KAPITEL XVII | Der Blumenkranz

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Kadira war erschüttert von all den Vorfällen in letzter Zeit. Das war sie wirklich, sie sah nur nicht den Sinn darin, stehenzubleiben und zu trauern. Dadurch würde sich ihre Situation nicht verbessern.

Als Linus starb und Bente krank wurde, hatte sie angefangen, ihr neues Labor hoch oben im Geäst des Wächterbaumes zu erbauen. Wenn immer die anderen niedergeschlagen waren, schien sie den Drang zu verspüren, noch produktiver zu werden.

Dieses Verhalten hatte sie in Zodiac am Leben gehalten.

Sie hatte nie zurückgeblickt und immer alles gegeben – manchmal etwas zu viel. Mit ihrem Waffengeschäft war sie wohl etwas über die Stränge geschritten.

Von ihrem neuen Baumhauslabor stand bislang nur ein grobes Grundgerüst ihres zukünftigen Fußbodens – sie war noch immer auf der Suche nach Ästen, die sie für ihr Bauwerk verwenden konnte. Ihre Kameraden stahlen ihr die besten Äste für den Bau der Vieh- und Schutzzäune, die um die Grube platziert werden sollten.

Da es ihr an Baumaterialien mangelte, entschied sie sich parallel zu ihrem Labor-Projekt mit dem Bau einer Prothese für Ginas Arm anzufangen.

Sie hatte Kappa schon großzügig zu seiner Prothese ausgefragt, aber diese war nicht unbedingt ideal für ihn und Kadira hatte sich vorgenommen, etwas Perfektes für Gina zu erschaffen. So fing sie an, einen Prototypen zu basteln, der nicht viel mehr als eine Haltevorrichtung aus Stoff und Seilen war, an dem ein Stock angebracht war. Da Gina noch ihr Ellenbogengelenk besaß, musste Kadira sich zumindest über die Beweglichkeit des Arms keine Gedanken machen, jedoch war sie sich unsicher, womit sie Ginas Hand ersetzen sollte.

Kadira fände ein Messer anstelle einer Hand fantastisch, aber sie konnte sich kaum vorstellen, dass Gina das genau so sah. Also machte die Erfinderin sich auf den Weg zum Heilerbau, um Gina selbst um Rat zu fragen – dort war die Blonde meistens aufzufinden. Doch an diesem Tag fand Kadira sie dort nicht vor. Femke lag an ihrer Stelle im Krankenbett und musste sich vom Angriff des Dilopho erholen. Ihre Wunde war tief, aber nicht tödlich.

„Sie ist bei Bente", sagte ihr Kappa, welcher vor dem Bau saß und Trockenkräuter zu Bündeln zusammenband. Die ganze Decke hing mit solchen Bündeln voll und ließ die Höhle süß und bitter zugleich riechen.

Daraufhin ging Kadira zurück auf die untere Ebene der Grube und herüber zu dem ungemütlichen Felsspalt, in dem Bente zu Hause war. Der Mann hatte sich nie für Ästhetik interessiert, er war eher der praktikable Typ.

„Hallo, jemand zu Hause?", rief sie lautstark, ehe sie ohne weiteres Warten in den niedrigen Eingang trat.

Sie musste sich bücken, um in den Bau hineinzuschauen, ohne sich den Kopf zu stoßen.

„Bente, wie geht es dir?", fragte sie den Mann, der offensichtlich nicht okay war.

Der Unteroffizier lag unter seiner Decke und sah leichenblass aus. Kadira konnte sehen, dass es ihm schwer fiel zu atmen.

Jorik saß auf der einen Seite von Bente und mahl irgendwelche, bitter riechenden Kräuter in einer Holzschale, während Gina bedrückt auf der anderen Seite des Mannes saß – Sorgenfalten zierten ihr hübsches Gesicht.

„Schlecht", ertönte Bentes rasselnde Stimme schwach. Er sah ausgelaugt aus und auch so als hätte er abgenommen. Man konnte es bereits an seinem Gesicht erkennen – die Wangenknochen stachen mehr hervor als üblich.

„Aber Jorik bekommt dich sicherlich wieder hin", entgegnete Kadira hoffnungsvoll.

Der Heiler warf ihr schweigend einen Blick zu, der ihr Herz zerriss. Er sah verbittert und traurig aus. Sein Blick sagte ihr, dass Bente im Sterben lag.

Dragontale - Etappe IVWo Geschichten leben. Entdecke jetzt