3. »Die Welt wartet nur auf dich, Kleiner.«

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Er schloss die Augen. Der Wind zerrte an seinem Pelz, aber das war ihm egal. Er fühlte sich furchtbar; das Nirgendwo war kein Ort für junge Katzen. Generell war es kein Ort für Katzen - das Gras war zu hoch, der Wind zu scharf und die Erde roch nach Kälte; nach der Art von Kälte, die man mit dem Herzen spürte.

... jedenfalls manche Katzen. Rabenfeder zumindest schien sie nicht zu spüren. Fröhlich summend und mit hoch erhobenem Schwanz stakste er durch die Wiesen, als wäre das der schönste Ort der ganzen Welt.

Vielleicht war er das auch, und Birkenpfote bemerkte es nur nicht; aber wer wusste das schon.

»Es ist wunderbar, wie alles blumt und blüht, nicht wahr?« Rabenfeder schnippte mit dem Schwanz, blieb stehen und atmete einmal tief ein. »Und wie es duftet...!«

Er schüttelte den Kopf. Ertappte sich dabei, wie er sich noch einmal umsah - aber niemand war hinter ihm. Weder eine Katze aus der anderen noch eine aus dieser Welt.

Zumindest sah er keine.

»Okay. Wir treffen uns nach Sonnenuntergang wieder hier, in Ordnung?« Sein Mentor lächelte ihn an, »dann hast du genug Zeit zum jagen.« Sanft schnippte er ihm über das Ohr. »Alles okay? Du siehst ganz nachdenklich aus.« Als könnte sein Lächeln Birkenpfote ebenfalls zum Lächeln bringen, grinste er noch etwas breiter; so breit, dass es fast schon selbst zum Lachen aussah. »Die Welt wartet nur auf dich, Kleiner. Lauf und nimm sie dir.«

Wenn man Welten hätte fangen können, wäre Rabenfeder jedenfalls schneller gewesen. Bevor Birkenpfote aufschauen konnte, war er bereits verschwunden; oder war es nur das hohe Gras, das ihn verschwinden ließ?

Er fühlte sich klein daneben; unendlich klein. So klein wie zwischen all diesen riesigen, starken, schnellen, eleganten Katzen, neben all diesen Katzen fühlte er sich einfach nur klein, winzig, wie ein Junges neben einer SternenClan-Katze - und er war sich nicht mehr sicher, ob er nicht genau das war.

Bärenjunges war tot - Wie konnte er dann...?

Vorsichtig warf er noch einmal einen Blick über die Schulter - immer noch war niemand dort, und trotzdem fühlte er sich zunehmend beobachtet. Er wusste nur von einer Katze der anderen Welt, die hier lebte; aber was hieß das schon? Er hatte schließlich auch nicht gewusst, dass Bärenjunges...

Was, wenn alle Katzen der anderen Welt...

Nicht daran denken. Vorsichtig prüfte er die Luft: Maus konnte er riechen, und ein paar Tauben von heute Morgen. Er sah sich um, lauschte; winzige Krallen scharrten über den Boden. Er duckte sich, lauschte noch einmal. Das Kratzen war noch immer da. Der Wind kam ihm entgegen, die Maus direkt vor ihm schien ihn kaum zu bemerken. Die ideale Beute.

Langsam setzte er eine Pfote vor die andere, ganz vorsichtig, lautlos duckte er sich auf den Boden, nur eine Haaresbreite zwischen seinem Fell und der Erde. Seine Pfoten berührten kaum den Boden, so sanft wie nur möglich schlich er voran, hielt inne. Spannte die Muskeln an, drückte sich auf den Boden, biss die Zähne zusammen - und sprang. Die Maus quiekte auf, aber es war zu spät.

Birkenpfote seufzte und scharrte etwas Erde über sie. Gut gemacht, hätte er gern zu sich gesagt. Aber wieso? Die Maus hatte keine Chance gehabt. Eine ahnungslose Maus zu fangen, das war nicht schwer. Es war, als würde man jemanden belauschen, der gar nicht sprach.

Blick über die Schulter, nichts.

Der Clan brauchte Beute. Er prüfte die Luft - nichts. Er schnupperte nochmals - immer noch nichts. Er streckte sich, atmete tief ein - absolut kein Geruch mehr. Keine Beute. Nicht hier jedenfalls.

Er seufzte noch einmal. Ein geschickter Jäger würde sicher Beute finden können; Buchenpelz würde selbst hier jede Maus aufspüren und fangen. Warum konnte sie so gut jagen und er ... er war sich manchmal nicht einmal sicher, ob er überhaupt ein Jäger war. Und ob er der Jäger war; der Jäger in diesem Spiel, das sie Leben nannten.

Blick über die Schulter. Nichts.

Vorsichtig sah er sich um, aber nicht einmal vor sich konnte er etwas erkennen, das in irgendeiner Hinsicht Wert gehabt hätte. Bis zum Sonnenuntergang hatte er noch Zeit - ob es wahrscheinlicher war, einem Geist zu begegnen, wenn er hier blieb...?

Waren es überhaupt Geister? Oder wurde er einfach langsam...?

Der graue Kater schüttelte sich. Vielleicht fand er ja noch etwas, wenn er sich ein wenig umsah. Sicherlich würde er das, er war ja eine Clan-Katze, ein geborener Jäger, kein Hauskätzchen, nein; er war eine Waldkatze. Nicht, dass Hauskätzchen wie Tupfenherz schlechtere Jäger gewesen wären als er, aber sicher war sicher.

Doch hier war nichts. Hier nicht, und ein paar Schritte weiter im Nirgendwo auch nicht. Nirgends würde er Beute finden.

Seufzend ließ sich Birkenpfote auf den Boden sinken. Wenn er nur mit einer einzigen Maus zurückkehrte, würde das sicherlich auffallen. Eine Clan-Katze benötigte mindestens zwei am Tag, selbst Haselstreif aß mehr als eine; glaubte er zumindest. Selbst ein Junges konnte abzählen, dass er zu wenig gejagt hatte. Und wenn Sturmjunges das bemerkte, würde er ihn sicher damit hochziehen. Dieser kleine Kater war ein furchtbarer Besserwisser: Ein furchtbarer Besserwisser, der unangenehm viel wusste.

Und das wäre peinlich. Schwerfällig erhob er sich, und sofort pfiff ihm wieder der Wind um die Ohren, dieser furchtbare, kalte, eisige, scharfe Wind. Kein Wunder, dass hier keine Mäuse lebten. Hier konnte niemand freiwillig sein.

Vielleicht fand er Beute bei der Alten Weide? Versuchen konnte er es jedenfalls. Und sicher würde es dort auch weniger windig sein als hier, auf dem offenen Feld - einen Versuch war es wert, und wenn er nichts fand, konnte er sich wenigstens damit trösten, es versucht zu haben.

Blick über die Schulter, nichts.

Nichts aus dieser Welt, jedenfalls.

WarriorCats - Frühling (Band 3)Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt