21. »Man muss nur hören, was niemand sagt.«

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»Birkenherz.«

»...«

»Ich weiß.«

»...«

»Er ist tot.«

»...«

»Samtherz. Ich weiß. Er ist tot.«

»...«

»Erinnerst du dich noch daran, was ich dir gesagt habe, damals? Manchmal müssen wir warten, um zu gehen. Manchmal müssen wir gehen, um warten zu können.«

»...«

»Ich weiß.«

»...«

»Die Zeit wird kommen, Birkenherz. Er ist weg, aber warte nicht auf ihn. Die Zeit wird kommen. Die Zeit kommt immer. Was immer wir tun, die Zeit wird kommen, wir brauchen nicht auf sie zu warten. Sie lässt uns fallen, was wir auch tun. Aber bis dahin können wir fliegen.«

»Aber er ist tot. Er ist schon tot. Und ich kann nicht fliegen.« Birkenherz sah zu Boden. »Wir sind schon gefallen. Vor langer, langer Zeit.«

»Sag so etwas nicht. Das größte Übel ist es, aus dem Leben zu scheiden, ehe man stirbt.²«

»Ich bin doch schon halb tot.« Er ließ sich ins Gras fallen, rollte sich auf den Rücken und starrte in den Himmel. »Ich habe zwei Freunde, und sie sind beide tot. Du bist tot, und Samtherz ist auch...«, er schloss die Augen, »... tot.«

Frühling setzte sich auf. »Die Zeit ist noch nicht gekommen. Sie ist noch nicht gekommen.«

»Dann komme ich zu ihr. Zu dir bin ich auch gekommen, ohne dass du davor da warst.«

»Auf manche Dinge kannst du auch einfach warten, und sie kommen von ganz allein.«

Er seufzte. »Ich weiß.«

Der Kater neigte den Kopf und musterte ihn. »Oh. Nein. Du bist noch viel zu jung, um etwas zu wissen.« Er erhob sich und peitschte mit dem Schwanz. »Was also ist dein Plan?«

»Wer sagt, dass ich einen habe?«

»Dein bester Freund ist gestorben.«

»Wir waren nicht gut befreundet.«

»Aber er war dein einziger Freund. Das macht ihn zu deinem besten Freund.«

Birkenherz schwieg.

»Dein bester Freund ist tot, und zwei weitere Krieger aus dem Clan sind es ebenfalls. Was also ist dein Plan?«

Birkenherz schwieg weiterhin. Er hatte nicht vor, etwas zu sagen - er hatte nicht einmal das Gefühl, etwas sagen zu müssen, vom Wollen konnte also keine Rede sein.

Alles war gesagt; alles war gedacht, seit Samtherz nicht mehr hier war und auch sonst nirgendwo.

Frühling musterte ihn. Seine grauen, sanften Augen glänzten im matten Sonnenlicht. »Wenn wir die Toten bemitleiden, müssten wir auch die bemitleiden, die nie geboren wurden.³«

»Ich bemitleide ihn aber nicht. Ich vermisse ihn. Und er war die einzige Katze, der ich vertrauen konnte.« Er kniff die Augen zusammen. Die einzige lebende Katze; aber das sagte er nicht.

»Das stimmt nicht. Deinem Bruder kannst du vertrauen.«

»Mein Bruder hat Angst vor seinem eigenen Schatten, seit Dohlenkralle tot ist.«

»Deiner Schwester...«

»Tannenblüte vertraut nicht einmal sich selbst.« Andererseits machte er das auch nicht. Nicht immer.

Frühling hielt inne. »Tupfenherz kannst du vertrauen.«

»Wie kommst du darauf?« Hatte er viel mit Tupfenherz zutun? Er erinnerte sich nicht einmal daran, wann er das letzte mal mit ihm gesprochen hatte, so lange war es schon her.

»Er weiß, dass du Geister siehst, aber er hat es niemandem gesagt. Natürlich kannst du ihm-«

»Er weiß das?« Der Krieger sprang auf und sträubte das Fell, warf einen Blick über die Schulter - aber sie waren allein.

»Ich glaube, es gibt wenig, das er nicht weiß.« Frühling blinzelte. »Er ist sehr gut im Anschleichen. Ich hätte ihn einmal fast selbst nicht bemerkt.«

»Du meinst, er...«

»Spioniert dir nach? So würde ich es nicht sagen. Das klingt, als würde er nur dich belauschen.« Der Geist schnippte mit dem Schwanz. »Aber er macht es bei jedem. Und wirklich gefährlich ist er auch nicht«, er lächelte matt, »Eine Katze, die alles weiß, tötet dich nicht mit ihren Zähnen.«

»Aber...«

»Mach' dir keine Sorge wegen des Lauschens. Er ist gerade nicht hier. Er ist selten da, nur ganz selten.«

Birkenherz kniff die Augen zusammen. Im ersten Moment hatte ihm die Vorstellung, dass dieser Kater alles wisse und jeden beobachte, zu sehr verschreckt, als dass er darüber hätte nachdenken können - aber jetzt, wo er darüber nachdachte ... nein. Niemand konnte alles wissen. Und vor allem konnte niemand jeden belauschen, ohne aufzufallen; Tupfenherz müsste sich schon aufspalten müssen, um alles zu hören, was gesagt wurde. Um überhaupt überall zu sein, wo etwas gesagt wurde. Und dann war er auch immer erstaunlich unauffällig - er war immer in Patrouillen eingeteilt, folgte den Befehlen. Manchmal jagte er allein, ja; aber nur, um heimlich fischen zu gehen.

»Niemand kann alles wissen. Man kann unmöglich jeden belauschen.« Er schüttelte den Kopf. »Man müsste überall gleichzeitig sein, um alles zu hören.«

Aber Frühling lächelte nur. »Oh. Es geht doch gar nicht darum, alles zu hören.« Er schnurrte leise und musterte ihn mit funkelnden Augen. »Man muss nur das hören, was niemand sagt.«

WarriorCats - Frühling (Band 3)Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt