KAPITEL XXIV | Lass alles verstummen

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Du hast ihn gebissen.

Du hast ihn getötet.

Mörder, Abschaum.

Kjell hielt sich die Ohren zu, doch die Stimmen blieben. Sie schienen ihm im Nacken zu sitzen und ihm direkt in sein Gehirn zu flüstern.

Plötzlich legten sich Hände über seine eigenen und lösten diese von seinen Ohren. Anton blickte ihn besorgt an, so wie er es meistens tat, wenn er wieder eine Episode hatte.

„Kjell", sagte er sanft: „Hast du wirklich Linus getötet?"

Das waren nicht die Worte, die er sich von Anton erhofft hatte. Normalerweise munterte der andere ihn auf und versuchte ihn abzulenken. Nun riss er ihn jedoch in die eiskalte Realität zurück.

Kjell fing wieder zu schluchzen an. Er konnte sich nur noch schwammig erinnern. Er hatte an dem damaligen Tag Wache gehalten und hoch im Geäst des Ausgucks gesessen. Der Wald war still gewesen, nicht so wie die Stimmen. Und dann hatte Kjell gemeint, eine Gestalt im Gestrüpp zu erkennen.

Er war der Sache nachgegangen, das war schließlich seine Pflicht als Wächter. Doch als er am Waldboden ankam, erwarteten ihn nur tiefe Schatten, die ihn zu verschlingen versuchten. Und sie lachen ihn aus und bleckten ihre Zähne. Und Kjell verspürte diese unfassbare Wut – die verspürte er erst, seitdem der Microraptor ihn gebissen hatte. Früher hatte Kjell auch Wut empfunden, aber der General hatte ihm jeglichen Grund genommen, wütend zu werden. Er hatte ihm Hoffnung gegeben.

Nun wieder diese Wut zu empfinden, zerstörte Kjell innerlich. Er wollte das nicht und dennoch schlug er um sich, weil er das Gefühl hatte, keine Luft mehr in der schreienden Finsternis zu bekommen. Und als er etwas zu fassen bekam, schlug er seine Zähne in das Fleisch – lebendig und warm.

Kjell zuckte augenblicklich zurück, als er Blut schmeckte. Als er aufblickte, erkannte er einen kleinen Jungen, der ihn aus großen Augen ängstlich anstarrte. Kjell stieß ihn von sich weg, aus Angst, er könnte ihn weiter verletzen und Linus stieß hart auf dem Boden auf. Sein Kopf prallte an einem Stein ab und der Junge blieb reglos liegen.

Die Stimmen lachten und verhöhnten ihn und beleidigten ihn als Mörder und Kjell glaubte ihnen.

Also entschied er sich, den Jungen zu verbuddeln, doch als er damit anfing, Erde über seine leblosen Augen zu scharren, da fing der Junge an zu grinsen und ihn ebenfalls zu verhöhnen und beschuldigen, sodass Kjell zurück auf den Baum floh, sich dort zusammenrollte und sich die Ohren zuhielt, um dem Alptraum zu entkommen – erfolglos.

All seine Versuche zu entkommen, waren erfolglos.

Linus verhöhnte ihn noch bis zum heutigen Tag.

Er war es langsam leid.

Er wollte das es aufhörte.

Er sehnte sich nach Stille.

„Anton, es tut mir leid", weinte er verzweifelt.

„Ich weiß", meinte Anton.

„Ich will nicht mehr", krächzte Kjell weiter.

„Ich weiß", hauchte Anton.

„Ich glaube, ich schaff das nicht mehr", schluchzte Kjell leise.

Anton senkte seinen Kopf und nickte.

„Ich habe so schreckliche Dinge getan, während ich ich selbst war", flüsterte Kjell ihm zu, so als würde er ihm ein Geheimnis erzählen. Tränen, die seine Haut benetzten, ließen die Wangenknochen aus seinem mageren Gesicht hervorstechen. „Jetzt stell dir vor, was ich tun werde, wenn ein Parasit mich durchdrehen lässt."

Dragontale - Etappe IVWo Geschichten leben. Entdecke jetzt