Niek kroch voraus, durch den düsteren Tunnel – sie wagten es nicht, ein Glasgestein herauszuholen und mit Licht Aufmerksamkeit auf sich zu lenken.
Lir krabbelte direkt hinter Niek. Er war schweigsam wie immer, aber dieses Mal lastete sein Schweigen umso schwerer. Es fühlte sich bedrückt an. Er wollte nicht hier sein und Niek wollte es auch nicht.
„Wir schaffen das", redete Niek dem anderen gut zu – oder sich oder ihnen beiden. „Du weißt, wie die Piraten ticken und ich weiß, wo wir hinmüssen. Wir weichen den Piraten aus, retten dieses Kind und verschwinden wieder unbemerkt", faselte er im Flüsterton weiter vor sich hin.
„Gut", entgegnete Lir lediglich.
Niek warf einen Blick über seine Schulter und fragte: „Glaubst du, der Plan kann funktionieren?"
Lir schwieg einen langen Moment. Viel zu lange. Dann entgegnete er nicht sehr glaubwürdig: „Sicher."
Niek wusste, dass Lir es niemals wagen würde, irgendjemandem zu widersprechen – so hatte er es gelernt. Er nahm es ihm auch nicht übel, aber dennoch hätte er sich gewünscht, dass der Mann etwas mehr Zuversicht in seine einstudierten Worte gelegt hätte.
Verzweifelt versuchte Niek, an die aufmunternden Worte von Skalli zu denken. Ich schaffe das, redete er sich gut zu. Ich kann das.
Bald kamen sie am Ende des Schachtes an. Ein Gitter versperrte ihnen den Weg nach Aquarius – Aleas Truppe hatte es vorsätzlich wieder hinter ihnen verschlossen. Niek lugte durch die dünnen Metallstäbe, um zu sehen, ob sich Menschen auf den Gassen befanden, doch der Bezirk war totenstill. Hinter den ein oder anderen, milchigen Gläsern, brannten Lichter, aber draußen konnte Niek keine Menschenseele entdecken.
Er fühlte sich wie damals – wie ein Dieb, der nicht entdeckt werden wollte. Man hatte ihn in seinem Leben nur einmal erwischt und er würde nicht zulassen, dass es heute erneut dazu kam.
Mit geschickten Fingern fing er an die Schrauben des Gitters zu lösen, bis er dieses aus seiner Halterung heben konnte und hinaus in die Freiheit kletterte.
Lir folgte ihm und zusammen rannten sie in den Schatten der angrenzenden Häuser.
Niek entsann sich zurück an Aleas Wegbeschreibung und fing an, den Weg wie ferngesteuert abzulaufen.
Links und rechts und leicht rechts, an einem zusammengestürzten Haus vorbei und wieder links in eine Gasse und dann in eine noch kleinere Gasse. Nieks gepanzerte Schultern kratzten beinahe schon an den beiden begrenzenden Hauswänden, so eng war es in dieser Seitenstraße.
„Es müsste das Haus zu unserer Rechten sein", murmelte Niek am Ende der Gasse.
Er warf einen Blick auf die etwas breitere Straße vor ihnen und zog seinen Kopf gleich wieder zurück, als er zwei Piraten am Straßenrand sah, welche miteinander tratschten und lachten.
„Piraten", zischte er.
Lir blickte sich in beide Richtungen um – da waren keine Fenster, durch die sie hätten einsteigen können –, dann legte er seinen Kopf in den Nacken und zeigte nach oben. „Du kannst auf's Dach klettern", murmelte er.
Niek blickte ebenfalls hinauf. Der obere Teil der Wand war bewachsen mit Efeuranken, doch sie waren zu hoch für Niek, um sie zu erreichen.
Wie auf ein stummes Signal hin, stellte Lir sich mit dem Rücken zur Wand und verschränkte seine Finger ineinander, um sie Niek auf Bauchhöhe entgegenzuhalten.
Niek blickte auf die Hände und seufzte. Er rückte sich den Rucksack auf seinen Schultern zurecht und sagte: „Ich werfe dir ein Seil herunter." Dann stellte er seinen Fuß in die Tritthilfe, bestehend aus Lirs Händen und kletterte schließlich mit seinem zweiten Fuß auf seine mageren Schultern. Mit seinen Krallen bekam er das Efeu zu greifen und konnte sich an dem Gewächs empor und über die Dachkante ziehen. Dort blieb er flach liegen, während er sich ein Seil aus dem Rucksack kramte. Das eine Ende konnte er an einem stützenden Holzbalken festmachen, welcher über die Dachkante ragte und das andere Ende warf er herab zu Lir.
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Dragontale - Etappe IV
FantasíaEkliptik entwickelt sich prächtig. Es scheint, als könnte die Oberwelt doch noch ihr zu Hause werden. Während die Aufständler sich regenerieren und mit den Bewohnern ein zu Hause errichten, welches in Zukunft ein sicherer Ort für ihre Verbündeten au...