8. »Wo bist du?«

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Irgendwo hier musste er sein. Das letzte mal hatte er ihn hier gefunden - und Geister kamen nicht weit, das war der einzige Trost an ihnen: Man konnte vor ihnen weglaufen.

Andererseits wäre er sonst nicht hierher gekommen. So gesehen...

Birkenpfote sträubte das Fell. In diesem Teil des Waldes schienen die Bäume Augen zu haben, und er war sich immer noch nicht sicher, ob es eine gute Idee gewesen war, hierher zurück zu kommen. Jeden Moment konnte die Eiskatze aus dem Dickicht kommen - und wenn die Katzen aus der anderen Welt die Katzen dieser Welt verletzen konnten, dann war er sich sicher, dass sie Halbherz getötet hatte.

Falls sie es überhaupt konnten.

Er wollte es jedenfalls nicht ausprobieren.

Unsicher sah er sich um. Es war ungewöhnlich kalt an diesem Tag, die Sonne schien leer und kühl auf den Wald herab; ein unangenehmer Geruch von Blattleere lag in der Luft, und der Boden fühlte sich matschig an unter seinen Pfoten. Es war kein Tag, an dem er gerne das Lager verließ - und kein Ort, an den er gern zurückkehrte.

Das letzte mal war er einfach weggelaufen. War das die Art, wie ein Krieger mit seinen Feinden umging?

Gut, normalerweise waren Feinde etwas, das jeder sehen konnte. Und normalerweise waren sie nicht...

Vielleicht wurde er auch einfach verrückt. Ja, das musste es sein, er wurde verrückt. Warum sollte Bärenjunges hier sein, und nicht im SternenClan? Und selbst, wenn es dafür eine Erklärung gab: Warum sah dann nur Birkenpfote ihn? Warum sah überhaupt nur er all diese Katzen?

Warum musste ausgerechnet er diese Welten zusammenhalten? Was, wenn sie nur in ihm existierten? Wenn er sich das alles nur einbildete? Wäre das nicht eine viel einfachere Erklärung?

Was suchte er also hier. Die Eiskatze?

Bei der bloßen Vorstellung, ihr zu begegnen, fuhr ihm ein Schauer über den Rücken. Nicht, dass diese Welt, die jeder sah, immer gut gewesen wäre - aber nichts aus dieser Welt konnte den Schrecken gleich kommen, die in der anderen Welt lagen, verborgen für alle anderen, mitten zwischen ihnen und doch immer sichtbar für diejenigen, die sie beobachteten.

Und die Eiskatze war das wohl schrecklichste, das er jemals gesehen hatte. Er wusste nur von ihrer Gestalt her, dass sie überhaupt eine Katze war - aber alles, was daran erinnerte, war zerstört worden. Ihr schneeverklebtes Fell stand ihr zu allen Seiten ab, halb gefroren und halb zerrissen. Ihre grellen Augen brannten vor Kälte, und ihre Ohren waren zerfetzt. Wie auch immer sie in die andere Welt gefunden hatte - es schien der grausamste Weg gewesen zu sein, den es gab.

Hoffentlich würde er nicht auf so eine Art sterben. Birkenpfote schauderte, biss die Zähne zusammen und versuchte, keine Angst zu haben. Frühling hatte ihm nichts getan - Regenpelz ebenfalls nicht, und Bärenjunges war ihm nicht einmal nachgelaufen, als er vor ihm geflohen war. Warum sollte die Eiskatze...

Rascheln. Er erstarrte, zögerte, fuhr hoch und - hielt inne.

»Bärenjunges? Bist du das?«

Das letzte mal hatte er genau hier gestanden, als er ihn das erste mal gesehen hatte - seit seinem Tod. Genau hier, auf diesem kleinen Hügel, an Tannenpfotes Geheimversteck.

Genau hier.

Kein Rascheln mehr.

»Bärenjunges?« Er schluckte. »Ich ... es tut mir leid, dass ich vor dir weggelaufen bin, ich...«, er stockte, fasste sich ein Herz und trat etwas näher. »... ich hatte mich einfach erschreckt...«

Wieder Rascheln. Jemand stand auf, gleich hinter dem Dickicht. Birkenpfote blieb stehen und wartete, aber es kam niemand heraus, nicht einmal eine Antwort.

»Ich wollte dich nicht verletzten ... bitte komm heraus...«

Doch es kam niemand heraus.

Zögernd hielt er inne. Was, wenn die Eiskatze hinter diesem Buch stand? Er konnte fühlen, dass es ein Geist war - aber welcher, war unmöglich zu sagen.

Alles in ihm schrie, wegzulaufen. Selbst wenn es nicht die Eiskatze war, sondern Bärenjunges, wollte er dieser Katze nicht begegnen. Das letzte mal hatte er ihn nur kurz gesehen, und dieser kurze Blick hatte ausgereicht, dass er das eigentlich nicht noch einmal ertragen wollte - oder konnte. Bärenjunges sah zwar bei Weitem nicht so kalt und furchtbar aus wie die Eiskatze; aber die Tatsache, dass Birkenpfote ihn noch lebendig in Erinnerung hatte - ohne Eisspuren, ohne leere Augen, dafür mit einem Lächeln auf den Lippen - machte diese neue Gestalt nur noch grausamer.

Wenn er jetzt weglief, würde er sich das niemals verzeihen.

Zitternd holte er Luft. Sein Schwanz zuckte unruhig, sein Herz trommelte unangenehm laut in seiner Brust und seine Ohren fiepten furchtbar - aber was war schon Angst, wenn man nicht weglaufen konnte.

Immer noch zitternd machte er einen Schritt nach vorn. »Bärenjunges?« Noch einen. Gleich war er nah genug, um durch die Blätter schauen zu können. »Bärenjunges, ich bin es nur. Birkenpfote.«

Noch ein Schritt. Er schloss die Augen.

»Ich wollte das letzte mal nicht weglaufen ... es tut mir leid. Bitte...«

Seine Schnurrhaare streiften das Dickicht. Birkenpfote sah auf.

Doch dahinter war nichts. Oder-

Doch, dort war etwas. Birkenpfote schrie auf, wandte sich ab, kniff die Augen zusammen, versuchte zu vergessen-

Aber manche Dinge kann man nicht vergessen. Und die Leiche eines Freundes zu sehen, gehört dazu.

WarriorCats - Frühling (Band 3)Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt