4. »Wer, wenn nicht du?«

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Es gab einen schmalen Zustand zwischen Angst und Panik - kaum breiter, als dass dieses eine Gefühl gerade so hineingepasst hätte; kaum groß genug, überhaupt erkannt zu werden. Und doch war er lang genug, um festzustellen, dass diese Katze, die dort vor ihm stand - diese Katze aus dieser fremden, unheimlichen Welt, die ihn heimsuchte und von der er in seinen Alpträumen träumte - dass diese Katze gar nicht so unheimlich war.

Eigentlich sah sie nur seltsam aus, so klein, wie er war. Man konnte sie kaum zuordnen - zu flauschig für einen Krieger, aber zu kräftig für ein Hauskätzchen. Man hätte ihm kaum angesehen, dass er aus der anderen Welt stammte; er hatte kein Eis im Fell, keinen schneeüberzogenen Pelz, keine trüben, uralten Augen und keine klaffenden Wunden. Im Gegenteil - er sah beinahe lebendig aus.

Und bis vor kurzem hätte Birkenpfote sogar geglaubt, er sei es.

»Ich bin Frühling«, sagte der kleine Kater, als hätte man ihn danach gefragt. Auch seine Stimme klang seltsam; typisch für die einer Katze aus der anderen Welt klang sie, als würde sie aus den Baumwipfeln kommen. Wie ein Echo hallte sie zwischen den Welten wider - wie der Klang eines Gedankens. »Und du, kleiner Kater, du bist also Birkenpfote

Birkenpfote wich zurück. Nicht unbedingt, weil er Angst hatte - im Gegenteil, eigentlich, er wich zurück, weil er keine Angst hatte. »Ich kenne keinen ›Frühling‹«, sagte er und versuchte, entschlossen zu klingen. Erst, als er die Worte gesprochen hatte, fiel ihm auf, dass es unklug gewesen war: Jetzt wusste er, dass er ihn sehen konnte, und es war unmöglich, jetzt noch vor ihm wegzulaufen...

... das hieß, zwar nicht unmöglich, aber wenn er es getan hätte, hätte er sich das nicht verziehen. Über einen Fehler konnte man hinwegsehen - aber zweimal über den gleichen? Besser nicht.

Er hätte nicht vor Bärenjunges davonlaufen sollen. Es gab so viele Möglichkeiten, darauf zu reagieren. Und sie alle waren besser, als einfach davonzulaufen.

»Natürlich kennst du den Frühling. Du stehst doch mitten darin.« Der Kater schnippte mit dem Schwanz und sah sich um. Er wirkte ruhig, nicht so, als wäre er in einem fremden Territorien. Das heißt: Nein, er wirkte, als gäbe es gar keine Territorien. Nur Wald, endlosen Wald, der jedem gehörte. »Ein schöner Tag, heute. Nicht wahr? Ich mag schöne Tage«, er richtete seinen Blick auf Birkenpfote, sah ihn lange an aus diesen warmen, grauen Augen, aus den Augen eines Ältesten, »Natürlich mag ich auch die schlechten - ich mag jeden Tag. Die anderen mögen immer nur die schönen. Aber ich bin keiner von ihnen.« Frühling lächelte. »Und du bist es auch nicht, nicht wahr? Setz' dich doch, Birkenpfote. Wir haben viel zu besprechen.«

Er hatte ein sonderbares Lächeln. Es war - es erinnerte ihn an etwas - an - ehe er bemerkte, was er da tat, hatte er sich bereits gesetzt.

»Wir sollten uns unbedingt kennenlernen.« Frühling lächelte noch immer dieses sonderbare Lächeln; Birkenpfote konnte nicht sagen, ob er es beruhigend oder unheimlich finden sollte. Offenbar schien er sein Misstrauen zu bemerken, denn er fügte gütig hinzu: »Ich bin kein Monster, auch wenn du das denkst. Ich bin einfach ich. Ich bin Frühling.«

»Frühling.« Wenn sein Mentor kam, würde er ihm einfach sagen, er hätte ... ja, was könnte er ihm dann sagen? Dass er hier saß und...? Unsicher sah er sich um. Länger als unbedingt nötig hatte er sich noch nie mit einer Katze aus der anderen Welt unterhalten; zu groß war das Risiko, verrückt genannt zu werden, weil er Gespräche mit Katzen führte, die andere weder sehen noch hören konnten.

»Genau, ich heiße Frühling«, sagte Frühling und sagte dann nichts mehr, lächelte nur, blinzelte und zuckte ab und an einmal mit den Ohren.

Birkenpfote stand auf. »Ich muss gehen«, sagte er. Wenn Rabenfeder ihn hier sah, wie er mit dem Nichts sprach...! Nein, das durfte er nicht riskieren. Außerdem war diese Katze unheimlich. Sein Gefühl sagte, dass er ihr vertrauen konnte; aber objektiv gesehen war sie unheimlich.

Und vor unheimlichen Katzen durfte man davonlaufen. Oder?

»Ich weiß«, sagte Frühling, und keiner von ihnen ging. Wenn der Blick in diesen Augen nur ein wenig weniger weich gewesen wäre, hätte er ihn richtig gruselig gefunden, überlegte Birkenpfote.

Aber er war nicht gruselig; nur ein bisschen. Nur, dass er mit ihm sprach, als seien sie alte Freunde, die sich lange nicht mehr gesehen hatten.

Aber vor alten Freunden lief man ja nicht weg. Oder?

Birkenpfote musterte ihn. Näher betrachtet sah er doch so aus wie ein Geist - schwer zu fixieren, etwas unscharf, aber ganz real existierend. Er saß dort und er sprach mit ihm. Ganz eindeutig - und anders als andere Geister hatte er nicht das Gefühl, diese Katze würde Selbstgespräche führen, bei denen er zufällig anwesend war. Nein, diese Katze sprach mit ihm.

Diese Katze war anders.

Oder?

»Wer bist du?«, versuchte er. Die meisten Katzen mochten es, wenn man sie nach ihrer Person fragte. Eigentlich alle, dachte er, aber Katzen aus der anderen Welt noch mehr. Vermutlich, weil sie nicht allzu oft die Gelegenheit hatten, überhaupt über etwas zu sprechen.

»Vielleicht weißt du es.«

Er wurde unruhig. Wenn jetzt jemand hierher kam, würden sie ihn für verrückt erklären, ganz sicher. Blick nach links, Blick nach rechts, niemand war da. »Wieso ich?«

Frühling lächelte noch immer. »Wer, wenn nicht du?« Er sah in den Himmel und schien das Thema wechseln zu wollen, denn auf einmal sagte er: »Zeit ist etwas seltsames, nicht wahr? Manchmal wünschte man sich, man könnte sie rückgängig machen, und manchmal kann man kaum warten, dass sie vergeht...« Er erhob sich. »Wir sehen uns wieder, Birkenpfote

»Warte!« Er sah auf, setzte an, etwas zu sagen, aber da war schon Rabenfeder, Rabenfeder kam aus dem Gras, hatte er-

Panisch sah er sich um. War es schon so spät geworden? Wo war die Zeit geblieben? Und wo die Sonne?

»Alles in Ordnung, Kleiner?« Rabenfeder lachte. »Du siehst aus, als hättest du einen Geist gesehen.«

Es war still, auf der Lichtung. Der kühle Wind der Blattfrische strich durch die Baumkronen, ließ die zarten Blätter leise erzittern; das erste Gras raschelte wieder unter seinen Pfoten.

Es war still.

Birkenpfote schüttelte den Kopf. »Nein. Es ist alles in Ordnung.«

WarriorCats - Frühling (Band 3)Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt