu seiner Nichte; und um seine Nichte kümmerte man sich. Auch, wenn sie unheimlich, klein und etwas sonderbar war.

Vor allem dann.

Regenpelz war oft bei ihr; er wich ihr kaum von der Seite, wachte über sie, wenn sie schlief, saß neben ihr, wenn sie aß. Wenn nicht, beobachtete er sie aus der Ferne - er hatte immer ein Auge auf sie. Manchmal war es ein lachendes. Und manchmal weinte er.

Birkenherz hatte es aufgegeben, ihn zu verstehen, und angefangen, ihn zu meiden; aber heute war er nicht da. Er hatte nicht gesagt, wohin er hatte gehen wollen; er war einfach verschwunden.

Und Weidenjunges war allein. Sie saß in der Kinderstube - Sprossenfleck und ihre Jungen waren hinausgegangen, um zu spielen, und Weidenjunges war allein. Sie lächelte, als er eintrat, doch er hütete sich, zurückzulächeln.

»Hallo, Weidenjunges.«

Sie nickte nur. »Setz' dich doch. Du warst lange nicht mehr hier.«

Er blinzelte. Er konnte sich gar nicht erinnern, überhaupt jemals hier gewesen zu sein - aber gut. Das war auch eines der Dinge, die Weidenjunges so unheimlich machte. Vorsichtig setzte er sich. »Du bist ganz schön groß geworden.«

»Du auch«, gab sie zurück, sah ihn einige Sekunden lang an, blinzelte dann plötzlich - fast, als wäre sie gerade erst aufgewacht - und sah ihn wieder an; allerdings aus ganz anderen Augen, viel strahlender, glänzender, kindlicher als zuvor. »Bringst du mir Jagen bei, wenn das alles vorbei ist?«

Birkenherz kniff die Augen zusammen. »Wenn alles vorbei ist...?«

Sie legte den Kopf schief, als wäre er schwer von Verstand. »Na, wenn die Schatten getötet haben«, sagte sie, blinzelte, gähnte und tappte verschlafen aus der Kinderstube.


»Du siehst ganz schön verstört aus.«

Birkenherz schrak auf. Er hatte gar nicht bemerkt, dass Lärchenpfote sich an ihn herangeschlichen hatte - unheimlich, eigentlich, dass man sich so leicht an ihn heranschleichen konnte, ohne dass er es merkte.

»Sie ist ein bisschen komisch«, sagte er. »Aber ich finde sie niedlich, irgendwie.«

Birkenherz mustere den Schüler langsam und nickte zögerlich.

»Hat sie dir auch von dem Kindermärchen erzählt?« Lärchenpfote begann, ihn zu umkreisen. »Sie erzählt jedem davon.«

»Von den Schatten?«

»Genau. Sie hat es von Spatzenflügel. Er ist manchmal hier und bringt ihr eine Maus.« Lärchenpfote zuckte mit den Ohren, blieb stehen und musterte ihn von der Seite. »Mir hat er auch immer diese unheimlichen Geschichten erzählt.«

»Das sind nur Geschichten für kleine Jungen, die nachts nicht das Nest verlassen sollen.« Birkenherz wandte sich ab.

»Natürlich sind sie das«, Lärchenfell lächelte mild, »solange sie nicht wahr werden.«

WarriorCats - Frühling (Band 3)Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt